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Betrachtung: "Die Anstalt" - Kabarett geht auch mal ernsthaft

Betrachtung

"Die Anstalt" - Kabarett geht auch mal ernsthaft

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    Claus von Wagner und Max Uthoff inszenieren in "Die Anstalt" alles andere als einen "belanglos-fröhlichen" Abend. Warum Deutschland die Mischung aus Ernst und Humor guttut.
    Claus von Wagner und Max Uthoff inszenieren in "Die Anstalt" alles andere als einen "belanglos-fröhlichen" Abend. Warum Deutschland die Mischung aus Ernst und Humor guttut. Foto: ZDF und Michel Neumeister

    Wenn ein paar Leute während seines Programms heulten, dann wisse er wenigstens, dass diese verstanden hätten, so einmal Georg Schramm, der moralische, oft zornige Großmeister des deutschen Kabaretts, der damit auch gleich mal mit der irrigen Annahme aufräumte, dass dieses immer nur zum Lachen da sein müsse.

    Das ist schon eine Weile her, doch jene Vorstellung vom Kabarett als Lachnummernrevue hält sich bei vielen immer noch hartnäckig und folgenschwer. Die Versuchung der auf der Bühne sich abzappelnden Akteure, schnell und ohne Umwege auf die Pointe zu kommen, ist ja auch zu groß. Auf Pointen im Übrigen, von denen man weiß, dass sie funktionieren, weil sie schon einmal funktioniert haben, die beim Publikum ankommen, weil sie dort ohnehin schon vorhanden sind als Abziehbildchen in den Köpfen. Man lacht dann an der richtigen Stelle, man klopft sich auf die Schenkel, manchmal tut man vielleicht auch nachdenklich – im Grunde aber versichern sich beide Seiten ihrer Vorurteile, sei’s über faule Lehrer, korrupte Politiker, falsch parkende Frauen: Man weiß, was der andere weiß, und der andere weiß deswegen, was ihn erwartet, bekommt es auch und fühlt sich bestätigt, was wiederum die andere Seite in ihrem Tun bestärkt usw., usf. ... und nein, die Rede ist jetzt nicht vom Journalismus (doch dazu später mehr).

    Kabarett - Wenn alles nur witzig ist, ist auch alles schnell vergessen

    Man kann sich jedenfalls vorstellen, dass das Resultat einer solchen Art von Kabarett bestenfalls vergnügliche 90 Minuten sind. Was haben wir gelacht! Worüber? Ist am nächsten Tag vergessen. Aber: „Sollte der Abend ins Belanglos-Fröhliche abgleiten, dann denke ich, dann kommen Sie sehr gut ohne mich aus“, so noch einmal Schramm in seiner Paraderolle als Ruheständler Lothar Dombrowski.

    Mittlerweile ist Schramm selbst im Ruhestand, doch wahrscheinlich kann er, der vormals an der Dummheit der Spaßgesellschaft verzweifelnde Geist, ihn ja sogar ein wenig genießen. Und das mag vor allem an Claus von Wagner und Max Uthoff liegen, die alles andere als „belanglos-fröhliche“ Abende inszenieren, seit sie vor eineinhalb Jahren „Die Anstalt“ übernommen haben. Jene Sendung im ZDF also, in der Schramm selbst einmal zusammen mit Urban Priol auf der Bühne stand und die ironischerweise damals „Neues aus der

    Uthoff und von Wagner wissen jedenfalls, wie man Wirkung erzeugt. Beispielsweise, indem man den Weg zum Lacher nicht abkürzt, sondern sogar verlängert, weil erst mal ein paar Fakten eingebaut werden. Etwa in Form ihrer beliebten (Naive)-Frage-und-Antwort-Spiele, bei denen schon mal Flip-Chart und Powerpoint zum Einsatz kommen, um etwa komplexe Verflechtungen von Lobby-Gruppen zu visualisieren. Es sind dies Schaubilder, wie man sie beispielsweise in der „Tagesschau“ eher selten zu sehen bekommt. Womit wir beim Journalismus wären, bei den Intellektuellen, der „Öffentlichkeit“.

    Dass diese eine immer diffusere Veranstaltung wird, liegt bekanntlich zuvorderst an den Ausfransungserscheinungen, welche die Netzmedien mit ihrem fehlenden diskursivem Zentrum mit sich bringen – zugespitzt formuliert: Es gibt fast so viele Debatten, Meinungen und vor allem unterschiedliche Informationsstände, wie es Internetanschlüsse gibt.

    Kabarett bei ZDF: Mischung aus Humor, Haltung und Recherche

    Zu tun hat diese ungute Entwicklung aber auch mit der teilweise zu beobachtenden Kapitulation von Intellektuellen und klassischen Medien vor der so beschriebenen Herausforderung. Die einen kapitulieren, indem sie ein sich ausdifferenzierendes Publikum samt unterschiedlichster Wissensbestände einfach ignorieren und darüber hinwegschwafeln, die anderen, indem sie sich ihm andienen: Annäherung mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der schnellen Pointe, dem billigen Klick ist hier das Ziel.

    Ob das ein nachhaltiges Geschäftsmodell ist, sei dahingestellt. Für eine Demokratie ist es aber dauerhaft kaum von Vorteil, wenn das Ringen um Lösungen untergeht im allgemeinen Rauschen der Geschwätzig- und Beliebigkeit. Dass es jedenfalls auch anders geht und trotzdem oder vielleicht genau deswegen mit Erfolg, zeigte beispielsweise lange Jahre Jon Stewart mit seiner „Daily Show“ in den USA. Hier vermischten sich Humor, Haltung und Recherche – und halb Amerika schaute hin.

    Mittlerweile scheint sich dieses Konzept endlich auch hierzulande zu etablieren, und gerade das ZDF tut sich hervor – von Jan Böhmermann bis eben zu Claus von Wagner und Max Uthoff. Die beiden nennen ihre Runden zur Text- und Themenfindung tatsächlich „Redaktionskonferenz“. Und dass eine gründliche Recherche notwendig ist, zeigt auch der Fall, als sie vor Gericht landeten – ausgerechnet zwei Journalisten der altehrwürdigen Zeit hatten die beiden wegen eines Schaubildes zu ihren Verstrickungen in Interessenverbänden vor den Kadi gezerrt – und sie recht bekamen.

    "Die Anstalt" zeigt: Kabarett kann auch mal ernsthaft sein

    Wirkung erzeugt „Die Anstalt“ aber nicht nur damit, dass sie ihr Publikum nicht unterfordert, mit „investigativem Kabarett“, mit überraschenden Fakten, sondern auch mit den durchkomponierten Sendungen selbst, die einer je eigenen Dramaturgie folgen – und nicht wie früher oft nur durch eine lose Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Und Wirkung erzeugen von Wagner und Uthoff auch damit, dass sie einfach mal die Realität hereinlassen auf die Studiobühne: Im November letzten Jahres zum Beispiel in Form eines Flüchtlingschors, der für die im Mittelmeer Ertrunkenen sang. Mehr Rimini-Protokoll also als klassisches Kabarett.

    Doch so etwas bringt natürlich auch Kritik: Tränendrüsen-Dramatik sei das, unlauter. Doch ernsthaftes Kabarett darf vielleicht auch mal ernsthaft auftreten. Zumal die entsprechenden Videos auf Youtube und den sozialen Netzwerken die Runde machen. Alleine ein Monolog von Wagners zu Pegida wurde bereits über 800000 Mal angeschaut – davon können viele klassische Medien nur träumen. Und das ist kein unschöner Nebeneffekt in einer Gesellschaft, in der Aufmerksamkeit als Grundvoraussetzung, überhaupt gehört zu werden, immer schwerer herzustellen ist.

    Die Macher der "Anstalt" sind Aufklärer unserer Zeit

    Geweint – und damit im Sinne Georg Schramms vielleicht auch verstanden – haben aber sicher so einige am Ende der Sendung vom 31.März. Es ging um Griechenland und die Schuldenkrise. Es ging um die Regeln. Es ging um Deutschland, das auf deren Einhaltung pochte – wenn es ihm denn in den Kram passt. Denn am Schluss ging es auch um einen weißhaarigen, freundlichen alten Mann, der da plötzlich auf der Bühne saß, einen Ouzo ausgab und seine Geschichte erzählte: Argyris Sfountouris. Als Vierjähriger hatte er bei dem Massaker der SS im griechischen Distomo seine Eltern und 30 Verwandte verloren. 200 Menschen wurden bei der Racheaktion für Partisanenangriffe ermordet. Seit Jahrzehnten kämpft Sfountouris um Anerkennung der deutschen Kriegsverbrechen und eine Entschädigung der Opfer. Die lapidare Antwort der deutschen Seite: Das

    Es sind diese Momente, welche „Die Anstalt“ auszeichnen. Es ist diese Mischung aus Ernst (manchmal auch Pathos), Journalismus mit anderen Mitteln, Haltung und – ja, der natürlich auch und immer noch wichtig – Humor, der die Sendung so einzigartig macht. Denn merke: Humor schließt die Herzen auf und dann die Hirne – vorausgesetzt natürlich, man besitzt überhaupt welche. Dass die Macher der „

    "Die Anstalt" kehrt am Dienstag, 22. September, um 22.15 Uhr im ZDF wieder aus der Sommerpause zurück.

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