Millionen Krimifans sehen zu und die Kohle stimmt auch: "Tatort"-Kommissar zu werden, galt stets als ein Sechser im Lotto. Fragt sich: Ist es das heute nicht mehr? Gleich zwei Schauspielerinnen haben aktuell keine Lust mehr auf den vermeintlichen Traumjob in der ARD: Meret Becker hat ihren Abschied vom Berlin-"Tatort" angekündigt, und Aylin Tezel gibt als Kollegin von Jörg Hartmann in Dortmund auf.
Die Liste der "Tatort"-Aussteiger ist lang
Die beiden sind nicht die ersten Darsteller, die dem Erfolgsformat den Rücken kehren und neue künstlerische Herausforderungen suchen. Die Liste der Aussteiger ist lang: Zuletzt haben Stefan Konarske in Dortmund, Alwara Höfels in Dresden, Sibel Kekilli in Kiel sowie Sabine Postel und Oliver Mommsen in Bremen ihre Ermittlungen eingestellt.
Der "Tatort" scheint für Schauspieler einen Teil seiner Attraktivität eingebüßt zu haben. Alwara Höfels berichtete, der fehlende künstlerische Konsens zwischen ihr und den "Tatort"-Machern zwinge sie dazu, als Dresdner Kommissarin Henni Sieland aufzuhören, alle klärenden Gespräche seien gescheitert. Bei manchen ist es auch die Angst, in der Rollenschublade zu landen. Matthias Brandt, der beim "Polizeiruf 110" aufgehört hat, stöhnt: "Fernsehkommissar ist bei uns eine eigene Berufsbezeichnung. Ich würde mich aber nur ungern davon dauerhaft prägen lassen."
Andrea Sawatzki begründete ihren Abgang beim Frankfurter "Tatort" 2010 so: "Allmählich wird’s Routine, die ich brechen will." Ihre Nachfolgerin Nina Kunzendorf ging 2013, weil sie sich auf die Rolle als sexy Kommissarin Conny Mey reduziert fühlte. Sabine Postel, die Anfang des Jahres ihren letzten Fall löste, hatte nach 22 Jahren schlichtweg keine Lust mehr und erklärte im Interview: "Ich brauche mal wieder was Neues." Sie hat allerdings auch gut reden, denn die 65-Jährige hat als Hauptdarstellerin der populären Anwaltsserie "Die Kanzlei" ja noch ein weiteres Eisen im Feuer.
Bei anderen ist der Schritt weg vom "Tatort" gewagter, vor allem wenn Darsteller aus der zweiten Reihe "Tschüss" sagen – weil es sie nervt, als Co-Ermittler nur Stichwortgeber für die Stars zu sein. Tessa Mittelstaedt hörte 2014 auf, nachdem sie als Franziska Lüttgenjohann 13 Jahre lang den Kölner Kommissaren Ballauf und Schenk zugearbeitet hatte: "Die Rolle war sehr begrenzt, ich konnte schauspielerisch auf der Position einfach nicht so viel zeigen wie die Kommissare, die ja in jedem Drehbuch zu 70 Prozent im Mittelpunkt stehen", erklärte sie.
Eine Rolle im "Tatort" bedeutet eine feste Einnahmequelle
Ihr Kollege Ingo Naujoks hatte bis 2010 den neurotischen Mitbewohner der niedersächsischen "Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) gespielt, dann war Schluss: "Ich wusste: Ich kann als Schauspieler nicht mehr in den Spiegel gucken, wenn ich so weitermache, die Redaktion wollte aber leider nichts ändern – deshalb habe ich aufgehört." Maren Eggert ging 2010 in Kiel, um schauspielerisch neue Wege zu beschreiten. Sie ist jetzt Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin.
Gleichwohl: Der Abschied ist ein riskanter Schritt, denn selbst eine kleine Rolle im ARD-Sonntagskrimi bedeutet eine feste Einnahmequelle. Offizielle Zahlen, wie viel man beim "Tatort" verdient, gibt es zwar nicht, aber die Bild hatte im Jahr 2016 einmal eine Liste veröffentlicht. Demnach stand Maria Furtwängler mit 220.000 Euro pro Folge ganz oben, gefolgt von Jan Josef Liefers, Axel Prahl und Ulrich Tukur mit rund 120.000 Euro pro Fall. Selbst Stefan Gubser aus den zuschauerschwachen Luzern-Folgen bekam noch umgerechnet 60.000 Euro für jeden Einsatz.
Ums Thema Geld ging es auch, als Mimi Fiedler 2018 ihre Rolle als Kriminaltechnikerin im Stuttgarter "Tatort" neben Richy Müller und Felix Klare aufgab: "Nach zehn Jahren 200 Euro Gehaltserhöhung pro Tag, dafür aber immer weniger Drehtage – das war für mich nicht mehr nachvollziehbar."
Jetzt ist sie in der RTL-Serie "Nachtschwestern" zu sehen, was zumindest künstlerisch kein Fortschritt ist. Übrigens hätte auch "Polizeiruf 110"-Star Anneke Kim Sarnau beinahe wegen des Salärs gekündigt: Jahrelang sei sie bei den Rostock-Krimis schlechter bezahlt worden als Kollege Charly Hübner. "Ich wäre ausgestiegen, wenn man mir nicht die gleiche Gage gezahlt hätte", sagte sie – und setzte sich durch.
Meistens verkünden die Darsteller bei ihrem Abgang, dass sie sich beim "Tatort" künstlerisch unterfordert sehen und neue Herausforderungen suchen. Die Filmwelt hat indes nicht auf die Krimiaussteiger gewartet, um viele von ihnen wird es danach still. Sibel Kekilli hat seit ihrem Abgang als Kiel-Kommissarin gerade mal in zwei Serien und einem Episodenfilm mitgewirkt – eine eher ernüchternde Bilanz.
Michael Fitz hörte 2007 beim Münchener "Tatort" auf
Ingo Naujoks, der sich als Maria Furtwänglers treuer WG-Kamerad unterfordert fühlte, musste Gastauftritte in seichten Serien wie "GZSZ" annehmen und spielt seit Jahren in der Vorabendserie "Morden im Norden" einen Ermittler. Ob das nun die künstlerische Selbstverwirklichung ist, die er sich ersehnt hat? Michael Fitz, der 2007 als Carlo Menzinger beim Münchener "Tatort" aufhörte, räumt ein, dass die Zeit danach nicht leicht für ihn war: "Die Reihe hat einen riesigen Stellenwert und ist in den Medien permanent präsent. Wenn Sie da nicht mehr mitspielen, merken Sie das schon."
Noch deutlicher wurde Steffen Wink, der im "Tatort"-Ableger "Schimanski" den hitzköpfigen Partner von Götz George alias Schimi spielte und 1998 die Brocken hinwarf. "Es gibt Jahre, die sind wahnsinnig gut, und andere, die sind mager, und man lebt von den Rücklagen aus den Jahren davor", sagte er später. Als Schimis Assistent habe er Angst gehabt, "der ewige ‘Harry’ zu sein" – rückblickend betrachtet war das wohl eher eine Luxussorge. Besser sieht es für Oliver Mommsen aus, der gerade die ARD-Komödie "Papa auf Wolke 7" abgedreht hat: Als autistischer Meteorologe kann sich der 50-Jährige von einer neuen Seite zeigen.
Den Rekord als schnellster "Tatort"-Aussteiger aller Zeiten hält übrigens Harald Schmidt: Er warf den Bettel 2017 sogar schon hin, bevor überhaupt die erste Folge des Schwarzwald-"Tatorts" gedreht war, in dem er mitspielen sollte. Aus "persönlichen Gründen", wie es damals hieß. Der wahre Grund ist nach wie vor nicht bekannt.
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an: Das sagt Harald Schmidt über die Grenzen der Witzemacherei
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