Herr Ganz, wer hat Ihnen „Heidi“ vorgelesen?
Bruno Ganz: Als Schweizer Kind meiner Generation kann ich gar nicht mehr sagen, wie ich mit der Geschichte in Berührung gekommen bin. „Heidi“ liegt bei uns in der Luft, jeder von uns kennt sie. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob ich das Buch selbst gelesen oder davon gehört habe. Ich habe mich erst jetzt wieder damit beschäftigt, als ich wusste, dass ich das spiele. Ich habe mir den alten Film angeschaut, er wurde 1952 gedreht und ist sehr gut.
Es heißt, die Produzenten hätten sich zunächst nicht getraut, Ihnen diese Rolle anzubieten.
Ganz: Das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie unterschätzt, dass ich Schweizer bin. Ich habe irgendwann aufgehört, darüber nachzudenken, ob das als Rolle interessant ist oder nicht. Ich habe kapiert, dass ich das machen muss. Weil ich so alt bin, wie ich bin. Und weil ich Schweizer bin. „Heidi“ ist ein National-Epos und ich kenne keinen Grund, da „Nein“ zu sagen. Das ist nicht möglich.
Bemerken Sie öfter, dass man Ihnen mit einer gewissen Ehrfurcht begegnet?
Ganz: Ich habe nicht so das Gefühl. Manchmal denke ich, ich hätte mehr verdient. Gelegentlich hätte man es gern, dass einen die Leute erkennen, weil man dann einen Vorteil hätte. Man ist vielleicht im Stress und würde gern besser oder schneller bedient werden. Wenn man diese Hilfe benötigt, kommt man immer an Leute, die einen noch nie gesehen haben und den Namen nicht kennen. Pech gehabt.
Wie stark sind Sie mit dem Ort Ihrer Herkunft verbunden?
Ganz: Als ganz junger Mann wollte ich eigentlich nur weg aus der Schweiz. Und das habe ich dann ja auch gemacht. Und je älter ich wurde, umso eher wollte ich wieder zurück. Da komme ich her, da kenne und weiß ich alles. Mir ist dort alles vertraut. Vielleicht hat es auch mit dem Dialekt zutun.
War die Alm für Sie der schönste Drehort?
Ganz: Nee! Ich bin nicht so ein Fan von den Bergen. Ich habe es eher mit dem Flachland, davon haben wir ja auch ein bisschen. Obwohl: Blickt man vom Standort der Hütte in eine bestimmte Richtung, ist das atemberaubend. Zumal wenn die Sonne schien, was selten vorkam. Ich dachte, mein Gott, wohnst du in einem schönen Land. Diese Postkarten-Schweiz kann einem wirklich auf die Nerven gehen, aber vieles davon ist auch wahr. Klischees zwar, aber wahnsinnig schön.
Wie lange würden Sie es auf der Alm aushalten?
Ganz: Allein!? Ich würde nicht einmal hingehen.
Wie haben Sie Dinge wie das Melken und das Holzspalten vorbereitet?
Ganz: Da war ich etwas begünstigt, meine Verwandten sind Bauern. Mein Vater war auch ein Bauernsohn und ich wurde als Kind in den Ferien oft zu meinen Onkels geschickt. Dort konnte ein Stadtkind nicht unter dem Apfelbaum liegen, es wurde zur Arbeit herangezogen. Genau wie die eigenen Kinder. Ich habe dort sehr viel gelernt. Ich konnte auch Kühe melken.
Wie haben Sie Ihren Großvater erlebt?
Ganz: Ich kenne nur den väterlicherseits. Meine Mutter ist in Argentinien gestorben, weil die Italiener im Norden so arm waren, dass sie alle auswanderten. Ich habe eine Erinnerung an einen schwarz gekleideten Mann mit einem Hut, der auf einer Ofenbank saß und irgendetwas rauchte. Sehr viel mehr nicht.
Schütteln Sie eine Rolle wie diese aus dem Ärmel?
Ganz: Ich habe zumindest den Ehrgeiz, dass ich die Tätigkeiten selbst ausführe und es so aussieht, als ob da jemand am Werke ist, der es wirklich kann. Das muss man schon vorbereiten. Ich habe vor dem Dreh da oben einen kleinen Kurs bekommen. Ziegen sind leichter zu melken als Kühe. Ich habe mit der Sense hantiert und diese Klötze gespalten, was eine besondere Technik ist. Das kann man alles üben.
Sie harmonieren sehr gut im Zusammenspiel mit Kindern. Bekommen Sie von diesen jungen Kollegen auch etwas zurück?
Ganz: Das sind keine jungen Kollegen, das sind Kinder. Und sie werden von mir auch immer als Kinder behandelt. Ein Kind wie Anuk ist schon eine spezielle Sache, da guckt man auch gerne zu. Aber ich verwechsle sie nicht mit irgendwelchen Nachwuchsschauspielern oder Profis, mit denen man auf derselben Ebene kommuniziert. Es ist ein Kind, das ein Kind spielt. Es ist autonom und muss sein Ding machen. Und wenn jemand etwas sagt, dann die Regie und nicht ich. Ich habe Geduld und schaue zu. Ich würde mir blöd vorkommen, da hinzugehen und ihnen einen Tipp zu geben wie einem Kollegen – was eh schon verpönt ist. Was soll das Kind mit so was? Anuk hat überhaupt keine Probleme damit, Emotionen sofort zu spielen, auch hundertmal hintereinander.
Kommen Sie spielerisch mit Kindern zurecht?
Ganz: Ich habe Kinder gern. Manchmal nerven sie mich, aber eigentlich mag ich sie.
Kann man so jung schon wissen, ob die Schauspielerei das Richtige ist?
Ganz: Anuk ist neun. Als ich es wirklich wusste, war ich sechzehn. Anuk weiß es nicht. Sie kommt neuerdings mit der Vorstellung, dass sie Journalistin werden will. Sie sieht jetzt immer diese Leute vor sich. Wir warten mal ab.
Warum wussten Sie mit sechzehn, was Sie werden wollten?
Ganz: Das kann ich nicht erklären. Ich weiß es nicht.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Ganz: Sie war nicht begeistert. Meine italienische Mama kam aus einem Bauernhaushalt. Mein Vater auch, aber er hat dann eine Spezialschule für Zahnräder besucht und in der Stadt gelebt und gearbeitet. Wir waren schon im städtischen Milieu angesiedelt, aber klein. Das Theater und all so ein Zeugs waren weit weg, Kino auch. Ich glaube, für sie war es ein bisschen außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Aber ich wollte es.
Sie haben an der Berliner Schaubühne gearbeitet. Wer oder was könnte Sie zurückholen?
Ganz: Nichts. Ich habe vor zwei Jahren etwas mit Luc Bondy in Paris gemacht. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich habe mit Luc früher schon für zwei Sachen an der Schaubühne zusammengearbeitet. Er war ein Mensch, an dem ich sehr hing. Es gibt keinen anderen Theaterregisseur, mit dem ich ein ähnliches Verhältnis hätte. Ich mag diese neueren Jungs nicht so.
Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?
Ganz: Film! Und als nächsten hoffentlich den besten Film, den ich je gemacht habe. Ich bin offen für alles. Außer Porno. (lacht)