Nie wieder wollen sie das erleben in Rio de Janeiro: Die weltberühmte Arena, das schnurgerade Sambodromo, menschenleer. Dort wo vor der Pandemie die Lebensfreude und die Farben explodierten, herrschte plötzlich Geisterstimmung. Doch nun kehrt das Leben zurück und das mit voller Wucht: Die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro gab bekannt, dass es in dieser Session über 500 „Blocos“ geben wird – das sind die populären Viertelszüge des Straßenkarneval, zu denen Hunderttausende zusammenkommen.
Straßenkarneval in Rio und anderswo: Der Karneval ist eine Jobmaschine für Brasilien
Und die großen Sambaschulen bereiten sich auf die traditionellen weltweit im Fernsehen übertragenen Umzüge im „Sambodromo da Marques de Sapucaí“ wie die 1984 von Stararchitekt Oscar Niemeyer erbaute, rund 88.000 Zuschauer fassende Tribünenstraße heißt.
„Ich glaube, Karneval 2022 wird ein Meilenstein der Kreativität, ein Recycling der Gefühle“, sagt Savia David, 33, im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie selbst ist „Musa“ einer der größten und erfolgreichsten Sambaschulen „Beija-Flor“ – immerhin 14-maliger Meister der Umzüge – und Königin von „Unidos de Vila Maria“ und damit mittendrin. „Karneval in Rio de Janeiro ist vielleicht das größte Open-Air-Festival der Welt und nicht nur kulturell von größter Bedeutung. Er ist auch wirtschaftlich unverzichtbar“, sagt David. „Vom Karneval profitieren der Tourismus, die Hotels, die Restaurants und auch die im informellen Sektor arbeitenden Menschen wie Straßenverkäufer.“ Oder anders ausgedrückt: Karneval ist eine Jobmaschine.
In Sao Paulo sind 98 der Erwachsenen mindestens einmal geimpft
Dafür, dass das in diesem Jahr anders wird, haben die Menschen in Brasilien alles getan und für ein kleines Impfwunder gesorgt: Laut Tageszeitung Folha sind in Sao Paulo 98 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft, in Rio de Janeiro sind laut Portal Brasil de Fato 90 Prozent der über 18-Jährigen komplett immunisiert. Die Konsequenzen: Die Infektions- und Todeszahlen kennen seit Wochen nur noch eine Richtung: Steil nach unten. Die ersten Intensivstationen melden null Covid-Fälle. Damit der Erfolg der Impfkampagne nicht gefährdet wird, wollen die Millionenmetropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro vorerst bei einer Maskenpflicht bleiben. Kaum ein Land ist von der Covid-Pandemie härter getroffen als Brasilien. Über 610.000 Covid-Tote treiben die Menschen in die Impfzentren und sorgen so für traumhafte Impfquoten. Die Konsequenz: Die Zahl der Toten und Neuinfektionen ist auf dem Stand wie zu Beginn der Pandemie, das riesige Sao Paulo meldet an einem Tag erstmals gar keinen Toten mehr. Und das alles trotz eines Präsidenten Jair Bolsonaro, der bis heute an seiner Impfskepsis festhält. Der von einer Covid-Infektion genesene Rechtspopulist ist nach eigenen Angaben nicht geimpft. Ein Untersuchungsbericht des Senats wirft Bolsonaro schwere Versäumnisse vor und empfiehlt deshalb eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Brasilianer als auch die Landesregierungen haben sich ohnehin von Bolsonaro emanzipiert und sind impffreundlich eingestellt. Sie wissen wegen der vielen Tropenkrankheiten Impfschutz traditionell zu schätzen.
Nun blicken die Brasilianer verwundert nach Europa, das viel reicher ist und in dem sogar einer der wirksamsten Impfstoffe erfunden wurde. Dass Deutschland oder Österreich bei der Impfung nur schleppend vorankommen, können die Brasilianer nicht verstehen.
Sie blicken optimistisch nach vorne. In den nächsten Wochen kehrt der Karneval zurück auf die Straßen und ins Sambodromo. Kaum eine andere Veranstaltung könne nach der langen Zeit der Entbehrungen die Lebensfreude derart zurückbringen. „Die Menschen waren lange eingeschlossen in ihren eigenen vier Wänden. So etwas macht eben depressiv. Und der Karneval beendet die Depression der Menschen“ ist Samba-Königin Savia David überzeugt.