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Amoklauf von Winnenden: Heute wird der Prozess gegen Vater von Tim K. neu aufgerollt

Amoklauf von Winnenden

Heute wird der Prozess gegen Vater von Tim K. neu aufgerollt

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    Der 17-jährige Amokläufer Tim K. erschoss an seiner früheren Schule und auf der Flucht nach Wendlingen fünfzehn Menschen und anschließend sich selbst.
    Der 17-jährige Amokläufer Tim K. erschoss an seiner früheren Schule und auf der Flucht nach Wendlingen fünfzehn Menschen und anschließend sich selbst. Foto: Ronald Wittek / Archiv dpa

    Zumindest zum Auftakt werden die Angehörigen der Opfer des Amoklaufs von Winnenden und Wendlingen wieder im Saal 1 des Stuttgarter Landgerichts sein. Alte Wunden werden aufgerissen, wenn der Staatsanwalt die Anklageschrift gegen den Vater des Schützen verliest. 15 Menschen hat Tim K. an jenem 11. März 2009 erschossen, ehe er die Pistole gegen sich selbst richtete. Nun geht es zum zweiten Mal um die Mitverantwortung seines Vaters Jörg K.

    Amoklauf von Winnenden: Versagen des Vaters

    Das Versagen des Vaters stand für die Ermittler schnell fest. Der Waffennarr bewahrte die Beretta, mit der sein Sohn später die Tat beging, jahrelang im Schlafzimmerschrank auf. Auch mit der Munition war der 53-jährige Unternehmer schlampig umgegangen. Jedenfalls hatte Tim bei der Tat 285 Patronen dabei, 113 Schüsse gab er in seiner ehemaligen Schule und auf der anschließenden Flucht ab.

    Tim K. war in therapeutischer Behandlung

    Amoklauf in Winnenden und die Folgen

    Der Amoklauf in Winnenden und Wendlingen hatte eine Debatte um Waffenrecht, Sicherheit an Schulen und den Schutz der Polizei entfacht.

    ALARMPLÄNE: Die Schulen in Baden-Württemberg haben Sicherheitspläne überarbeitet und -vorkehrungen getroffen. Dazu gehören der Einbau von Lautsprecheranlagen, Alarmsystemen und Knäufen an den Klassentüren sowie eine intensivere Zusammenarbeit mit der Polizei.

    POLIZEI: Die Polizei in Baden-Württemberg wurde für den Fall eines Amoklaufs besser ausgestattet: Jeder Streifenwagen ist mit zwei schusssicheren Helmen ausgerüstet. Hinzu kommen Hals- und Unterleibschutz als Ergänzung zur kugelsicheren Schutzweste.

    VORBEUGUNG: In Baden-Württemberg wurde die Zahl der Schulpsychologen auf 200 erhöht, das ist eine Vervierfachung im Vergleich zu 2006. Die Zahl der Beratungslehrer als Ansprechpartner für Schul- und Lernprobleme soll auf 3200 erhöht werden. Spezialisten sollen das Internet unter anderem nach Amoklaufdrohungen durchforsten.

    WAFFENABGABE: Seit dem Amoklauf von Winnenden und Wendlingen im März 2009 sind landesweit 120 000 Waffen zurückgegeben und vernichtet worden. Das sind mehr als 10 Prozent der 2009 im Südwesten noch etwa 900 000 registrierten Waffen.

    WAFFENRECHT: Das im Sommer 2009 verschärfte Waffenrecht sieht verdachtsunabhängige Kontrollen von Waffenbesitzern vor. Ihnen drohen härtere Strafen als vorher, wenn sie ihre Schusswaffen nicht vorschriftsmäßig aufbewahren.

    Dazu kam, dass Tim K. in therapeutischer Behandlung war. In fünf Gesprächen in der Psychiatrie soll es auch um Tötungsfantasien gegangen sein. Statt zur ärztlich empfohlenen Behandlung kam es mit Duldung der Eltern zum Abbruch der Sitzungen. Der Vater, ein Sportschütze, nahm seinen Sohn dann mit auf den Schießstand.

    Die konfusen Aussagen einer Zeugin wurden zum Problem

    „Ohne das komplette Versagen des Angeklagten wäre der Amoklauf nicht möglich gewesen“, stellte der Vorsitzende Richter Reiner Skujat in seinem Urteil im Februar 2011 fest. Ein Jahr und neun Monate auf Bewährung verhängte die 18. Strafkammer wegen fahrlässiger Tötung in 15   Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 14 Fällen.

    Tims Vater legte Revision ein

    Änderungen im Waffenrecht nach Amokläufen

    Nach dem Amoklauf im Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor zehn Jahren und nach der Bluttat von Winnenden 2009 hat der Gesetzgeber das Waffenrecht in Deutschland verschärft. Einige wichtige Änderungen:

    2002: Einführung einer verpflichtenden medizinisch-psychologischen Untersuchung für angehende Schützen unter 25 Jahren.

    2002: Die Altersgrenze für Kauf und Besitz von Schusswaffen bei Sportschützen steigt von 18 auf 21, bei Jägern von 16 auf 18 Jahre.

    2002: Schießsportordnungen von Verbänden, die auch ein sogenanntes Bedürfnis für bestimmte Waffen begründen können, müssen behördlich genehmigt werden.

    2009: Verschärfte Überprüfungsmöglichkeit für das sogenannte waffenrechtliche Bedürfnis.

    2009: Schießen mit großkalibrigen Waffen ist erst ab 18 Jahren möglich.

    2009: Weitgehendere Möglichkeiten zur Kontrolle der Waffenaufbewahrung, auch mit verdachtsunabhängigen Kontrollen, aber normalerweise kein Zutritt zur Wohnung ohne Zustimmung des Waffenbesitzers.

    2012: - Der Bundestag beschließt am Jahrestag des Erfurter Amoklaufs im April die Zusammenfassung von Daten der rund 600 kommunalen Waffenbehörden in einem deutschlandweiten Waffenregister.

    Jörg K. legte Revision ein und der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte das Urteil wegen eines Formfehlers. Seine Verteidiger hätten eine wichtige Zeugin nicht befragen dürfen, monierten die BGH-Richter. Die ehrenamtliche Betreuerin, die der Familie K. nach der Tat und dem Selbstmord des Sohnes beistand, hatte im ersten Prozess für erhebliche Konfusion gesorgt. Zuerst belastete sie den Vater erheblich: Die Therapeuten hätten die Familie über Tims Tötungsfantasien informiert. Am folgenden Verhandlungstag nahm sie diese Anschuldigung zurück. In einer dritten Version bestätigte sie die erste Darstellung und verweigerte dann die Aussage zu weiteren Fragen.

    Der BGH wertete es als Fehler, dass der Richter der Zeugin das Recht auf Aussageverweigerung zugestand. Damit hatten die Verteidiger von Jörg K. keine Gelegenheit mehr, die Frau zu vernehmen. Die Betreuerin muss nun in den Zeugenstand. Ersparen wollen die Richter den Opferfamilien eine neuerliche Abhandlung des Tathergangs.

    Vom Ausgang des Strafverfahrens hängen spätere Zivilprozesse ab. Die Verteidiger wollen wohl auch deshalb eine neue Beurteilung der Tat erreichen, damit Jörg K. nur wegen eines Waffenrechtdeliktes verurteilt wird. Allein die Stadt Winnenden fordert 14 Millionen Euro Schadenersatz für den Umbau der Albertville-Realschule. Krankenversicherungen und Polizei haben ihre Forderungen noch nicht beziffert. Jörg K. hat die Firma seiner Frau überschrieben.

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