Dieser Text wird mir um die Ohren fliegen. Vor allem in den sozialen Netzwerken, die so oft zu asozialen Netzwerken verkommen. Er wird von „oben herab“ empfunden werden, als Rechtfertigungsmonolog eines besserwisserischen, sich selbst bemitleidenden Journalisten. Und einem Journalisten sei ja ohnehin nicht zu trauen, schreiben täglich Verschwörungstheoretiker oder Rechte – und nicht nur sie – auf Facebook. Montäglich skandieren die Pegidisten: „Systempresse“, „Lügenpresse“; alle Journalisten seien „gleichgeschaltet“, „gekauft“ und/oder „gelenkt“. Von der Politik, von Angela Merkel, von der CIA.
Journalisten rangieren in der "Berufsprestige-Skala" im unteren Mittelfeld
Nun, ich stehe weder auf der Gehaltsliste des US-Geheimdienstes noch erhalte ich Anweisungen aus dem Kanzleramt. Und die Schere im Kopf? Ich habe keine Kopfverletzung. Dieser Text ist übrigens ein Meinungsstück. Schreiben Sie mir, rufen Sie mich an – lassen Sie uns ins Gespräch kommen über die Medien oder diese Zeitung. Aber ersparen Sie uns Gespräche wie das folgende, das ich hier aus dem Gedächtnis heraus wiedergebe:
Anrufer: „Ich habe eine Stinkwut auf alle Afrikaner.“
Ich: „Das müssen Sie erklären.“
Anrufer: „Ein Afrikaner hat in meiner Nähe herumgehustet. Überall hin. Er hat mich angesteckt.“
Ich: „Und deshalb sind Sie auf alle Afrikaner wütend? Im Ernst?“
Anrufer: „Ich weiß auch, dass Afrikaner Vergewaltiger sind.“
Ich: „Nicht alle Afrikaner sind Vergewaltiger.“
Anrufer: „Wusste ich’s doch. Sie sind auch so ein Gutmensch.“
Es folgten Beschimpfungen, ich musste das Gespräch abbrechen. Eine Ausnahme, wenn auch eine bezeichnende: Zwischen einem Teil der Mediennutzer und (einem Teil der) Medien ist das Verhältnis gestört. Wie groß dieser Teil der Empörten ist? Vielleicht wissen das die Experten. Medienethiker Alexander Filipovic jedenfalls hat festgestellt: Der Ton wird schärfer. Es ist etwas in die Brüche gegangen, schwierig zu sagen, wann oder wie genau diese Entwicklung einsetzte. Gewiss nicht erst im Laufe der Griechenland- und Euro-Krise, der Ukraine- und Krim-Krise, der Flüchtlingskrise, wegen „Köln“.
Seit Jahrzehnten befasst sich das Institut für Demoskopie Allensbach mit dem Ansehen bestimmter Berufe in der Bevölkerung. In der noch aktuellen „Berufsprestige-Skala 2013“ lag der Journalist im unteren Mittelfeld – dort hält er sich in den letzten beiden Jahrzehnten „verhältnismäßig stabil“. Journalisten können damit umgehen.
„Eisenstange zu verschenken. Treffpunkt auf dem Parkplatz“
Problematisch wird es, wenn als Reaktion auf einen Artikel in einer Mail an einen Kollegen steht: „Eisenstange zu verschenken. Treffpunkt nach Redaktionsschluss auf dem Parkplatz.“ Problematisch ist es für Journalisten und die Medien, für die sie arbeiten, wenn ihnen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Wenn sie unter Generalverdacht gestellt werden. Wenn Mediennutzer in Medien nicht mehr finden, was sie in ihrem (unmittelbaren) Alltag umtreibt, ja ängstigt. Und wenn ein Dialog mit einem Teil von Lesern, Zuschauern oder Zuhörern unmöglich ist – weil diese nicht bereit sind zum Meinungsaustausch.
Spätestens „seit Köln“ lautet der Vorwurf: Medien verschweigen die Herkunft eines mutmaßlichen Straftäters aus politischen oder pädagogischen Gründen. Darüber muss diskutiert werden. Wie über Richtlinie 12.1 des Pressekodex, in dem geregelt ist, wie Journalisten mit der Religion oder Herkunft mutmaßlicher Straftäter verfahren sollten. Es muss jedoch offenbar auch und immer wieder ganz grundlegend erklärt werden: Journalisten können gar nicht alles schreiben, was sie wissen – um Informanten zu schützen oder, etwa bei Suiziden, Nachahmer zu vermeiden. Zu ihrem Beruf gehört es, Fakten zu recherchieren, zu gewichten und einzuordnen. Das nennt man Qualitätsjournalismus.
Wer von Manipulation oder Lüge spricht, versteht nicht, was Journalisten tun. Oder will es nicht verstehen. Der Vorwurf des Verschweigens eignet sich als pauschale Kritik ebenso wenig, wie der vor nicht langer Zeit verbreitete Vorwurf der „Medienhatz“, wie er bei (Alt-)Bundespräsident Wulff und dessen (vermeintlichen) Skandalen beliebt war.
Medien machen Fehler, vor allem die Bild betreibt Kampagnenjournalismus – eine gesteuerte, medienübergreifende Kampagne, die Wulff „zerstören“ wollte, gab es nicht. Damals wie heute, „nach Köln“, nahm die Medienkritik hysterische Züge an. Hysterie aber schadet jeder sachlichen Debatte – auch der über Funktion und Probleme des Journalismus. Diese Debatte wird fortwährend geführt, besonders von Journalisten. Das dürfen Sie mir glauben.