Vanessa Maier arbeitet für den Vorstand eines Stuttgarter Automobilriesen, als die Endometriose in ihrem Körper so stark wird, dass sie eine Niere verliert. Die chronische Krankheit, durch die sich Zysten und Tumore an Organen im Unterleib bilden, ist ein Einschnitt für die 29-Jährige. Doch je stärker sich die Entzündungsherde in ihrem Körper breit machen, desto mehr beginnt die junge Frau umzudenken. Seit diesem Jahr arbeitet sie als selbstständige Bloggerin, gibt Onlinekurse und klärt in Podcasts und Blogbeiträgen über die Krankheit auf, von der hierzulande 10 bis 15 Prozent der Frauen betroffen sind. Im Interview verrät sie, wie sie gelernt hat, mit der Krankheit zu leben und warum die Endometriose mittlerweile wie eine Freundin für sie ist.
Was bedeutet Endometriose für Sie?
Vanessa Maier: Die Krankheit hat mir Chancen genommen. Plötzlich sind da diese Gedanken: Wie kann ich Kinder bekommen? Wie ist es, wenn ich einen Mann kennenlerne? Macht der das mit? Man bekommt Angst, dass man nicht mehr so viel erleben kann, an Selbstständigkeit einbüßt. Und natürlich plagen auch finanzielle Sorgen, denn Endometriose ist eine teure Angelegenheit, wenn man bestmögliche Versorgung möchte. Aber wenn man so oft damit konfrontiert ist, Dinge zu verlieren, dann traut man sich mehr. Deshalb hat mir die Endometriose auch neue Chancen verschafft: Ohne sie hätte ich mich nicht so schnell in die Selbstständigkeit getraut.
Viele denken bei Endometriose an Regelbeschwerden. Reicht das, um eine Idee davon zu haben?
Maier: Anfangs dachte ich auch, es wären vor allem Unterleibsschmerzen. Aber am ersten Tag meiner Periode musste ich mich jedes Mal hinlegen, sonst wäre ich umgekippt. Mein Kreislauf war einfach nicht stabil. Und die Tage danach hatte ich meist Durchfall ohne Ende. Endometriose ist eine Ganzkörperkrankheit, das muss man einfach so sagen. Die Verwachsungen bilden sich nicht nur im Unterleib, sie befallen auch Blase, Nieren, Nerven im Becken bis hin zu Lunge oder Gehirn. Die Krankheit ist häufig zyklusabhängig – ich hatte eher während der Periode Beschwerden – aber bei vielen ist sie auch zyklusunabhängig, die haben den ganzen Monat lang Schmerzen.
Fünf Dinge, die Sie über Endometriose wissen sollten
Endometriose ist eine chronische Krankheit, bei der sich Gewebe in Form von Zysten und Tumoren meist im Unterleib ansiedelt - etwa an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell. Das Gewebe der Endometrioseherde ähnelt dem der Gebärmutterschleimhaut. Mit dem hormonellen Zyklus können die Zysten und Tumore wachsen und bluten.
Symptome der Endometriose sind unter anderem: Bauch‐ und Unterleibsschmerzen, Rückenschmerzen, starke und unregelmäßige Monatsblutungen, Schmerzen während und nach dem Sex, Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen, Schmerzen beim Stuhlgang oder Urinieren, zyklische Blutungen aus Blase oder Darm, ungewollte Kinderlosigkeit.
In vielen Fällen ist die Diagnosefindung bei Endometriose nicht so einfach. Patienten können ihre Ärzte dabei unterstützen, indem sie ihren Körper beobachten. Es hilft dabei, genau zu analysieren, welche Beschwerden wann auftreten und ob es einen Zusammenhang mit dem hormonellen Zyklus gibt.
Um eine sichere Diagnose zu stellen, ist ein operativer Eingriff letztlich die einzige Möglichkeit. Bei einer Bauchspiegelung entnehmen Spezialisten im Rahmen eines minimalinvasiven Eingriffs eine Gewebeprobe und untersuchen diese. So ermitteln die Mediziner, wo sich die Endometrioseherde und Zysten befinden und wie schwerwiegend sie sind. Liegen tatsächlich Verwachsungen vor, kann mit der Entfernung der Tumore bereits bei der Operation begonnen werden.
Wer unabhängig von einem Arztbesuch Informationen über Endometriose sucht, kann bei den Endometriose-Verbänden fündig werden. Die Endometriose‐Vereinigung Deutschland vermittelt Kontakte zu lokalen Selbsthilfegruppen und bietet eine kostenlose Telefonberatung an. Außerdem können Patientinnen auch auf das Online‐Beratungsangebot unter www.regelschmerzen‐info.de zurückgreifen.
Wie haben Sie erstmals von Endometriose erfahren – war das gleich am eigenen Leib?
Maier: Eine Frauenärztin hatte den Verdacht schon vor Jahren geäußert. Sie hat in den Raum geworfen, das könnte man mal überprüfen und mir eine Überweisung zur Bauchspiegelung in die Hand gedrückt. Die Dringlichkeit der Krankheit hat sie mir aber nicht bewusst gemacht – und das ärgert mich im Nachhinein unheimlich. Im Schnitt vergehen von den ersten Symptomen bis zur Diagnose sieben Jahre. Bei Kinderwunsch geht das schneller, da sind es nur zwei. Aber so viele Frauen kämpfen mit ihren Hausärzten und Frauenärzten, weil die ihre Patientinnen häufig einfach nicht ernst nehmen.
Warum wird Endometriose als Krankheit so oft unterschätzt?
Maier: Es ist eine chronische Krankheit, die unsichtbar ist, weil man den Frauen ihre Symptome nicht direkt ansieht. Und der Knackpunkt ist, dass auch Ärzte sie oft nicht so einfach nachweisen können. Auch ein Endometrioseherd, der nur stecknadelgroß ist, kann an der falschen Stelle große Schmerzen verursachen, wenn er auf einen Nerv trifft. Im Ultraschall oder MRT ist er bei der Größe nicht zu sehen.
Welchen Rat geben Sie Frauen, die unsicher sind, ob sie Endometriose haben?
Maier: Um gut behandelt zu werden, muss man sich als Patientin ausgewiesene Endometriose-Spezialisten suchen. Es ist extrem wichtig, sich auch selbst intensiv über die Krankheit zu informieren. Das Wissen der Ärzte in Kombination mit dem eigenen Schmerzempfinden ist das Einzige, was am Ende zu guten Behandlungsergebnissen führt. Viele gehen zum Arzt mit der Einstellung: Mein Körper funktioniert nicht mehr, jetzt behandle das! Dabei klappt das oft nicht, erst recht nicht bei Endometriose.
Wie haben Sie gelernt, mit der Krankheit zu leben?
Maier: Am wichtigsten ist es zu lernen, die Endometriose zu akzeptieren. Langfristig muss man Vertrauen ins Leben bekommen und erkennen, dass es auch mit Beschwerden okay ist. Mittlerweile sehe ich die Endometriose sogar als Freundin. Die kann manchmal auch eine blöde Bitch sein und ich kann mich über sie ärgern. Sie zeigt mir aber auch, wenn etwas in meinem Leben im Ungleichgewicht ist. Zum Beispiel: wenn ich zu hart arbeite, mir und meinem Körper zu wenig Ruhe gönne oder wenn ich tägliche Routinen vernachlässige, die meiner Gesundheit dienen.
Was hilft Ihnen, um mit der Endometriose zurecht zu kommen?
Maier: Yoga hilft mir sehr, gerade auch, wenn sich während meiner Periode alle Muskeln verspannen. Es ist einfach eine halbe Stunde am Tag, in der ich mich auf mich selbst konzentriere. Das ist Körperkontakt und Körperkommunikation, da höre ich in mich selbst hinein. Der Körper ist dankbar für jede Aufmerksamkeit, die er bekommt. Das haben wir in unserer Gesellschaft verlernt. Wir Frauen sind zyklisch und in unserem Alltag Hormonen unterworfen. Gleichzeitig versuchen wir aber zu leben und zu arbeiten wie Männer.
Am 29. September ist Tag der Endometriose. Was bedeutet er für Sie?
Maier: Der Tag schafft den Rahmen dafür, dass mehr über die Krankheit gesprochen wird. Es ist ja auch keine seltene Krankheit - immerhin jede zehnte Frau ist betroffen. Da muss man die Endometriose einfach kennen! Und es ist ein Thema, dass es so lange dauert, bis Endometriose diagnostiziert wird. Nach sieben Jahren sind die Schmerzen oft schon chronisch, vielen Frauen könnte man deutlich früher helfen. Und deshalb verdient Endometriose mehr Aufmerksamkeit.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Maier: Es muss so selbstverständlich sein zu sagen: "Mir geht’s nicht gut, ich habe Endometriose" wie zu sagen "Ich habe Asthma." Es würde schon helfen, wenn man nicht ständig bei Adam und Eva anfangen muss, um sich und seine Endometriose zu erklären.
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