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Costa Concordia: Der Schettino in uns allen

Costa Concordia

Der Schettino in uns allen

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    Kapitän Francesco Schettino (r.) bei seiner Festnahme. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft.
    Kapitän Francesco Schettino (r.) bei seiner Festnahme. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft. Foto: dpa

    Am Anfang war der Felsen im Meer, die Toten, die sinkende Costa Concordia, ihr Kapitän. Und nicht wenige, die die Bilder von Francesco Schettino sahen, meinten, die Antwort auf die Frage nach der Schuld an dem Unglück schon vor sich zu sehen. Gerade in Italien. Dieser Mann mit dem Zuviel an Körperspannung und Bauch, mit dem aufgeknöpften weißen Hemd, der offensiven Brustbehaarung. Wäre die blonde Tänzerin aus Moldawien tatsächlich seine Geliebte, es würde allzu gut in das Bild dieses Typs passen. Dieses Stereotyps von einem Italiener.

    Francesco Schettino, 52, der Kapitän, der sein sinkendes Schiff verließ, ist, weit bevor die Gerichte ein Urteil über seine mögliche Schuld oder Unschuld sprechen können, Gegenstand einer eigentümlichen Debatte geworden. Es geht dabei um den „Schettino in uns allen“. Der Diskurs spiegelt etwas von der Befindlichkeit Italiens wider, auch wenn er zunehmend losgelöst ist von den sich allmählich versendenden Nachrichten über das Unglück, die Opfer, ihre Angehörigen und die immer schwieriger werdenden Bergungsarbeiten.

    So ziemlich am Anfang und zugleich noch immer im Zentrum dieser Debatte war das, was Massimo Gramellini schrieb. In seiner La-Stampa-Kolumne „Buongiorno“ stand vor ein paar Tagen: „Ich wünsche mir, dass nicht alles, was über Schettino gesagt wird, wahr sei. Auch die Sündenböcke haben Anrecht auf Nachlass. Aber wenn auch nur die Hälfte wahr wäre, dann sähen wir noch immer den Typ eines Italieners, den zu kennen wir nicht leugnen können. Mehr von sich selbst eingenommen als wirklich von sich überzeugt. Ohne das Bewusstsein für die Pflichten, die zu seiner Aufgabe gehören. Der eine Dummheit begeht, nur um anzugeben. Und der dann versucht, zu verbergen, was war, indem er wie ein Mantra wiederholt: ,Tutto bene, kein Problem‘.“ Gramellini umschreibt die Zeilen eines Liedes von Giorgio Gaber: „Ich habe nicht Angst vor dem eigentlichen Schettino, aber ich habe Angst vor dem Schettino in mir.“

    Die schlimmsten Schiffsunglücke

    Titanic, Estonia, Sewol: Schiffsunglücke fordern oft hunderte Menschenleben. Eine - unvollständiger - Überblick über die größten Katastrophen:

    16.12.1900: Gneisenau Sie war ein deutsches Segel-Schulschiff. Das tragische Unglück ereignete sich im Hafen von Malaga. Über 40 junge Menschen und mindestens 12 spanische Retter starben, als das Schiff vom Sturm gegen die Mole getrieben wurde und im Meer versank.

    15.06.1904: General Slocum Deutsche Einwanderer charterten den Raddampfer "General Slocom" und machten einen Ausflug auf dem East River in New York. Als das Schiff Feuer fängt, bricht Panik aus. Mehr als 1000 Menschen fanden den Erstickungstod oder ertranken.

    12.03.1907: Panzerschiff Iéna Das französische Schiff lag vor Toulon, als plötzlich die Pulverkammer explodierte. 120 Mitglieder der Besatzung starben, 150 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

    15.04.1912: Titanic Das wohl berühmteste Schiffsunglück ist der Untergang der "unsinkbaren" Titanic. Sie befand sich auf ihrer Jungfernfahrt nach New York und rammte einen Eisberg. Nach 2 Stunden und 40 Minuten war sie untergegangen und hatte um die 1500 Menschen in den Tod gerissen. Gerade einmal 700 überlebten die Katastrophe.

    29.05.1914: Empress of Ireland Der irische Luxusliner prallte im St. Lorenz Strom mit dem norwegischen Kohlendampfer "Storstad" zusammen. Die Empress of Ireland geht unter. Rund 1000 Passagiere fanden den Tod.

    06.12.1917: Mont Blanc & Imo Die Mont Blanc war ein französisches Munitionsschiff. Im Hafen von Hallifax kollidierte sie mit dem belgischen Frachter "Imo". Die Munition explodierte und weite Teile der Stadt wurden vernichtet. An die 2000 Menschen kamen dabei ums Leben, zahlreiche wurden schwer verletzt.

    26.10.1927: Principessa Mafalda 1200 Menschen blickten hoffnungsfroh in die Zukunft, als sie 1927 auf einem Schiff Italien verließen, um woanders ein neues Leben zu beginnen. 314 von ihnen starben, als die Principessa Mafalda vor der brasilianischen Küste unterging.

    14.06.1931: Saint-Philibert Als das Ausflugsdampfer in der Loire-Mündung versank, verloren mehr als 500 Passagiere ihr Leben.

    21.09.1957: Pamir Das deutsche Segel-Schulschiff gerät westlich der Azoren in einen Sturm und kann den Urgewalten nicht standhalten. 80 Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Nur sechs Mann blieben am Leben.

    23.01.1977: Lucona Das Frachtschiff versank im Indischen Ozean, zunächst ohne ersichtlichen Grund. Später fand man heraus, dass es mitsamt der Besatzung absichtlich versenkt wurde. Udo Proksch, dem die Wiener Konditorei "Demel" gehört, wollte auf diese Weise seine Versicherung betrügen.

    16.03.1978: Amoco Cadiz Der Öltanker havarierte vor der nordfranzösischen Küste. Über 200 Kilometer entlang der Strandlinie wurden verheerende Umweltschäden verursacht.

    13.12.1978: MS München Das deutsche Frachtschiff ist samt der 28-köpfigen Crew bis heute verschwunden. Es geriet nördlich der Azoren in einen gewaltigen Sturm und sendete Notsignale. Eine internationale Rettungsaktion blieb erfolglos.

    11.08.1979: Admirals Cup Der Admirals Cup ist eine Hochsee-Regatta. Ein Teil davon ist das Fastnet Race von Südengland nach Irland und zurück. 1979 wurde das Regattafeld von einem Orkan heimgesucht. Mehr als 300 Schiffe waren in Gefahr. 19 Menschen kamen um.

    06.03.1987: Herald of Free Enterprise Auf dem Fährschiff starben knapp 200 Passagiere. Es versank kurz nachdem es vom belgischen Hafen losgefahren war. Um schneller ablegen zu können, wurde das Bugtor erst unterwegs geschlossen.

    28.09.1994: Estonia Die Estonia war nach Stockholm unterwegs, als plötzlich die Bugklappe abgerissen wurde. Das Schiff läuft sofort voll. Mehr als 850 Menschen sterben. Bis heute sind die genauen Umstände der Katastrophe nicht geklärt.

    03.02.2006: Al Salam Boccaccio 98 Als auf der ägyptischen Fähre Feuer ausbricht, beginnt das Schiff zu sinken. Die Ursachen sind nicht bekannt, aber wahrscheinlich hat das Löschwasser die Fähre zum Kentern gebracht. Ungefähr 1000 Passagiere finden im Roten Meer ihren Tod.

    Um den „Schettino in uns“ kann man lange räsonieren. Ob es ihn gibt, wer ihn in sich trägt und was das für das Land heißt. Gut ist, dass es zugleich einen Gegen-Schettino gibt: den Helden Gregorio de Falco. Hager und asketisch anmutend steht der öffentlichkeitsscheue Kommandant der Küstenwache in Livorno für alles, was Schettino fehlt. Vor allem für Pflichtbewusstsein und einen kühlen Kopf. Man kann diesen Teil der Debatte auf zwei inzwischen berühmte Sätze verkürzen.

    Es glauben noch welche an Schettinos Redlichkeit

    Der eine steht auf einem Plakat in dem Heimatort Schettinos bei Neapel. Schüler des nautischen Instituts sollen ihn geschrieben haben: „Non mollare capitano – Nicht aufgeben, Kapitän.“ Der Satz spricht für jene, die an die Redlichkeit Schettinos glauben, die längst noch nicht von seiner (Allein-)Schuld überzeugt sind.

    Der andere berühmte Satz ist jener Befehl, den de Falco in den Hörer während des berüchtigten Telefonats in der Unglücksnacht bellte: „Vada a bordo, cazzo – Gehen Sie verdammt noch mal an Bord.“ Auch wenn das nie de Falcos Absicht gewesen ist, zementierten diese Worte, sobald sie öffentlich waren, das Image des feigen Kapitäns, den kein Italiener in sich haben möchte.

    Während sich die Angst über den „Schettino in sich“ aber nach innen richtet, gibt es natürlich die Angst über das Bild Italiens in der Welt: „Hier haben wir also einen Schettino, der die von Berlusconi hinterlassene Lücke auf dem Feld Blamagen und Lügen füllt und das Entsetzen der Welt auf sich vereint.“

    Auch das schreibt La Stampa. Und Beppe Severgnini, bekannt für seine Nationenporträts, schreibt im Corriere della Sera, dass Probleme in Italien immer bildgewaltig seien. Severgnini: „Gibt es südlich der Alpen Schwierigkeiten, dann produzieren diese aber jedenfalls perfekte Bilder für die Aufmacherseiten der Welt.“

    Auch in dieser Woche wird das so sein. Die Costa Concordia bleibt das Thema, auch wenn das Unglück inzwischen zum „Format für eine Soap“ verkommen ist, wie der Kolumnist Aldo Grosso gestern wütend schrieb. Aber gerade deshalb werden wieder Bilder von Giglio weltweit gedruckt werden. Und die Italiener werden weiter darüber debattieren, was das Unglück für Italien bedeutet.

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