Wenn Negativwerbung wirkt, wie Fachleute behaupten, dann stehen der europaweiten Corona-Drehscheibe Ischgl eine ungetrübte Sommersaison und eine neuerlich starke Wintersaison bevor. Der Ski- und Party-Ort Ischgl im Tiroler Paznauntal kommt nicht aus den Schlagzeilen.
Am Donnerstag wurde eine Studie der Universität Innsbruck publik, die wirklich Erstaunliches zutage gefördert hat. 42,4 Prozent der Einwohner wiesen im Untersuchungszeitraum 21. bis 27. April Antikörper gegen das Virus im Blut auf. Ischgl hat 1.600 Einwohner. Nahezu die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung Ischgls hat also eine Infektion mit dem Coronavirus durchgemacht.
In Ischgl wurde der bisher höchste Wert an Infizierten gemessen
Das ist der höchste bisher wissenschaftlich belegte Wert weltweit und wohl ein neuerlicher Beleg dafür, wie ungestört sich das Coronavirus in den Diskotheken und Après-Ski-Bars Ischgls ausbreiten konnte. Die Studie ist auch Wasser auf die Mühlen der Kläger in Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern Europas, die den Behörden eine zu träge Reaktion auf die Gefahren des Virus vorwerfen. Ischgl steht angesichts der Versäumnisse vor Ort und der späteren Rechtfertigungsversuche der Tiroler Landespolitik für Profitgier und Verantwortungslosigkeit.
Die ersten Warnungen waren schon am 5. März aus Island gekommen. Heimreisende, die zuvor im Skiurlaub in Tirol gewesen waren, wurden positiv auf Corona getestet. Doch es dauerte bis zum 13. März, ehe die österreichischen Behörden Ischgl und andere bekannte Skiorte wie St. Anton am Arlberg unter Quarantäne stellten.
Das Coronavirus hat sich in Ischgl wohl schon Mitte Februar ausgebreitet
Für Studienleiterin Dorothee von Laer, Chef-Virologin an der Medizinischen Universität Innsbruck, legen die Ergebnisse ihrer Untersuchung nun nahe, dass sich das Virus schon ab Mitte Februar in Ischgl unbemerkt ausgebreitet haben dürfte. Dazu sei freilich noch eine vertiefende Studie nötig.
Doch das ist dem österreichischen Verbraucherschützer Peter Kolba egal. Er vertritt mit seinem Sammelklage-Verein VSV rund tausend Kläger, darunter auch viele deutsche Urlauber. Kolba jubelte am Donnerstag bereits über die Innsbrucker Studie: „Damit fällt die Argumentation der Tiroler Behörden in sich zusammen. Hätte man bei Personen mit ersten – vielleicht auch unklaren – Symptomen immer gleich getestet, dann wäre das auch bekannt gewesen und die Behörden hätten das Paznauntal zumindest eine Woche früher unter Quarantäne stellen müssen.“ Kolba ist überzeugt: „Das hätte tausende Touristen vor einer Infektion mit teils schweren Folgen bewahrt.“
Interessant ist auch die erstaunlich hohe Dunkelziffer. So waren nur 15 Prozent der Menschen, die jetzt Antikörper im Blut haben, zuvor mittels PCR-Test positiv auf das Virus getestet worden. Im Umkehrschluss heißt das: 85 Prozent hatten gar keine oder so geringe Symptome, dass sie nicht getestet wurden und auch nichts vom Virus in ihrem Körper ahnten. „85 Prozent haben die Infektion also unbemerkt durchgemacht“, sagt Studienleiterin Dorothee von Laer.
Antikörperstudie in Ischgl: Etwa 80 Prozent der Einwohner wurden untersucht
In Ischgl selbst gab es zwei Todesfälle nach einer Corona-Infektion, neun Patienten mussten im Krankenhaus versorgt werden, einer davon auf der Intensivstation. Wie viele Todesfälle in ganz Europa letztlich auf Ischgl zurückzuführen sind, ist wohl kaum belegbar.
An der Studie haben rund 80 Prozent der Einwohner Ischgls teilgenommen – davon 1.259 Erwachsene und 214 Kinder. Durch ein mehrstufiges Verfahren liege die Genauigkeit der Tests bei 100 Prozent, soll heißen, es gibt keine falsch positiv Getesteten. Wichtig zu wissen ist: Trotz des hohen Anteils an Menschen mit Antikörpern gehen die Forscher nicht davon aus, dass in Ischgl die viel diskutierte Herdenimmunität erreicht wurde. Dies dürfte erst bei einem Anteil von 60 bis 70 Prozent immuner Personen der Fall sein. Entscheidend für den Rückgang der Fälle seien die Quarantäne und das Einhalten der Abstandsregeln gewesen, hieß es.
Die Quarantäne über Ischgl ist freilich längst aufgehoben und die Hotels und Bars werben bereits wieder um Gäste – vorerst um Sommergäste, also Wanderer und Erholungssuchende. Ob die berühmt-berüchtigten Après-Ski-Bars wie das „Kitzloch“ oder das „Schatzi“ oder die Disco „Kuhstall“ im Winter so einen Ansturm an Partygängern sehen werden wie in den vergangenen Jahren, steht in den Sternen.
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