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Brustamputation: Brustkrebs: Eine erschütternde Familiengeschichte

Brustamputation

Brustkrebs: Eine erschütternde Familiengeschichte

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    Doris teilt das Schicksal von Angelina Jolie: Ihre Mutter starb an Brustkrebs, ihre Tante auch. Und Doris traf eine Entscheidung.
    Doris teilt das Schicksal von Angelina Jolie: Ihre Mutter starb an Brustkrebs, ihre Tante auch. Und Doris traf eine Entscheidung. Foto: Peter Endig dpa

    Doris saß in einem Wartezimmer, als ihr klar wurde, dass sie nicht mehr länger warten kann. Die Stühle neben dem ihren waren leer. Fünf Frauen waren an diesem Tag zur Brustkrebsvorsorge gekommen. Zur Untersuchung war Doris als Erste an der Reihe. Zum Arztgespräch aber, das auf das Mammografie-Screening folgte, wurden alle anderen vor ihr gerufen.

    Und Doris saß. Sie starrte auf die leeren Stühle. Sie hatte Angst. Sie dachte an ihre Mutter. Ihre zwei Tanten. Ihre kleine Schwester. Ihre Cousinen. Ihre Kinder. Ihren Mann. Ihr Leben.

    Von Angelina Jolies Brustamputation hat sie in der Zeitung gelesen

    Doris sitzt in ihrem Wohnzimmer in einem kleinen Einfamilienhaus bei Ulm, als sie diese Geschichte erzählt. Ein paar Tage ist es her, dass die US-Schauspielerin Angelina Jolie Schlagzeilen machte, weil sie öffentlich von ihrer Brust-Amputation erzählte. Doris hat davon in der Zeitung gelesen. 46 Jahre ist sie alt, eine zierliche Frau mit schulterlangen blonden Haaren. Sie arbeitet als Lehrerin, ist verheiratet und Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Söhnen.

    Brustkrebs: Frauentypen beim Screening

    Die Befürworterin: Diese Frauen sind überzeugt von der Professionalität und Sicherheit des Screenings. Sie nehmen es vertrauensvoll als Muss wahr, neigen aber auch zu einer Überschätzung des Nutzens.

    Die Risikobewusste: Diese oft jüngeren Frauen haben einen engen Kontakt zu ihrem Frauenarzt und nehmen immer regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teil. Viele neigen dazu, sich bereits vor einer Einladung einen Termin beim Screening geben zu lassen.

    Die Ambivalente: Dazu gehören häufig ältere und übergewichtige Frauen, die selten regelmäßig zum Frauenarzt gehen. Sie haben weniger Bildung und wissen nicht viel über das Screening, reagieren aber häufig auf eine Einladung.

    Die Verdrängerin: Diese Frauen verweigern trotz höherer Bildung eine Auseinandersetzung mit dem Thema Brustkrebs. Sie zweifeln an Vorsorge-Untersuchungen und neigen zu alternativen Heilmethoden.

    Die Ablehnerin: Diese gut gebildeten, oft älteren Frauen sind grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Screening. Rund ein Drittel ist privat versichert und zieht Mammografie-Formen außerhalb des Screenings vor.

    Sie trägt eigentlich einen anderen Namen. Bevor sie erzählt, bittet sie aber, ihn nicht zu nennen. Sie ist keine Berühmtheit, und sie will auch keine werden. Und sie sagt: „Das ist nicht nur meine Geschichte. Es ist die Geschichte meiner ganzen Familie. Ich würde meinen Verwandten wahrscheinlich schaden, wenn ich das alles in Verbindung mit meinem richtigen Namen öffentlich machen würde.“

    Doris’ Geschichte begann schon vor Jahrzehnten. Die Entscheidung, die sie traf, ist über Jahre gewachsen. Elf Jahre war Doris alt, als bei ihrer Mutter zum ersten Mal Brustkrebs diagnostiziert wurde. Die Ärzte schnitten den Tumor weg. Dann kam wieder einer. Den schnitten sie wieder weg. Und wieder Krebs. Wie oft, kann Doris nicht mehr so genau sagen. Es war zu oft.

    Dann entdeckte auch ihre Tante einen Knoten in der Brust

    Dann entdeckte ihre Tante einen Knoten in der Brust. Operation. Und wieder Krebs. Und wieder Operation. Dann ihre zweite Tante.

    Gespräche über Arztbesuche, Operationen und Chemotherapien hört Doris, seit sie ein Mädchen war. Der Begriff „Krebs“ begleitet all ihre Erinnerungen. Im Wartezimmer, nach dem Mammografie-Screening, ballten sich diese Erinnerungen in ihrem Kopf zu einem großen Gedanken.

    „Plötzlich war mir klar: Ich muss es wissen. Ich muss wissen, ob auch auf mich dieses Schicksal wartet. Ich muss wissen, ob ich etwas dagegen tun kann. Irgendetwas.“

    Doris zupft an dem bunten Schal, den sie um ihren Hals geschlungen hat. Wie eine seidige Wand schützt der leichte Stoff ihren Oberkörper vor neugierigen Blicken.

    Die häufigsten Krebsarten in Deutschland

    Prostatakrebs: Er ist mit rund 65.000 Neuerkrankungen jährlich der häufigste bösartige Tumor bei Männern. Über 12.000 Männer sterben pro Jahr daran. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen 83 und 94 Prozent. Risikofaktoren: Männliche Geschlechtshormone sind mit dafür verantwortlich; genetische Vorbelastung.

    Darmkrebs nennt man alle Krebserkrankungen, die den Dickdarm, den Mastdarm oder den After betreffen. Mit 16 Prozent ist er die zweithäufigste Krebsart und mit zwölf bis 14 Prozent die zweithäufigste Krebstodesursache. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen 53 und 63 Prozent. Risikofaktoren sind Übergewicht, Bewegungsmangel, ballaststoffarme und fettige Kost, Alkohol, Tabak, erbliche Vorbelastung. Vorsorge ist ab dem 50. Lebensjahr kostenlos.

    Lungenkrebs ist in Deutschland sowohl für Männer als auch für Frauen die dritthäufigste Krebserkrankung. 32.500 Männer und 14.600 Frauen erkranken jährlich daran. Die Prognose für diesen Krebs ist nicht gut: 26 Prozent der erkrankten Männer und zwölf Prozent der Frauen sterben daran. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen 13 und 17 Prozent bei Männern, zwischen 13 und 19 Prozent bei Frauen. Risikofaktoren sind Rauchen, Asbest- oder Radonbelastung. Obst und Gemüse wirken sich schützend aus.

    Brustkrebs (bei Frauen) Über 60.000 Frauen erkranken daran. Im Schnitt sind sie dann 64 Jahre alt. Seit 1990 geht die Zahl der Erkrankten zurück. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt zwischen 83 und 87 Prozent. Risikofaktoren sind Kinderlosigkeit, ein höheres Alter bei der ersten Geburt, der späte Eintritt in die Wechseljahre, Einnahme der Pille, Alkohol, Rauchen, Bewegungsmangel.

    Als der Arzt sie, endlich, zu sich ins Sprechzimmer holte, war der Entschluss gefasst. Ein „unklares Bild“ habe sich bei ihrer Vorsorgeuntersuchung ergeben, sagte er ihr. Vielleicht Krebs, vielleicht auch nicht – sicher sei, dass da in ihrer Brust etwas nicht stimme. Er wolle beobachten und abwarten, sagte der Arzt. Aber Doris wollte nicht mehr warten. Sie konnte nicht mehr.

    Und immer kam der Krebs wieder

    Sie erzählte dem Arzt, wie ihre Mutter starb. Wie ihre Tante starb. Wie ihre zweite Tante erkrankte. Immer wieder Brustkrebs. Immer wieder Operationen. Und immer kam der Krebs wieder. „An seinem Gesicht konnte ich sehen, dass das wahrscheinlich kein Zufall ist“, erinnert Doris sich. Der Arzt lächelte nicht. Er holte einen Kollegen zu Hilfe. Und Doris fuhr nach Hause und rief die anderen Frauen in ihrer Verwandtschaft an – ihre kleine Schwester und ihre Cousinen.

    Wie ein Fluch zieht sich die Krankheit durch die Geschichte der Familie. Immer wieder Leid. Immer wieder Tränen. Immer wieder Angst, Schmerzen, Medikamente, Therapien, Hoffnung, Verzweiflung. Immer wieder der Entschluss, zu kämpfen, sich zu wehren. Immer kam der Krebs wieder. Und immer wieder kam auch der Tod.

    Brustkrebs: Frauentypen beim Screening

    Die Befürworterin: Diese Frauen sind überzeugt von der Professionalität und Sicherheit des Screenings. Sie nehmen es vertrauensvoll als Muss wahr, neigen aber auch zu einer Überschätzung des Nutzens.

    Die Risikobewusste: Diese oft jüngeren Frauen haben einen engen Kontakt zu ihrem Frauenarzt und nehmen immer regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teil. Viele neigen dazu, sich bereits vor einer Einladung einen Termin beim Screening geben zu lassen.

    Die Ambivalente: Dazu gehören häufig ältere und übergewichtige Frauen, die selten regelmäßig zum Frauenarzt gehen. Sie haben weniger Bildung und wissen nicht viel über das Screening, reagieren aber häufig auf eine Einladung.

    Die Verdrängerin: Diese Frauen verweigern trotz höherer Bildung eine Auseinandersetzung mit dem Thema Brustkrebs. Sie zweifeln an Vorsorge-Untersuchungen und neigen zu alternativen Heilmethoden.

    Die Ablehnerin: Diese gut gebildeten, oft älteren Frauen sind grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Screening. Rund ein Drittel ist privat versichert und zieht Mammografie-Formen außerhalb des Screenings vor.

    Die vier Frauen setzen sich zusammen. Beraten. Sie alle haben Angst. Gemeinsam mit einer der Cousinen fährt Doris zwei Wochen später zu einer Spezial-Sprechstunde für Frauen mit familiär bedingten Krebserkrankungen. Dort warten ein Psychologe, eine Genetikerin und ein Mediziner. Sie zeichnen den Stammbaum der Familie auf. Neben die Namen der Verwandten schreiben sie die Krebs-Diagnosen. Und sie erklären den Frauen, welche Möglichkeiten sie haben: Ein Bluttest kann Klarheit bringen.

    Zeigt er eine Veränderung der Gene BRCA1 oder BRCA2, liegt die Wahrscheinlichkeit für Krebs an Brust oder Eierstöcken bei über 80 Prozent. Dann gibt es die Möglichkeit, besonders oft zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, um den Krebs, sollte er entstehen, möglichst schnell zu entdecken. Es gibt aber auch die Möglichkeit, das gefährdete Gewebe vorsorglich zu entfernen – um das Risiko auf eine Erkrankung von vornherein zu mindern.

    "Ich musste sofort etwas tun"

    Doris und ihre Cousine lassen sich testen. Im Februar 2012 kommt das Ergebnis der Blutanalyse. Doris trägt eine Veränderung des Gens BRCA2 in sich. Auch bei ihrer Cousine stellen die Ärzte die gefährliche Mutation im Erbgut fest.

    „Bei Angelina Jolie war es eine Veränderung an BRCA1“, sagt Doris. „Unterm Strich macht das aber keinen Unterschied.“ Die Mutter der Schauspielerin ist 2007 an Krebs gestorben, ihre Tante vergangenes Wochenende. Die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, lag bei Angelina Jolie bei 87 Prozent, die Wahrscheinlichkeit für Eierstock-Krebs bei 50 Prozent.

    Bei Doris und ihrer Cousine war das Risiko ähnlich. „Irgendwo über 80 Prozent“, sagt sie. „Als ich das Ergebnis des Gen-Tests bekam, habe ich mich einfach nur leer gefühlt. Aber mir war klar, dass ich nicht warten wollte, bis der Krebs da ist. Ich wollte sofort etwas tun. Ich musste sofort etwas tun. Ich konnte nicht mehr warten.“

    Jahrelang hatte sie mit dem Gedanken an die Krankheit gelebt. Jahrelang hatte sie den Gedanken, dass auch sie gefährdet sein könnte, in ihrem Kopf hin und her geschoben. Jahrelang hatte sie sich gefragt, ob sie sich schützen könnte – und wenn ja, wie. Und dann, plötzlich, ging alles ganz schnell.

    Doris und ihre Cousine vereinbaren einen Operationstermin. Sie wollen sich das gefährdete Gewebe und die Brustdrüsen entfernen lassen. Zwei Wochen später soll es so weit sein. Noch während die beiden auf die Operation warten, entdeckt Doris’ kleine Schwester einen Knoten in der Brust. Es ist ein Tumor. Bösartig. Schnell wachsend. Aggressiv.

    Nur Haut und Brustwarzen bleiben erhalten

    Die drei Frauen liegen fast zeitgleich unter den Skalpellen. Ulmer Chirurgen schneiden den Tumor aus der Brust von Doris’ kleiner Schwester. Münchner Chirurgen schneiden das noch gesunde Brustdrüsengewebe aus den Körpern von Doris und ihrer Cousine. Nur Haut und Brustwarzen bleiben erhalten. Silikonkissen stellen die Form der Brüste wieder her.

    Im Herbst 2012 lässt Doris sich auch die Eierstöcke entfernen. Ihre kleine Schwester steckt da noch immer in der Chemotherapie. Auch sie und die zweite Cousine haben ihr Erbgut mittlerweile untersuchen lassen. Auch diese beiden Frauen haben das mutierte Gen geerbt.

    Doris lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, sieht auf ihren bunten Schal und zieht ihn zurecht. „Brustkrebs ist eigentlich relativ gut heilbar“, sagt sie. „Aber nicht in diesem speziellen Fall. Krebs, der durch eine solche Gen-Veränderung entsteht, ist meist besonders aggressiv und wächst besonders schnell.“

    Die Entscheidung für die Operationen sei aus einem „jahrelangen Reifungsprozess“ entstanden. Bisher, sagt sie, habe sie diese Entscheidung nicht bereut. Das Silikon in ihrer Brust fühle sich manchmal fremd an. Im Sommer ist es wärmer, im Winter kälter als der Rest des Körpers. Wo die Implantate sind, spürt sie nichts mehr. Sie schwitzt dort auch nicht mehr. Aber sie hat auch keine Angst mehr, sagt sie.

    Sie hat keine Angst mehr

    Ihre Brustwarzen haben den Eingriff überstanden, waren die ganze Zeit genug durchblutet. „Das sieht eigentlich ganz normal aus“, sagt Doris. Ihre Cousine hatte weniger Glück. Die Brustwarzen starben nach dem Eingriff ab. In mehreren Korrektur-Operationen wurden sie „rekonstruiert“ – aus Haut und mit Tätowierfarbe. Durch die Operationen haben die Frauen ihr Krebsrisiko um ein Vielfaches gesenkt. Absolute Sicherheit gibt es nicht.

    Nur die engsten Vertrauten wissen von der Last, die Doris und die Frauen in ihrer Familie tragen. Denn auch die nächste Generation könnte betroffen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder die gefährliche Veranlagung geerbt haben, liegt bei 50 Prozent.

    Doris’ Schwester und ihre Cousinen haben mehrere Töchter. Für Doris’ Söhne könnte die Gen-Veränderung Krebs an Darm, Prostata oder Brust bedeuten. Sobald sie alt genug sind, sollen sie selbst entscheiden, ob sie den Gen-Test machen lassen wollen – und, falls ja, welche Konsequenzen das für ihr weiteres Leben haben soll.

    „Sport hilft Vorbeugen“, sagt Doris. Eine Stunde Bewegung am Tag hat sie sich deshalb zur Gewohnheit gemacht. Auch auf gesunde Ernährung legt sie großen Wert, Alkohol ist tabu. Sie rutscht auf dem Stuhl nach vorne, sitzt ganz gerade und sagt: „Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Jetzt genieße ich das Leben voller Zuversicht.“

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