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Bremen: Jetzt wird jeder Tote untersucht: Bremen führt einzigartiges Gesetz ein

Bremen

Jetzt wird jeder Tote untersucht: Bremen führt einzigartiges Gesetz ein

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    Sobald die Todesursache geklärt ist, dürfen Verstorbene bestattet werden. Doch nicht jedes Tötungsdelikt wird erkannt. Bremen will das mit einem Gesetz ändern.
    Sobald die Todesursache geklärt ist, dürfen Verstorbene bestattet werden. Doch nicht jedes Tötungsdelikt wird erkannt. Bremen will das mit einem Gesetz ändern. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolbild)

    In Bremen wird das Sterben teurer. Denn zum heutigen 1. August führt der rot-grün regierte Stadtstaat als erstes Bundesland eine verpflichtende „qualifizierte Leichenschau“ (QL) für jeden Todesfall ein. Zahlen müssen die Hinterbliebenen. Normalerweise muss in Deutschland auch jetzt schon jeder Verstorbene ärztlich untersucht werden, damit im Totenschein die Todesart eingetragen werden kann: „natürlich“ oder „nicht natürlich“.

    Aber nicht jeder Mediziner beherrscht es nach Ansicht der Bremer einwandfrei, die Todesursache zu bestimmen. Haus-, Not- oder Stationsärzte sind dafür meist schlechter ausgebildet als Rechtsmediziner. Dazu kommen die Umstände im Trauerhaus: Welcher Arzt möchte schon die Leiche entkleiden und hin- und herwenden, während im Hintergrund die Angehörigen trauern. Auf diese Weise können durchaus ein verräterischer Bluterguss oder andere Verbrechensspuren übersehen werden.

    Jedes zweite Tötungsdelikt bleibt unerkannt, schätzen Rechtsmediziner

    Nach Schätzungen von Rechtsmedizinern bleibt in Deutschland etwa jedes zweite Tötungsdelikt unerkannt. Im kleinsten Bundesland mit seinen rund 8000 Todesfällen pro Jahr soll das künftig nicht mehr passieren. Das neue „Gesetz über das Leichenwesen“, das im Mai mit großer Mehrheit von der Bremischen Bürgerschaft verabschiedet wurde, schreibt vor, dass jeder Tote nach der ersten ärztlichen Todesfeststellung zusätzlich durch einen speziell ausgebildeten „Leichenschauarzt“ begutachtet werden muss. Vor allem Rechtsmediziner, wie man sie aus Krimis kennt, werden künftig die Toten untersuchen – allerdings in der Regel nur per Augenschein und ohne Skalpell.

    In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin ist detailliert festgehalten, worauf sie achten müssen – zum Beispiel auf „Strommarken“, auf Bittermandel-Geruch aus dem Mund oder auf „vertikale Speichelabrinnspuren“, die auf Erhängen hindeuten. Am Ende dürfte mit größerer Sicherheit als bisher feststehen, ob der Sterbeort in Wirklichkeit ein Tatort ist. Die Rechnung geht an die Hinterbliebenen. Soweit bisher bekannt, soll die Leichenschau 187 Euro kosten.

    Ärzte sollen sich in Leichenschau fortbilden

    Ärzte machen nach Auffassung von Rechtsmedizinern bei Leichenschau und Totenscheinen Fehler - sie sollen sich weiterbilden.
    Ärzte machen nach Auffassung von Rechtsmedizinern bei Leichenschau und Totenscheinen Fehler - sie sollen sich weiterbilden. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Allerdings steckt nicht hinter jedem unnatürlichen Tod ein Mord. Denn auch Unfälle, Stürze oder Suizide fallen unter diese Kategorie, ja sogar „Todesfälle infolge ärztlicher Eingriffe“, wie in den Leitlinien der Gesellschaft für Rechtsmedizin nachzulesen ist.

    Die Polizei hätte es am liebsten gesehen, wenn die qualifizierte Leichenschau immer direkt am Sterbebett stattfände – damit keine Spuren verwischt werden. Aber Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) fand, dass die Angehörigen damit einem Generalverdacht ausgesetzt würden. Deshalb werden zu Hause Verstorbene in der Regel erst beim Bestatter untersucht. Die Idee, speziell geschulte Leichenschauärzte einzusetzen, wurde schon im Anschluss an die Justizministerkonferenz 2007 und die Gesundheitsministerkonferenz 2010 von einer Arbeitsgruppe geprüft, in der auch Vertreter aus Bayern saßen.

    Die Arbeitsgruppe, so heißt es aus dem bayerischen Gesundheitsministerium, sei aber 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass eine flächendeckende Versorgung mit entsprechend qualifizierten Ärzten vor allem in Flächenstaaten nicht erfolgen kann, weil sich nicht genügend Ärzte finden lassen, die die nötige Zusatzqualifikation erwerben. „Als zielführender wurde erachtet“, sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums im Freistaat, „die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Ärzte auch im Hinblick auf die Leichenschau zu verbessern und Kontrollen der Dokumentation der Leichenschau einzuführen“. Dafür liefen laut Ministerium im Moment „wichtige Vorarbeiten“.

    Lesen Sie dazu auch unseren Artikel: Rechtsmediziner bemängeln Qualität von Leichenschauen.

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