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Corona-Lockdown: Wie die Regierung in Österreich den harten Lockdown rechtfertigt

Corona-Lockdown

Wie die Regierung in Österreich den harten Lockdown rechtfertigt

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    Bundeskanzler Sebastian Kurz (Mitte) sagt: "Wir sind von der zweiten Welle nicht überrascht worden."
    Bundeskanzler Sebastian Kurz (Mitte) sagt: "Wir sind von der zweiten Welle nicht überrascht worden." Foto: Herbert Neubauer/APA, dpa

    Lange hat die Regierung dem Infektionsgeschehen zugesehen – zu lang, sagen Kritiker. Jetzt ist es wieder so weit: Österreich fährt herunter. In der nacht von Montag auf Dienstag tritt erneut ein scharfer Lockdown in Kraft, inklusive strenger Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen. Die Details der neuen Verordnung waren schon in den vergangenen Tagen an die Medien durchgesickert, am Samstagnachmittag trat die Regierungsspitze dann vor die Kameras.

    Von einer „Vollbremsung“ sprach ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Treffen Sie niemanden!“, forderte er die Menschen im Land auf. Den Wohnbereich zu verlassen, ist ab Dienstag nur mehr aus neun Gründen erlaubt. Dazu zählen die Versorgung von Angehörigen oder nahestehenden Personen, die Deckung der Grundbedürfnisse, berufliche Tätigkeiten oder physische und psychische Erholung.

    Wie im Frühjahr bleiben außer Banken, Supermärkten, Apotheken und der Post alle Geschäfte wie auch alle Gastronomiebetriebe geschlossen. Die Schulen bieten nur einen „Notbetrieb“ an – wer nicht in der Lage ist, seine Kinder zu Hause zu unterrichten, kann diese in die Schule bringen. Ein Regelunterricht findet dort aber nicht statt, die Kinder werden lediglich von Lehrern betreut, etwa bei den Hausaufgaben.

    Kanzler Kurz spricht von "Schulschließungen". Die Grünen tun das nicht

    Bemerkenswert ist deshalb, wie die Regierungsparteien ÖVP und Grüne dieses hoch umstrittene Thema kommunizieren. Während der Kanzler von „Schulschließungen“ spricht, beteuern die Grünen das Gegenteil und betonen, die Schulen würden geöffnet bleiben. Das Thema führte im Vorfeld des Lockdowns zu einer äußerst polarisierten und emotionalen Debatte, es hagelte förmlich Studien über die wirtschaftlichen Schäden von Schulschließungen und die Infektiosität von unter 14-Jährigen.

    Auf tausende Eltern, ob Homeoffice oder nicht, kommt nun für die kommenden drei Wochen bis zum 6. Dezember eine erneute Belastungsprobe zu. Es ist die Konsequenz eines erratischen und zögernden Kurses wie auch eines internen Konflikts des Bundeskanzlers und seines grünen Gesundheitsministers Rudolf Anschober.

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    Vergangene Woche kletterte Österreich mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 554 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner im negativen Sinne weltweit auf Platz eins. Gesundheits- und Innenministerium schafften es über all die Monate seit dem Sommer nicht, ein stringentes und stimmiges Zahlenmanagement der Neuinfektionen zu koordinieren. Zuletzt sprach man von „IT-Problemen“, die man rasch beseitigen wolle.

    Vergangene Woche schließlich musste der Statistiker Niki Popper, der für die Regierung die Corona-Modelle berechnet, eingestehen, dass die „sanften“ Maßnahmen wohl „zu wenig greifen“. Der schwierigen Datenlage sei es eben geschuldet, dass man keine belastbaren Modelle erstellen könne, sagte er im ORF.

    Auf den Intensivstationen in Österreich werden die Betten knapp

    Gemeldet wurden vergangene Woche im Schnitt über 7000 Neuinfektionen, an manchen Tagen waren es weit über 9000. In den Kliniken werden schon seit Ende Oktober die Intensivbetten knapp. In Oberösterreich, wo die Situation besonders dramatisch ist, steht die Auslastung kurz bevor. Mediziner aus allen Bundesländern wandten sich mit Video-Botschaften an die Bevölkerung und forderten eindringlich auf, Abstandsregel und Maskenpflicht einzuhalten. Die Rückverfolgung von Infektionsketten war in manchen Bundesländern bereits Mitte Oktober mehr oder weniger zusammengebrochen, bundesweit können Stand Sonntag nur mehr 23 Prozent der neu gemeldeten Fälle rückverfolgt werden.

    Doch die Regierung zögerte. Noch in der Woche vor dem am 3. November in Kraft getretenen „weichen Lockdown“ sprach Gesundheitsminister Anschober davon, dass man „weit davon entfernt“ stehe, die Maßnahmen zu verschärfen. Die Kapazitäten in den Krankenhäusern schätzte Anschober völlig falsch ein: „Da ist noch Luft da“, sagte er.

    Nur drei Tage später sah Anschober dann plötzlich „dringenden Handlungsbedarf“. Die Infektionszahlen, die er für die ersten Novemberwochen prognostizierte, waren noch einmal zwei Tage später Realität. Die von Anschober erfundene „Corona-Ampel“ steht schon seit Wochen für das gesamte Land in einheitlichem Rot.

    Kurz sagt: "Wir sind von der zweiten Welle nicht überrascht worden"

    „Wir sind von der zweiten Welle überhaupt nicht überrascht worden“, sagte zu all dem Sebastian Kurz am Sonntag in der ORF-Sendung „Pressestunde“ – eine Aussage, die ob der zugespitzten Situation in den Krankenhäusern und den enormen wirtschaftlichen und sozialen Kosten, die der neuerliche harte Lockdown fordern wird, vielfach für Verwunderung sorgt. Der Kanzler kündigte zudem Massentests nach dem Vorbild der Slowakei an.

    Die „Eigenverantwortung“, die die Regierung seit dem Frühjahr von der Bevölkerung immer wieder verlangte, dürfte endlich gewesen sein. Es grassiert Corona-Müdigkeit, immer mehr Österreicher wenden sich resigniert ab. Am Samstag kursierten Bilder von Schlangen Einkaufslustiger und überfüllten Geschäften in der Shoppingmeile Mariahilfer Straße in Wien.

    Das Ziel des Lockdowns ist, ab dem 6. Dezember wieder "schrittweise hochzufahren“ - um das Weihnachtsgeschäft noch zu retten, sagte die Regierungsspitze um Kurz.

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