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Kinokritik: Der Schamane und die Schlange: Die Kritik zum Film

Kinokritik

Der Schamane und die Schlange: Die Kritik zum Film

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    Ciro Guerra war mit seinem Film "Der Schamane und die Schlange" für den Oscar nominiert.
    Ciro Guerra war mit seinem Film "Der Schamane und die Schlange" für den Oscar nominiert. Foto:  Mauricio Duenas Castaneda (dpa)

    "Der Schamane und die Schlange" - Die Kritik: Das Lied ist verstummt, die Linie durchbrochen. Karamakate, Schamane eines weitgehend ausgerotteten indigenen Stammes, weiß mit den Coca-Blättern nichts anzufangen. Ausdruckslos sieht er zu, wie der amerikanische Botaniker Evans sie vor seinen Augen zu feinem Pulver zerstampft. "Die Steine, die Bäume, die Tiere, alles schweigt. Sie sprechen nicht mehr zurück", so die Klage des alten Mannes.

    Nach Jahren der Isolation sieht er sich als "chullaqui", als seelenlosen Wiedergänger, ohne Verbindung zu Geschichte, Umgebung und kultureller Identität. "Der Schamane und die Schlange" von Ciro Guerra (ab 21. April im Kino) erzählt unter anderem davon, wie Karamakate diese gekappte Verbindung Stück für Stück wieder aufbaut.

    "Der Schamane und die Schlange": Angelehnt an Tagebuchaufzeichnungen

    Angelehnt an die Tagebuchaufzeichnungen des deutschen Anthropologen und Forschungsreisenden Theodor Koch-Grünberg (1872-1924) und des amerikanischen Ethnobotanikers Richard Evans Schultes (1915-2001), schiebt Guerra zwei Reisegeschichten ineinander. Beide beschreiben die Begegnung von indigener und kolonialer Welt vor dem Hintergrund des Kautschukbooms im Amazonasgebiet.

    Die erste Geschichte setzt Anfang des 20. Jahrhunderts ein. Karamakate ist jung, wütend und wissend. Er soll dem sterbenskranken Forscher Theo heilen. Rettung verspricht eine heilige Pflanze mit dem Namen Yakruna. Zusammen mit Theo und seinem Assistenten Manduca macht er sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Gewächs.

    Rund drei Jahrzehnte später wendet sich erneut ein Forscher an Karamakate, um die Yakruna-Pflanze zu finden. Beide Geschichten überlagern sich, werden zum Spiegelbild der anderen und finden auf einer Zeitachse zusammen. "Du bist zwei Männer", sagt Karamakate mehrfach zu Evans, den er als "Revenant", als Wiedergänger von Theo, zu erkennen glaubt.

    Fast ausgerotteter Amazonasstamm: Schamane trifft auf Forscher

    Die Reise wird zum erbitterten Kampf um Autorität und Macht. Als Theo von einem Stammesführer um seinen Kompass bestohlen wird, argumentiert er paternalistisch und kolonialisierungskritisch zugleich: Durch den Gebrauch des Kompasses würden die Menschen ihre Jahrhunderte lang praktizierte Orientierung an Wind und Sternen verlieren.

    Auf der Suche nach der Yakruna-Pflanze werden zwar Kautschukplantagen und Missionsstationen passiert, doch der Film wendet das Reisemotiv überwiegend nach innen. Die Überwindung von Distanzen und Widerständen spielt praktisch keine Rolle. Guerra arbeitet eher an einer Atmosphäre des Sublimen, nicht zuletzt durch die hochatmosphärischen Schwarz-weiß-Bilder - bei den Tagszenen eine breite Graupalette, bei den Nachtszenen harte Kontraste und eine nur punktuelle Beleuchtung, die besondere "Noir-Stimmungen" heraufbeschwört.

    Im Kern geht es im Film "Der Schamane und die Schlange" um Wissen: als lebendige, identitätsstiftende Materie, aber auch als umkämpften Gegenstand (kolonialer) Macht- und Forschungsinteressen. Die Forscher reisen mit Fotoapparat, Büchern und Schmetterlingssammlungen, sie behüten ihre Aufzeichnungen wie ihren Augapfel. "Beweise" und "Nachwelt" sind Worte, die häufig fallen.

    Ethnografischer Kinofilm: "Der Schamane und die Schlange"

    Ein alter Kapuzinermönch hat in einer Missionsstation einen kleinen Staat für "wilde" Kinder errichtet, die mit liturgischen Gesängen und Peitschenhieben in die Zivilisation geprügelt werden. Jahre später ist der Ort zu einem Schauplatz des Schreckens geworden: Christliche und naturreligiöse Elemente haben eine wahre Missgeburt hervorgebracht. Guerra schließt in diesen Szenen an ein "klassisch" westliches Narrativ an, das den Dschungel - sei er nun im Kongo oder im Amazonas - als ein Herz der Finsternis begreift.

    Im Zentrum aber versucht sich der Film an einer Revision des ethnografischen Films und seines Blickregimes: Er rückt den Schamanen ins Zentrum der Erzählung und setzt den Dschungel als einen geschichtlichen und identitären Raum in Szene. Der weiße Mann, der sein Grammophon durch den Dschungel schleppt, ist hier das wahrhaft exotische Subjekt. Dabei versteht Karamakate ganz unmittelbar die Bedeutung von Haydn: "Höre auf das Lied Deiner Vorfahren". kna

    Der Schamane und die Schlange

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