Er wirkt verschüchtert. Mit zögerlichem Schritt betritt der 33-Jährige den Gerichtssaal 037 des Konstanzer Landgerichts. Er trägt einen blauen Pullover, Jeans, eine braune Jacke. Vor sein Gesicht hält er einen Notizblock. Der Angeklagte möchte nicht, dass sein Gesicht erkannt wird. Zahlreiche Medienvertreter sind im Gerichtssaal, die Auslöser der Kameras klicken.
Die Zuschauerreihen sind dicht besetzt, Schulklassen wollen diesen Prozess verfolgen, der in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen gesorgt hat. Zweifacher Mord, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Besitz von Kinderpornografie – das ist ein Auszug dessen, was ihm Oberstaatsanwältin Regina Weinacht an diesem Morgen in ihrer Anklage vorliest.
der Angeklagte verfolgt den Prozess apathisch
Der 33-Jährige verfolgt ihre Worte mit starrem Blick. In seinem Gesicht ist wenig Regung zu erkennen. In der Hand hält er ein Blatt Papier, auf dem er Daten zu seiner Person notiert hat. Spärliche Angaben, wie der Vorsitzende Richter Arno Hornstein feststellt. Er und das Gericht greifen auf Lebensläufe aus vorangegangenen Gerichtsverhandlungen zurück, um ein Bild vom Angeklagten zu erhalten.
Wortkarg und apathisch verfolgt der 33-Jährige die Daten. Er wird nicht viel mehr sagen, zu den Taten will er sich nicht äußern. Was Oberstaatsanwältin Weinacht ihm zuvor vorgehalten hatte, klingt nach Tatort, nach Krimi, nach scheußlichen Verbrechen.Nicht fernab, sondern direkt im Konstanzer Stadtteil Petershausen – sofern die Taten wirklich so geschehen sind. Bis zu einer Verurteilung gilt eine angeklagte Person als unschuldig.
Festgenommen hat ihn die Polizei im Februar. In seiner Wohnung soll er erst seine 26-jährige Freundin fast bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert sowie geschlagen haben, anschließend ihre Hände auf den Rücken gefesselt und sexuell genötigt. Den erzwungenen Sex habe er abgebrochen, weil sein Opfer geweint habe, erklärt Oberstaatsanwältin Weinacht.
Frau mit dem Baseballschläger niedergeschlagen
Das Martyrium habe damit erst begonnen, führt die Vertreterin der Anklage weiter aus. Die Freundin seiner Lebensgefährtin sollte am Abend noch vorbeikommen. Gegenüber seiner Partnerin soll er gesagt haben, er wolle die Freundin umbringen. In der Küche habe er ein Messer geschliffen. Nachdem die 30-Jährige eingetroffen war, soll der Angeklagte sie mit einem Baseballschläger niedergeschlagen haben. Ihre Gegenwehr sei erfolglos gewesen, gibt Regina Weinacht die Ermittlungen wieder. Er habe die Frau vergewaltigt. Mehrfach sogar und vor brachialer Gewalt nicht zurückgeschreckt. Später habe er sich auch noch an seiner Lebensgefährtin vergangen, die beeinflusst von Todesdrohungen und dem bis dahin Geschehenen die Vergewaltigung ertragen habe. Aus dem Geldbeutel ihrer Freundin habe der Angeklagte über 1300 Euro gestohlen.
Nachdem das 30-jährige Opfer fliehen konnte und bei einem Nachbarn Hilfe fand, nahm die Polizei den 33-Jährigen fest. In der Vernehmung gestand er, ganz überraschend für die Ermittler, zwei Frauen getötet zu haben. Später widerrief er seine Aussage. Die Staatsanwaltschaft glaubt jedoch nach wie vor an seine Schuld. Im Januar 2012 soll er seiner damals 70-jährigen Nachbarin eine Plastiktüte über den Kopf gezogen haben. Weil sie ihm lästig geworden sei. Dadurch sei sie erstickt, sagte Regina Weinacht. Anschließend habe er sie in ihre Wohnung gebracht und in ihr Bett gelegt.
Nachbarin umgebracht?
Eine Woche später sei die Nachbarin gefunden worden. Als Todesursache war von einem natürlichen Tod ausgegangen worden, weil die 70-Jährigen an einer schweren Erkrankung litt. Ein halbes Jahr später soll der Angeklagte seine damalige 50-jährige Freundin getötet haben – weil beide gestritten hätten und er das Geschrei und die Vorhaltungen nicht mehr habe ertragen können, wirft ihm die Oberstaatsanwältin vor. Daraufhin habe er den Entschluss gefasst, die 50-Jährige zu töten. Der 33-Jährige habe sie in einer mit Wasser gefüllten Badewanne ertränkt, ist die Anklagebehörde überzeugt. Über 500 Bilddateien auch mit kinderpornografischen Bildern hätten die Ermittler auf seinem Computer gefunden.
Der 33-Jährige spricht vor Gericht nicht gerne. Seine Erinnerung an persönliche Daten haben Lücken. Er ist in Reutlingen aufgewachsen, bei der Großmutter, bei der alkoholkranken Mutter, bei Pflegeeltern und in Heimen, hat die Hauptschule absolviert. Schon als Kind sei er sehr schwierig gewesen, gibt Richter Hornstein wieder. Später spielte immer der Alkohol eine große Rolle, auch bei den ihm vorgeworfenen Taten. Mehrere Arbeits- und Ausbildungsstellen hat der Mann wegen seiner Sucht verloren, nicht nur einen Entzug hat er hinter sich. Einige Jahre war er im Reichenauer Zentrum für Psychiatrie im Maßregelvollzug untergebracht, nachdem er im Jahr 2002 unter anderem wegen Körperverletzung vom Landgericht Hechingen verurteilt worden war. Von zwei Frauen, mit denen er längst nicht mehr zusammen ist, hat er eine 13-jährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn.
Zu den Vorwürfen wolle sich sein Mandant nicht äußern, erklärte Pflichtverteidiger Nicolas Doubelday. Vielleicht werde er das im Laufe der Verhandlung noch tun. Weil der Angeklagte schweigt, endet der erste Verhandlungstag bereits am Vormittag. Am kommenden Dienstag (9 Uhr) wird die vierte Kammer des Landgerichts in die Beweisaufnahme eintreten. Oberstaatsanwältin Weinacht zieht eine Sicherungsverwahrung für den 33-Jährigen in Betracht.