Im Kampf gegen das Coronavirus liefern sich Forscher mit mehr als 170 Projekten auf der ganzen Welt ein Rennen um einen Impfstoff. Die meisten Experten gingen davon aus, dass ein solches Mittel erst 2021 auf den Markt kommen würde. In Russland aber haben die Gesundheitsbehörden schon jetzt den weltweit ersten Corona-Impfstoff zugelassen. Das Vorgehen Russlands wirft Fragen auf. Was über den Corona-Impfstoff aus Russland bekannt ist und was nicht, lesen Sie in unserer Übersicht.
Was ist über den weltweit ersten zugelassenen Corona-Impfstoff aus Russland bekannt?
Es handelt sich um ein Präparat, das das staatliche Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt hat. Der Stoff ist als "Gam-COVID-Vac Lyo" in einer Datenbank für klinische Studien registriert und soll unter dem Namen "Sputnik V" vermarktet werden. Es ist ein sogenannter Vektorimpfstoff. Dabei wird ein harmloses Virus - hier Adenoviren - als Transporter genutzt, um genetische Informationen für ein Eiweiß des Sars-CoV-2-Virus in den Körper zu schleusen. Ziel ist es, dass das Immunsystem Antikörper gegen das Eiweiß bildet und andere Abwehrreaktionen hervorruft. Bei Kontakt mit dem Coronavirus wäre der Körper vorbereitet und könnte die Infektion besser eindämmen.
Welche Bevölkerungsgruppen werden in Russland zuerst geimpft?
Russlands Gesundheitsminister Michael Muraschko erklärte am Dienstag der Agentur Interfax zufolge, dass zunächst Ärzte und Lehrer geimpft werden sollen. Später könne sich auch schrittweise der Rest der russischen Bevölkerung impfen lassen. In einem Interview im russischen Staatsfernsehen betonte Muraschko Anfang August, die Impfung werde kostenlos und freiwillig sein. "Wir sehen aber, dass das Interesse der Bevölkerung daran sehr hoch ist." Nach Behördenangaben beginnt die Impfung noch im August oder September.
Inwieweit wurde der Corona-Impfstoff in Russland getestet?
Nach Darstellung des staatlichen Gamaleja-Instituts liefen erste Tests des Impfstoffs erfolgreich. Das Präparat wurde offenbar an 50 Soldaten erprobt, die sich freiwillig gemeldet hatten. Zudem hätten Wissenschaftler es zuvor auch teilweise an sich selbst erprobt. Unabhängig von der Zulassung durch die russischen Behörden werden Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs laut russischen Behörden derzeit noch in einer dritten Testphase an 800 Teilnehmern untersucht. Für eine internationale, unabhängige Bewertung hat Russland aber bislang keine wissenschaftlichen Daten zu dem Impfstoff veröffentlicht.
Wie verläuft die Prüfung eines Impfstoffs in Deutschland und der EU?
Um die Wirksamkeit und Sicherheit von neuen Medikamenten in der EU zu gewährleisten, durchlaufen sie ein mehrstufiges, europaweit einheitliches Zulassungsverfahren. Zunächst werden Impfstoffe in Zell- und Tierversuchen getestet. Bei positiven Ergebnissen der Untersuchungen können Präparate an Menschen getestet werden. In der Regel durchläuft ein Arzneimittel drei Phasen der klinischen Prüfung, bevor es zugelassen werden kann. Darin werden immer mehr Probanden eingeschlossen.
Hersteller geben ihre gesammelten Daten aus den Untersuchungen an die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) in Amsterdam. Daraufhin übernehmen Prüfstellen der EMA, unter anderem das deutsche Paul-Ehrlich-Institut, die inhaltliche Prüfung der Daten. Im Normalfall dauert der Bewertungsprozess durch die EMA 210 Tage. In einem beschleunigten Verfahren kann dieser auf 150 Tage verkürzt werden.
Wie reagieren internationale Experten auf die Zulassung des Impfstoffs in Russland?
Einen Impfstoff zuzulassen, bevor Ergebnisse großer klinischer Studien vorliegen, ist international nicht üblich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte im Vorfeld klar: "Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird." Gerade die Tatsache, dass zum russischen Impfstoff noch keine Ergebnisse einer Phase-3-Studie vorliegen, macht Experten stutzig. Diese klinischen Testungen prüfen die Wirksamkeit eines Präparats, zielen auf die Zulassung ab und beinhalten gewöhnlich zwischen 15.000 und 30.000 Probanden. Seltene Nebenwirkungen könnten in einer Phase-3-Studie eher erkannt werden als in den Studien zuvor. Von einer abgeschlossenen Phase-3-Studie mit dem russischen Impfstoff ist nichts bekannt, laut Gesundheitsminister Muraschko soll diese Testphase mit 800 Probanden unabhängig von der Zulassung anlaufen.
Kann der russische Corona-Impfstoff irgendwann auch in Deutschland eingesetzt werden?
Der russische Gesundheitsminister sagte, das Mittel solle auch ins Ausland exportiert werden. Bevor ein russischer Hersteller seinen Impfstoff in der EU vertreiben kann, muss er allerdings mehrere Prüfungsverfahren durchlaufen, erklärt der Geschäftsführer Forschung des Verbands forschender Arzneimittelunternehmen, Dr. Siegfried Throm. "Es muss sichergestellt sein, dass die Herstellung mindestens so gut wie in Europa funktioniert." Zunächst würden europäische Inspekteure nach Russland reisen und sicherstellen, dass bei der Produktion EU-Standards eingehalten werden, etwa hinsichtlich ethischer Gesichtspunkte bei den klinischen Studien und bei der technischen Qualität. Zudem müsse der Hersteller das Prüfungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA durchlaufen.
Wie beurteilen deutsche Experten die Zulassung des russischen Impfstoffs gegen das Coronavirus?
Das Tempo, mit dem Russland einen Corona-Impfstoff entwickelt haben will, wirft die Frage auf, wie sicher und wirksam das Präparat ist. Experten in Deutschland halten sich mit Einschätzungen bislang zurück - auch weil Russland noch keine wissenschaftlichen Daten zu seinem Impfstoff veröffentlicht hat. Siegfried Throm vom Verband forschender Arzneimittelunternehmen sagt: "Neben der Wirksamkeit ist im Zulassungsverfahren eines neuen Impfstoffes die Sicherheit ein sehr wichtiger Aspekt. Nichts ist schlimmer, als wenn ein Impfstoff schwere Nebenwirkungen verursacht und damit das Vertrauen der Bevölkerung in Impfungen verloren geht." (mit dpa)
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