Als Timo Balz zum ersten Mal nach fast zwei Monaten die Straße vor seiner Wohnsiedlung betritt, zückt der 45-jährige Schwabe sein Smartphone und verschickt euphorisch Selfies an seinen Freundeskreis. Der erste Gang in Freiheit führt ihn schließlich zum nächstgelegenen Supermarkt, direkt ans Süßigkeitenregal: „Ich habe Unmengen Chips und Schokoriegel geholt“, erinnert sich der Professor für Fernkunde an der Universität Wuhan.
Die letzten Wochen über hat die vierköpfige Familie Balz ausschließlich in ihrem Apartment verbracht, von wo das Nachbarschaftskomitee regelmäßig Lebensmittellieferungen vor die Tür gestellt hat. Für Gemüse, Reis, ja auch Fleisch war gesorgt. Doch die erste Tüte Paprika-Chips nach dem Aufheben der Ausgangssperre werden die zwei Kinder von Balz wohl nicht so schnell wieder vergessen.
Wuhans Bewohner dürfen ab Mittwoch wieder die Stadtgrenze verlassen
Nachdem bereits erste Einschränkungen innerhalb der Stadt teilweise gelockert wurden, wird Wuhan an diesem Mittwoch wieder eröffnet: Dann nämlich dürfen die Bewohner erstmals seit dem 23. Februar wieder die Stadtgrenze verlassen.
Mit über 2500 Virustoten entfallen rund drei Viertel aller landesweiten Covid-19-Opfer auf die zentralchinesische Stadt. In Wuhan hat das Virus tiefe Narben in der kollektiven Psyche hinterlassen. Für Jahrzehnte wird der Erreger mit der Stahl- und Industriestadt verbunden bleiben.
Für Timo Balz, mutmaßlich dem letzten verbliebenen Deutschen in der Stadt, fühlt sich das Leben in Wuhan schon wieder langsam normal an: Die Gärtner stutzen wieder den Rasen im Vorhof. Und von der Straße hört man wieder Menschenlärm.
Übergang zur Normalität soll mit Smartphone-App kontrolliert werden
In den sozialen Netzwerken Chinas lassen sich Szenen dieses neuen Normalzustands in Wuhan ausmachen: Erste Hobby-Angler haben sich bereits am Ufer des Jangtse angesammelt. Die Passanten auf den Straßen tragen Gesichtsmasken, teilweise auch medizinische Schutzbrillen und -handschuhe. Eine chinesische Endzwanzigerin berichtet, dass die Stimmung nach wie vor angespannt sei. Eine zweite Infektionswelle könne schließlich jederzeit ausbrechen.
Denn noch immer gibt es potenziell tausende asymptomatische Virusträger in der Stadt. Um den Übergang zur Normalität möglichst zu kontrollieren, bekommen die Bewohner über eine Smartphone-App einen farbigen QR-Code zugewiesen. Nur wer nachweislich 14 Tage ohne Symptome ist, bekommt einen grünen Code und darf sich frei innerhalb der Stadt bewegen.
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