Thomas Kölpin will auf einer Fläche von drei Hektar – ein Zehntel der ganzen Wilhelma – eine neue Anlage für eine Elefantenherde mit Mutterkühen schaffen, die dort im Familienverbund über mehrere Generationen zusammenleben sollen. In fünf Jahren soll sie fertig sein. Auch im Zoo Augsburg entsteht gerade ein Elefantenhaus mit Platz für eine Elefantenherde, das bereits Ende 2019 eröffnet werden könnte. Die beiden Zoos zeigen damit, was moderne und artgerechte Tierhaltung ausmacht. Dennoch stehen Zoos immer wieder massiv in der Kritik.
Herr Kölpin, in der Stuttgarter Wilhelma werden 1200 Tierarten gehalten, und Sie sind der Direktor. Sind Sie ein Gefängnisdirektor?
Thomas Kölpin: Nein, ganz und gar nicht. Die Tiere leben hier in Lebensraum-Ausschnitten in einer Haltung, die ihren Bedürfnissen gerecht wird. Das soll Menschen darüber informieren, wie Tiere leben. Aber wir betreiben auch die Zucht von Tierarten, die in ihren Lebensräumen vom Aussterben bedroht sind. Der Mensch verursacht dieses Massenaussterben der Arten, und deshalb haben wir auch die Verantwortung, dem entgegenzuwirken. Wir werden manche Tierarten nur erhalten können, indem wir Artenschutz „ex situ“ betreiben – also in Tierparks oder Zoos. Wir brauchen Reservepopulationen in Menschenobhut, um Naturbestände zu unterstützen und wiederherzustellen.
Ein Beispiel?
Kölpin: Es gibt ja auch Situationen, wo nicht das Biotop verschwindet, sondern nur die Tierart. Dann hat man die Möglichkeit, diese Tierarten durch Zoobestände wieder auszuwildern. Von uns gehen jedes Jahr Gänsegeier nach Bulgarien. Oder die Säbelantilope, die wir hier in der Wilhelma haben. In der freien Wildbahn ist sie durch Wilderei ausgestorben. Im Tschad beginnt jetzt die Wiederansiedlung, die Tiere stammen alle aus Zoobeständen.
Tierrechtler kritisieren, dass viele Tierarten in Zoos nur zu Ausstellungszwecken gehalten werden. Wie viele der 1200 Arten in der Wilhelma sind denn bedroht?
Kölpin: Das ist schwer zu sagen. Die Arten auf der Roten Liste, die vom Aussterben bedroht sind, ändern sich ja jährlich. Ich würde behaupten: In 20 Jahren stehen alle 1200 Arten auf der Roten Liste, wenn wir als Menschheit so weitermachen.
Sollte man dann nicht lieber die Ausrottung ganz massiv bekämpfen, statt Geld in Tierparks zu stecken?
Kölpin: Man muss beides machen. Es wird beispielsweise massiv investiert, um die Nashorn-Wilderei zu bekämpfen. Trotzdem verschwinden pro Jahr 1000 Nashörner, im Moment haben wir weltweit noch etwa 20.000. Sogar in Zoos wird schon gewildert. Manche Tierrechtler sagen, wenn wir es draußen nicht schaffen, lassen wir sie eben aussterben. Ich finde das zu kurz gedacht. Mein Ansatz ist, sie als letzten Schutz so lange in Menschenobhut zu nehmen, bis der Mensch umdenkt und eine andere Einstellung zu seinen Mitgeschöpfen bekommt.
Wie weit kann ein Zoo das natürliche Lebensumfeld der Tiere abbilden?
Kölpin: Das kann ein Tierpark sehr gut. Aber zum natürlichen Lebensumfeld gehören auch Parasiten, Krankheiten, Beutegreifer. Will man das auch? Es geht darum, dass die Tiere ihre Bedürfnisse und ihr normales Verhaltensspektrum ausleben können.
Auch das Bewegungsbedürfnis, etwa von Giraffen oder Raubkatzen?
Kölpin: Da haben viele Menschen ein falsches Bild. Der Gepard, das schnellste Landtier der Welt, ist dafür ein gutes Beispiel. Der liegt den ganzen Tag nur herum. Und solange er Futter hat, wird er sich bemühen, nicht zu laufen. Es gibt ja solche Seilbahnen, an denen das Futter hin- und hergezogen wird, damit er sich bewegt. Aber sobald der Gepard raushat, wo die Seilbahn endet, geht er da gemütlich hin. Denn bei Sprints verbraucht er unglaublich viel Energie. Oder Elefanten: Die ziehen in freier Natur nur umher, wenn sie Wasser und Futter suchen. Die einzigen, die wandern, sind die Bullen. Herden bleiben am Ort.
Man muss also kein Mitleid haben mit den Tieren im Zoo?
Kölpin: Nein, sicher nicht. Wir alle, die wir hier arbeiten, Biologen, Tierpfleger, haben diesen Beruf gewählt, weil wir Tiere lieben. Wir sind ja keine Tierquäler und denken uns morgens was Schönes aus, wie wir die Tiere heute wieder quälen. Wenn es denen schlecht gehen würde, würden wir hier nicht arbeiten. Den Druck, den sie in der freien Wildbahn haben, haben sie bei uns nicht. Draußen ist es viel stressiger. Der Mensch hat das für sich auch so gelöst, er sitzt auch lieber mit der Familie auf dem Sofa als im Wald ums Überleben zu kämpfen.