Es gibt Tage, da sollte das Leben schön sein. Sonnig und mollig das Wetter, die Stimmung heiter und hell. Die Welt aber ist nicht das Reich der Prinzessin Lillifee und das Sein kein Wunschkonzert in C-Dur. Und ein Hochzeitsfest gelingt schon gar nicht, wenn man sich dabei zu sehr unter Druck setzt. So ist unzähligen Paaren bang vor ihrem großen Moment.
Der Tyroller Sepp weiß das. Er hat schon Dramen erlebt und traumschöne Feste. Dabei ist er selbst kein Mann vom Typ Joschka Fischer, der x-mal verheiratet war. Erst einmal schloss er den Bund der Ehe – worüber er allerdings nicht gerne spricht, weil derselbe leider nicht gehalten hat.
Rund 60 000 Ehen pro Jahr in Bayern
Der gebürtige Schrobenhausener ist Hochzeitslader und inzwischen seit fast 20 Jahren in der traditionellen Profession tätig. In diesen Tagen hat er alle Hände voll zu tun. Denn es ist Mai, Zeit zum Heiraten. Knapp 60 000 Ehen werden im Freistaat pro Jahr geschlossen, der Mai gehört zu den beliebtesten Monaten.
Sepp Tyroller, der Oberbayer, gehört nicht zur Kategorie „Wedding Planner“ und „Eventmanager“, wie man sie heutzutage oft erlebt. Er sieht sich auch nicht als lustiger Discjockey mit rhetorischer Vorbildung. „Wos wuist mit dene?“, kanzelt er die zeitgenössische Konkurrenz ab. „Die bringen keine Gemütlichkeit und kein gar nix.“ Eine Hochzeit müsse leben. Dazu gehöre der traditionelle Hochzeitslader wie das Bier zur Schenke.
Der Hochzeitslader zuzelt genüsslich an der Weißwurst und blinzelt in die Sonne
An diesem Samstag sitzt Tyroller in Aich, einem Örtchen nahe Fürstenfeldbruck. Er begleitet die Hochzeit von Stefanie, einer 30-jährigen Erzieherin, und ihrem Auserwählten Christian, einem gebürtigen Sachsen. Die Zeichen stehen günstig. Azurblauer Himmel, Brise aus Ost. Tyroller wirbelt nicht, wie man das von Eventmanagern kennt. Er streckt die Beine unter dem Tisch aus, zuzelt genüsslich an der Weißwurst, nippt am Weißbier und blinzelt in die Sonne.
Selbst wenn man ihn noch nie zuvor gesehen hat, erkennt man den Lader auf den ersten Blick. Mit seiner ungewöhnlichen Donau-Tracht sticht er aus der Hochzeitsgesellschaft heraus, die sich männlicherseits mehrheitlich aus klassischen Anzugträgern zusammensetzt. Der schwarze runde Hut, die schweren genagelten Stiefel, die rote Weste und der „Gehsthintre“, wie er seinen schwarzen Frack mit den echten Silberknöpfen nennt. Das hebt ihn zwar ein wenig aus der Zeit. Es gibt ihm aber auch eine besondere Aura.
Es könnte ein anstrengender Termin werden
Für seinen Job hat Tyroller beste Voraussetzungen. Die freundlichen Augen, das offene Gesicht – er gehört zur Kategorie Mensch, die man spontan als Sympathieträger einstuft. Und er hat die Ruhe weg. Dass das Gelingen der Hochzeitsfeier an diesem Tag maßgeblich von ihm abhängt, mit diesem Druck scheint er problemlos umgehen zu können.
Es ist Vormittag. Die Hochzeitsgesellschaft wirkt träge, er lässt sie sein. Die Musikkapelle bläst die „Birkenauer Polka“, das Brautpaar unterhält sich zwanglos mit Verwandten und Freunden. Tyroller sitzt im Hintergrund und beobachtet. Seine flinken Augen flitzen von Mensch zu Mensch.
Für den Lader könnte es diesmal ein anstrengender Termin werden. Etwa 80 bis 90 Gäste werden erwartet – eine überschaubare Gesellschaft mit vielen Verwandten. Da springt der Funke der Freude nicht so ohne Weiteres von einem zum anderen über, lehrt ihn die Erfahrung. Bei Bauernhochzeiten mit 300 und mehr Leuten sei das einfacher.
Sein uriger Dialekt sorgt bei manchen Gästen schon für ein Lächeln
Tyroller ist außerdem schwer erkältet. „Eigentlich müsste ich mich ins Bett legen“, sagt er und schnupft sich die Nase aus. Er hofft, dass seine angeschlagene Stimme hält. Eine kurzfristige Absage kam für ihn aber nie in Frage: „So was kann man nicht bringen“, sagt er.
Glücklicherweise sieht man ihm seinen maladen Zustand nicht an. Das erkämpfte Lächeln wirkt echt. Unvermutet springt der 46-Jährige auf, flüstert kurz etwas Unverständliches zur Kapelle – und ab geht die Post. Adrenalin schießt in die Blutbahn des gelernten Zimmerers und Mechanikers. Mit kräftiger Stimme fordert er die Hochzeitsgesellschaft auf, sich zu erheben. Er grüßt in urigem Dialekt. Für manche reicht dies aus, um ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Die Menschen blicken freundlicher und festlicher.
Die „Show“ des Josef Tyroller hat begonnen. Er singt Schnaderhüpfl, lustige Vierzeiler, die er spontan auf einzelne Gäste zudichtet. Bei einem macht er sich über die ungeputzten Schuhe lustig, beim anderen, auf nette Weise, über dessen Herkunftsland. Diese derbe Art von improvisierter bayerischer Poesie kommt an. Die Leute lachen, sie klatschen und klopfen einander auf die Schulter.
Schluss mit lustig
Dann ist erst mal Schluss mit lustig. Das Brautpaar hat Verspätung und der Pfarrer wartet schon nervös vor der Kirche. Tyroller, ein Mann auch für solche Details, beruhigt den Geistlichen. Vorher noch ist der Lader mit dem Paar und der Musikkapelle voran zur Kirche gezogen, wie es sich auf dem Land gehört.
Dann aber. Die Braut im cremefarbenen Kleid mit einer Stola aus Kunstpelz, der Bräutigam im schwarzen Smoking, so schreiten sie ins Gotteshaus. Hinter ihnen füllen sich die Bänke. Die Eheleute versprechen sich die ewige Treue, der Pfarrer spendet den Segen und der Chor singt Halleluja. Tyroller sitzt mit den Kindern in der ersten Reihe und erklärt ihnen die Deckenbilder, weil ihnen die Zeremonie zu lange dauert.
Schon als Jugendlicher mit Freude Gstanzl gedichtet
In all den Jahren ist er weit herumgekommen. Nicht nur im südlichen Bayern, auch in Südtirol und in der Schweiz. Schon als Jugendlicher habe er mit Freude Gstanzl gedichtet, sagt der Mann aus Burgheim im Kreis Neuburg-Schrobenhausen. Diese Kurzform des Stegreif-Spottliedes hat er im Laufe der Jahre perfektioniert. So manches habe er sich anfangs von älteren Kollegen abgeschaut. Längst aber ist er seine eigene Marke – inklusive stattlichem Repertoire aus Liedern, Geschichten und Gedichten.
Mit Tyroller kann man über fast alles plaudern. Einsilbig wird er, wenn man ihn auf seine Entlohnung anspricht. Auch wie oft er gebucht wird, will er offenlassen. Der Brautvater verrät später hinter vorgehaltener Hand: „Eineinhalb Jahre vor dem gewünschten Termin sollte man sich mindestens bei ihm melden.“ Die Braut habe ihn unbedingt engagieren wollen, nachdem sie ihn auf der Hochzeit ihrer Schwester erlebt hatte.
Als der Viehhändler auch noch Verkuppler war
Tyroller hält an der Tradition fest. „Wer will, für den lade ich sogar noch die Leute persönlich ein, indem ich von Haus zu Haus gehe“, erzählt er. So war es früher der Brauch, daher kommt auch der Name Hochzeitslader. Der spielte in der bayerischen Landgesellschaft eine wichtige Rolle. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war er hauptberuflich oft Viehhändler. Als solcher kam er geschäftlich auf viele Bauernhöfe und hatte präzise Informationen auch über die Menschen in den Dörfern. Vor der Hochzeit kam ihm häufig eine große Aufgabe zu: das „Heiratsmachen“. Verkuppeln würde man heute sagen.
Damals kannten Hochzeitslader die Höfe und das Vermögen der Bauern und konnten so die Paare – Großbauerssohn zu Großbauerstochter – einander zuordnen. Herzensgefühle spielten eine nachrangige Rolle. Es wurde vornehmlich nach dem Wahlspruch verheiratet: „Liebe vergeht, Hektar besteht.“
Wenn die Stimmung wegzukippen droht, greift der Lader ein
Bei Stefanie und Christian ist das Verkuppeln nicht nötig gewesen. Die beiden waren längst verbandelt, als Tyroller verpflichtet wurde. Dessen Aufgabe ist es jetzt nachzuhelfen, wenn es mal nicht so läuft. Immer, wenn die Stimmung wegzukippen droht – er nennt das „Toteln“ –, greift der Lader ein. Das geht dann so: Als Christian beim Brautwalzer für einen Moment zögert, schnappt sich Tyroller die frisch Angetraute und dreht eine flotte Runde auf dem Parkett. Der verdutzte Bräutigam nimmt mit hochrotem Kopf den Spott klaglos auf sich. Im Saal klopft man sich auf die Schenkel. Schadenfreude ist halt doch die schönste Freude. Selig dreht sich bald die Gesellschaft im Dreivierteltakt.
Es folgt der Höhepunkt einer Hochzeit auf dem Land, die Brautentführung. Während die von ihren Freunden „verzogene“ Stefanie in einem zum Partyraum ausgebauten Stadel Wein schlürft, wird Bräutigam Christian – warum werden bei Hochzeitsfeiern eigentlich immer Männer verspottet? – zur Belustigung aller von Tyroller als Putzfrau mit Besen und Busen verkleidet. So muss er seine Frau finden.
Die Suche konnte früher schon mal durchs ganze Dorf gehen, heute ist sie nur mehr ein Ritual, das über den Hof führt. Dort kommt es, wie es kommen muss: Christian wird bei deftigen Spielen vorgeführt, bevor er die Frauenkleider wieder abstreifen darf. Die Hochzeitsgäste tanzen weinselig auf den Bänken. Witze, Gstanzl, Partymusik – Tyroller ist in seinem Element.
Das Brautpaar: erschöpft, aber glücklich
Hinterher ist die Luft raus. Abendessen. Durchschnaufen. Erholen. Die Feier schwingt gemütlich aus. Das Brautpaar, wenn auch etwas erschöpft, sieht glücklich aus. Zum Abschied um Mitternacht, als der Tyroller Sepp selbst zur Trompete greift, wird es noch einmal romantisch unterm Sternenhimmel. Dann verabschieden sich die Gäste: „Schön war’s“, hört man von allen Seiten.
Tyroller ist mit seinen Kräften am Ende. Anzusehen ist ihm das immer noch nicht. „Jetzt freue ich mich aufs Bett“, krächzt er mit jetzt doch heiserer Stimme. Am kommenden Wochenende muss er wieder ran. Neues Paar, neues Glück.