Sommer 2010. Gierige Banker haben die halbe Welt ruiniert und viele Isländer wissen nicht so genau, ob sie nun lachen oder weinen sollen. Ihr Land ist so gut wie pleite – und Jón Gnarr entscheidet sich für das Lachen.
Der Komiker und Punkmusiker gründet mit ein paar Freunden die „Beste Partei“ und behauptet nassforsch, er wolle Bürgermeister von Reykjavik werden. Er verspricht kostenlose Handtücher in allen Schwimmbädern, offene statt heimlicher Korruption – und einen Eisbär für den örtlichen Zoo. Ein Riesenspaß. Doch dann passiert etwas Dummes: Der Mann wird gewählt.
Das Volk liebt Jón Gnarr
Vier Jahre ist das jetzt her. Vier Jahre, in denen der Typ mit dem ansteckenden, heiseren Lachen und den knallblauen Augen von den anderen Parteien verhöhnt wurde. Und vom Volk gefeiert. Jón Gnarr gibt zu, dass er von vielen Dingen keinen blassen Schimmer hat.
Er verdoppelt die Strompreise in Reykjavik und entlässt Mitarbeiter städtischer Betriebe. Trotzdem liebt ihn das Volk. Er hätte sogar gute Chancen, Präsident zu werden. Wie macht er das bloß?
Wahrscheinlich liegt sein Geheimnis darin, dass Gnarr sich gar nicht erst anstrengt, wie ein richtiger Politiker zu wirken. Mit 14 Jahren schmeißt er die Schule hin und landet in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche. Er schnüffelt Klebstoff und hört Punkmusik. Er wird gemobbt und bleibt sich treu.
In Deutschland würde der Stoff reichen, um gleich mehrere Politiker zu Fall zu bringen
Später schlägt er sich als Taxifahrer, Komiker, Schauspieler, Radiomoderator und Musiker durch. Er arbeitet in einer Werbeagentur und als Pfleger in einer Psychiatrie. Er heiratet zweimal und wird Vater von fünf Kindern. In Deutschland würde der Stoff reichen, um gleich mehrere Politiker zu Fall zu bringen.
Aber zum Glück ist der Bürgermeister von Reykjavik ja gar kein Politiker. Er ist Jón Gnarr. Der den „Guten Tag-Tag“ einführt, an dem alle Bürger der Stadt aufgerufen sind, freundlich zu grüßen. Der die Ampeln in der Hauptstadt mit lachenden Gesichtern verzieren lässt und seine Weihnachtsansprache in einem Kostüm aus Star Wars hält.
Je mehr das lächerlich gemachte Establishment sich an ihm reibt, desto mehr Spaß macht ihm sein Job. Doch der 47-Jährige ist kein Verrückter. Er provoziert nicht nur um der Provokation willen. Nein, er hat sich in den Kopf gesetzt, zu beweisen, dass man Politik auch anders machen kann. Und: Auch wenn der Eisbär noch auf sich warten lässt, hat Gnarr handfeste Ergebnisse vorzuweisen.
Nicht nur gut gelaunt, sondern auch erfolgreich
Reykjavik ist praktisch schuldenfrei, das marode städtische Energieunternehmen gerettet. Der „Clown im Rathaus“, wie ihn seine Gegner spöttisch nennen, ist nicht nur ein gut gelaunter, sondern auch ein erfolgreicher Bürgermeister. Warum also nicht einfach für eine zweite Amtszeit kandidieren?
Gnarr winkt ab, wenn ihm diese Frage gestellt wird. Und sie wird ihm oft gestellt. In Umfragen liegt er weit vor der Konkurrenz. Die Bürger würden ihn wieder wählen, wenn sie könnten. Können sie aber nicht. Im Juni macht der Aus-Versehen-Bürgermeister Schluss. Er ist sicher: So unverstellt, ja fast naiv zu regieren wie er, das kann nur, wer nicht dauernd an die nächsten Wahlen denkt.
Gnarr kandidiert nicht mehr
Was also bleibt von diesem ungewöhnlichen Mann? „Ich wollte zeigen, dass jeder Einzelne bei so etwas wie Politik mitmachen kann, ohne gleich Politiker sein zu müssen“, sagte Gnarr selbst in einem Interview.
Und alles Weitere steht dann wohl in seiner neuen Biografie „Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!! Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte.“ Der Titel entstand übrigens während seines kläglich gescheiterten Versuches, deutsch zu lernen. Klingt nach einem Riesenspaß...