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Corona in Italien: Mitten in der Pandemie zwingt die Mafia das Gesundheitssystem in die Knie

Corona in Italien

Mitten in der Pandemie zwingt die Mafia das Gesundheitssystem in die Knie

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    Fertigmachen für einen neuen Tag auf einer italienischen Intensivstation. Das Gesundheitssystem im Land steht seit vielen Jahren am Rande des Kollaps. Die Corona-Pandemie und die Mafia setzen ihm noch mehr zu.
    Fertigmachen für einen neuen Tag auf einer italienischen Intensivstation. Das Gesundheitssystem im Land steht seit vielen Jahren am Rande des Kollaps. Die Corona-Pandemie und die Mafia setzen ihm noch mehr zu. Foto: Alessandra Tarantino/AP, dpa

    Die moderne Mafia tummelt sich da, wo besonders viel Geld fließt. Nicht nur in Italien wirkt der Gesundheitssektor deshalb wie prädestiniert für die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität. In der süditalienischen Region Kalabrien, wo die Corona-Pandemie aufgrund des desaströsen Zustands des Gesundheitswesens besonders starke Auswirkungen hat, ist die Kombination besonders dramatisch.

    Hier fließen im Jahr rund 60 Prozent des regionalen Bruttosozialprodukts in das Gesundheitswesen, das ist etwa doppelt so viel wie in nördlichen Regionen Italiens. In Kalabrien mit seinen nur rund zwei Millionen Einwohnern ist zudem die wohl einflussreichste Mafia-Organisation beheimatet, die ‘Ndrangheta, deren jährlicher illegaler Umsatz vor Jahren auf 54 Milliarden Euro geschätzt wurde.

    Es ist also kaum verwunderlich, dass die Staatsanwaltschaft aus der Regionshauptstadt Catanzaro gerade erst 19 Unternehmer, Anwälte und Steuerberater sowie hauptberufliche Mafiosi verhaften ließ, die sich an den Schnittstellen zwischen Politik, Gesundheitswesen und Mafia bewegten. Unter ihnen befand sich auch Domenico Tallini, Präsident des Regionalparlaments und Mitglied in der Berlusconi-Partei Forza Italia. Tallini soll nach Erkenntnissen der Ermittler 2014 dem berüchtigten ‘Ndrangheta-Clan Grande Aracri aus Cutro die Geschäfte erleichtert haben.

    Die Mafia in Kalabrien wollte Medikamente zu Wucherpreisen verkaufen

    Der Clan war dabei, ein eigenes, „Consorzio Farma Italia“ genanntes Apotheken-Netzwerk aufzubauen. Er wollte kostbare und in Kalabrien streng rationierte Krebsmedikamente international zu Wucherpreisen verkaufen. Der Clan investierte in das Netz, Tallini, damals Personalchef der Regionalverwaltung, beseitigte die Probleme. Er soll willfährige Beamte eingesetzt haben, die dem Apothekenkonsortium die Genehmigungen erteilten, für Infrastruktur gesorgt und Apotheken gesucht haben, die sich dem Konsortium anschließen wollten. Dafür, so behauptet die Staatsanwaltschaft, wurde sein Sohn angestellt.

    Aber vor allem bekam Domenico Tallini tausende Wählerstimmen und zog damit ins Parlament ein. Die Staatsanwälte um Nicola Gratteri gaben ihrem Ermittlungsverfahren den Namen „Farmabusiness“. Es ist der am wenigsten bekannte, aber inzwischen besonders relevante Geschäftszweig der italienischen Mafia.

    Vergangene Woche demonstrierten Bürgermeister aus der Region Kalabrien gegen die Administration des  Gesundheitskommissars.
    Vergangene Woche demonstrierten Bürgermeister aus der Region Kalabrien gegen die Administration des Gesundheitskommissars. Foto: Roberto Monaldo/LaPresse via Zuma Press, dpa

    Die Ermittlungen fallen mitten in die Zeit der Corona-Pandemie. Das Gesundheitssystem Italiens ist dabei bereits an seine Grenzen geraten, in Kalabrien sieht es noch einmal finsterer aus. Die Ansteckungszahlen steigen rapide. Doch weniger die epidemiologische Lage, sondern das völlig marode Gesundheitssystem der Region haben dazu geführt, dass Kalabrien wie auch die viel heftiger betroffene Lombardei von der Regierung als rote Zone mit den stärksten Einschränkungen in Italien eingestuft wurde.

    Ein Experte sagt: Das Gesundheitswesen ist in der Hand der ‘Ndrangheta

    Auf zwei Milliarden Euro werden die staatlichen Schulden im kalabrischen Gesundheitssystem taxiert. Seit 2010 wird der Sektor wegen Mafia-Infiltrationen von einem Kommissar geleitet. Die Zwangsverwaltung hat den Geschäften der Mafia aber offenbar nicht geschadet. „Das Gesundheitswesen ist stabil in der Hand der ‘Ndrangheta“, schreibt Bestseller-Autor und Mafia-Experte Roberto Saviano. Zwar seien Krankenhäuser geschlossen und Personal gekürzt worden, der Sektor sei aber nicht wie notwendig restrukturiert worden.

    Wie verwurzelt die ‘Ndrangheta im Gesundheitssystem ist, zeigen frühere Fahndungserfolge. Dabei kam heraus, dass die Clans Arztpraxen, Forschungszentren und Labors kontrollieren. Bosse waren am Bau von Krankenhäusern beteiligt, sie entschieden Ausschreibungen für Reinigungsarbeiten für sich und waren sogar an der Berufung von Chefärzten beteiligt.

    Die beiden Auftraggeber für den Mord im Jahr 2005 am Politiker und Arzt Francesco Fortugno, der den Ermittlern die Verstrickungen der Mafia im Sektor gesteckt hatte, waren zwei Mafiosi, die als Krankenpfleger im Krankenhaus Locri beschäftigt waren. 70 Prozent der Korruptionsfälle im italienischen Gesundheitssektor seien in Kalabrien, Kampanien, Apulien und Sizilien festgestellt worden, meldet die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International.

    Die Regierung in Rom, die die Region Anfang November als rote Zone einstufte, ist seit Tagen auf der Suche nach einem Manager, der in Kalabriens Gesundheitswesen das Heft in die Hand nimmt. Drei Kandidaten verschlissen sich innerhalb von zehn Tagen. Kandidat eins und zwei waren offensichtlich ungeeignet. Die Absage des dritten Kandidaten wurde damit begründet, dass dessen Ehefrau nicht nach Catanzaro umziehen wolle. Nun soll die Hilfsorganisation Emergency sowie der italienische Zivilschutz eingreifen. Beide Organisationen sind spezialisiert auf Katastrophenhilfe.

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