Er hat es schon wieder getan, dieser Rezo: Dieser junge Kerl aus dem Internet mit den blauen Haaren hat sich erneut in einem Video schlecht über die Politik der CDU und CSU geäußert. Statt wie vor zwei Jahren eine knappe Stunde lang mit vielen eingeblendeten Quellen und Statistiken die Union generell abzuwatschen, ärgerte sich der studierte Informatiker und Webvideoproduzent diesmal in nur 13 Minuten spontan und eher emotional vor seiner Community über die Corona-Politik von CDU und CSU. Die Politiker machten zu wenig, um die Pandemie einzudämmen: "Nicht zu handeln ist das Schlimmste, das Radikalste und Destruktivste, was du tun kannst."
"Gilt dieser Rezo bei jungen Leuten als cool?", fragte sogleich ein Journalistenhaudegen aus Berlin - natürlich auf Twitter, wo sich bekanntermaßen die "jungen Leute" sicher nicht tummeln. Ebenfalls auf der vor allem von Journalisten und Politikern genutzten Plattform Twitter wies eine Hauptstadtjournalistin darauf hin, von ihrem 15-jährigen Sohn differenziertere Politik-Analysen zu bekommen. "Nur halt ohne blaue Haare, ohne diese Reichweite und ohne Gepöbel". Kleine Randbemerkung, bevor es um den Kern dieser Kritik gehen soll: Einen Menschen, der sein Informatikstudium mit 1,0 abgeschlossen hat und sich über Jahre hinweg mit kreativen Videos eine Millionenreichweite aufgebaut hat, auf seine blauen Haare zu reduzieren - puh…
Das vielfache Geraune ist vor allem das, was jene Kommentatoren Rezo vorwerfen: unterkomplex. An vielen Stellen werden dieselben Maßstäbe an einen "Rant" (so nennen Menschen im Internet einen Wutausbruch) gelegt wie an einen gesitteten Talk bei Anne Will, Maybritt Illner oder Markus Lanz. Die "Zerstörung der CDU" damals sei "was neues" gewesen, schreibt ARD-Moderatorin Anja Reschke, natürlich auf Twitter. Die Kritik, die Rezo in seinem neuen Video äußere, werde "seit einem Jahr überall rauf und runter berichtet. Nur nicht in so platter Wutsprache".
Was all die Kommentatoren übersehen, sind vor allem zwei Punkte:
- Das jetzige Video ist nur ein Ausschnitt aus einem langen Livestream, in dem Rezo auf der Plattform Twitch vor seinen Fans zum Beispiel über die Pflege-Dokumentation von Joko und Klaas auf ProSieben spricht. Solche "React"-Videos macht Rezo regelmäßig. Immer wieder nutzt er sie, um mit seinen Zuschauern in sogenannten "Realtalks" über Dinge zu sprechen, die ihn beschäftigen. Diesmal ging es auch um die Corona-Politik der Unionspolitiker. Wie spontan der Ausbruch war? Unklar. Sehr differenziert war der Beitrag nicht. "Rezo zerstört Corona-Politik" ist aber auch ein anderes Format als "Die Zerstörung der CDU" oder die Analyse in der FAZ. Über diesem Beitrag hier steht ja auch "Debatte" - und nicht "Hintergrund". Für einen "Rant" ist der Autor dieser Zeilen nicht wütend genug - und auf der falschen Plattform unterwegs.
- Rezo wendet sich mit seinen Videos auf Twitch und YouTube nicht an die Kernzielgruppe von Anne Will, Maybritt Illner oder Markus Lanz. In diesen Sendungen wird das von Rezo Angesprochene tatsächlich "seit einem Jahr rauf und runter berichtet". Und zwar in einer Sprache, die kaum weiter weg sein könnte von Rezos "Wutsprache" - weswegen die Kernzielgruppe von Anne Will, Maybritt Illner oder Markus Lanz auch in etwa kohärent mit der Kernzielgruppe von Twitter ist. Stand Mittwochmittag wurde "Rezo zerstört Corona-Politik" fast 700.000 mal angeklickt. Rund 10.000 Menschen haben darunter diskutiert. Wäre das Gesagte wirklich so ausgelutscht - würde es dann dermaßen intensiv rezipiert? Wer die Kommentare durchliest, der wird feststellen: Die Zuschauer von Rezo können sehr wohl differenzieren. Sie setzen sich mit dem Gesagten auseinander, debattieren und verlinken Hintergründe. Ganz so wie es Journalisten und Politiker nach Anne Will auf Twitter tun.
"Rezo zerstört Corona-Politik" hat nicht die Tiefe einer "Zerstörung der CDU". Die Argumentation ist nicht ansatzweise so quellengestützt. Aus Rezo spricht Wut. Er watscht ab. Er hat den Ausschnitt als eigenes Video auf YouTube hochgeladen - natürlich ging es ihm darum, erneut für Aufsehen zu sorgen. Sonst hätte er den "Realtalk" als Teil seines Videos auf Twitch stehen lassen können. All das sind Ansatzpunkte für Kritik, die aber eben auch im Zusammenhang mit dem gewählten Format zu betrachtet sind. Was sie aber zu selten werden.
Rezo kritisiert auf YouTube Corona-Politik - Tausende junge Menschen diskutieren
Rezo ist kein hauptberuflicher Journalist - auch wenn ihm eine Jury den Nannen Preis verliehen hat. Rezo ist Webvideoproduzent. Rezo beherrscht, was so manch einer der Kommentatoren offensichtlich nicht beherrscht: von Format zu Format bezüglich Tonalität und Inhalt zu unterscheiden. Und eine Sprache zu sprechen, die vor allem auch bei jungen Menschen einen Denkprozess auslöst.
Viele Reaktionen auf das Rezo-Video sind dem eigentlichen Thema, das gerade Tausende junge Menschen auf YouTube diskutieren, jedenfalls nicht angemessener als der 13-Minuten-"Rant".
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