Elizabeth war da, als nebenan die Bomben fielen. Und Betty saß im heimischen Wohnzimmer und lauschte aufmerksam der hohen Stimme, die blechern aus dem Radio drang. Die 14-jährige Prinzessin redete im Kinderprogramm der BBC ihren Altersgenossen Mut zu. Und für die zwei Jahre jüngere Betty war die junge „Lilibet“ wie ein Rettungsanker. Es herrschte der Zweite Weltkrieg und die Thronfolgerin hielt ihre erste Rundfunkansprache.
Elizabeth ist noch immer da. Während Großbritannien derzeit über den Verbleib in der EU streitet und Premierminister David Cameron seine Steuergeschichten in der Öffentlichkeit aufdröselt, steht die Königin über allem. Unaufgeregt, mit viel Symbolik und großem Pflichtbewusstsein, führt sie seit mehr als 64 Jahren ihren Dienst am Volk aus. „Sie hat ihr Leben dafür geopfert.“ So nennt es die heute 88-jährige Betty – ganz so, wie es die Thronfolgerin bereits mit 21 Jahren ihren Landsleuten versprochen hat. Auch damals klebte Betty am Radio. Die Queen hat Wort gehalten und geht in ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe des Herrschens, aber Nicht-Regierens auf, seit sie nach dem Tod ihres Vaters, König George VI., über Nacht zum Staatsoberhaupt eines schwächelnden Reichs wurde, von dem der Glanz des einstigen Empires bröckelte.
Am 21. April wird Queen Elisabeth II 90 Jahre alt
Gestützt auf ihren Gehstock schlendert Betty an der Themse in Windsor entlang. Die Frau ist, wie man landläufig sagt, eine Royalistin. Zu Hause liegen bereits die Banner auf dem Tisch, die sie ans Fenster hängen will, wenn Königin Elizabeth II. am 21. April zu ihrem 90. Geburtstag durch das Städtchen spaziert. Die Briten nennen diese Zusammentreffen mit den Untertanen „Walkabouts“. Elizabeth II. hat sie im Jahr 1970 erfunden.
Die Rekord-Regentin, die im vergangenen Jahr ihre Ururgroßmutter Victoria überholt hat, wird in gewohnt farbenfrohem Kostüm auftreten, die Handtasche locker baumelnd am Arm. Sie wird Hände schütteln, Smalltalks führen, Gratulationen entgegennehmen, für Fotos posieren. Sie wird mit strenger Disziplin ihren Job erledigen und tausende Menschen werden ihr anerkennend zujubeln. Dasselbe Bild – tagein, tagaus. Jahrein, jahraus.
Heutzutage gehe alles viel zu schnell, klagt Betty, „da tut die Stabilität und Kontinuität, die die Königin ausstrahlt, gut“. Tatsächlich unterstützen rund 70 Prozent der Bevölkerung das Königshaus und meinen damit vor allem Elizabeth II. Die Queen ist die Monarchie, die Monarchie ist die Queen.
In Windsor ist nahezu alles royal
An ihrem Ehrentag steht also Windsor auf dem Programm, jener Ort mit 28.000 Einwohnern, wo sich so ziemlich alles royal schimpft, was einen Namen trägt. Ein Pub heißt „The Royal Oak“, das Theater kommt nicht ohne den Zusatz „Royal“ aus, über dem Eingang zur Einkaufspassage „Windsor Royal Shopping“ hängen Wappen, die die Nähe zur Monarchie verdeutlichen.
Immerhin: Die Königin wohnt viele Tage im Jahr nur wenige Schritte entfernt in Schloss Windsor, einer ihrer Hauptresidenzen. „Sie ist unsere bedeutendste Einwohnerin“, sagt Barbara, die im Touristenbüro arbeitet. Die Beschreibung „glühende Queen-Anhängerin“ wäre für sie eine gewaltige Untertreibung. „Sie ist absolut unglaublich und die einzige Person, die konstant im Leben von fast jedem Briten gewesen ist“, sagt Barbara.“ Die Queen sei loyal und eine Ikone. Überhaupt: „Wir haben sehr viel Glück, sie als Staatsoberhaupt zu haben.“ Ihre Stimme überschlägt sich in der „Wir“-Form fast. „Wir lieben sie über alles.“
Barbara zeigt Richtung Schloss, wo die Fahne weht. Ihre Majestät ist zu Hause. 1078 erbaut, ist es das älteste durchgängig bewohnte Schloss der Welt. Der Bau auf dem Hügel, umgeben vom perfekt getrimmten Rasen, scheint durch die enorme Größe und trotz der dicken Mauern über dem ganzen Ort zu schweben. Das Windsor Castle lockt jedes Jahr Millionen von Besuchern an.
Die Queen ist ein Touristenmagnet
Einige Stunden zuvor ist das Ehepaar Yates in Cornwall in den Zug nach Windsor gestiegen. Peter und Mairead freuen sich an diesem Morgen auf eine Woche Urlaub auf einem Boot auf der Themse. Der größte Pluspunkt der Royals? „Sie bringen Touristen ins Land“, sagt der 65-jährige Peter Yates. Und auch wenn er keine besondere Zuneigung zur Queen hegt, erkennt er doch an, dass sie einen „sehr guten Job“ mache. „Guten Morgen, Ladys und Gentlemen, willkommen an Bord des Zuges nach Windsor & Eton Riverside“, hallt die Stimme des Schaffners aus den Lautsprechern, während der Zug an Londoner Vororten vorbeizieht mit den für Großbritannien typischen endlosen Reihenhaussiedlungen.
Dann Wiesen. Felder. Ein See. Golfplatz. Industriegebiet. Ein Park. Die Sonne zwängt sich durch die dicken Wolken und Mairead Yates ruft, ebenfalls sehr britisch: „What a lovely day!“ Sie liest Zeitung, in der mal wieder über den bevorstehenden runden Geburtstag der Monarchin berichtet wird. „Die Queen vermittelt den Eindruck der selbstlosen Hingabe und ich denke, niemand wird diese Rolle je wieder so ausfüllen können“, sagt der 65-jährige Peter. „Ein Teil von mir ist stolz darauf, dass sie als Persönlichkeit in der Welt ungeheuer bewundert wird“, sagt Mairead. „Sie bietet eine gute Leistung für ihr Geld.“
Und trotzdem: „Ich weiß nicht, ob wir die Monarchie weiterhin in dem Ausmaß finanzieren sollten, wie wir das bislang tun“, schränkt Mairead ein und beeilt sich hinzuzufügen, dass sie nicht die Königin meine, sondern den Tross um sie herum, die leidige Verwandtschaft. Dabei kündigte die pragmatische Elizabeth II. 1992 unter dem Druck der Öffentlichkeit an, künftig Steuern zu bezahlen. Schloss Windsor brannte damals halb nieder und Widerstand kam auf, als der Staat die Kosten des Wiederaufbaus übernehmen wollte. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der royale Eskapaden die Schlagzeilen auf der Insel dominierten. Die Queen zeigte sogar ganz untypisch offiziell Emotionen, als sie das Jahr zu einem „annus horribilis“, einem „Schreckensjahr“, erklärte, weil Trennungen, Enthüllungen, Affären und Kapriolen ihrer Kinder das Bild der heilen Windsor’schen Familienwelt zerstörten. Offenbar wurde aber nur, wie scheinheilig es war.
Mit Prinzessin Dianas Tod sank die Popularität der Königin
Die Queen - Meilensteine aus 90 Jahren
Mit 25 wurde Königin Elizabeth II. zur Königin proklamiert - vor mehr als 64 Jahren. Heute ist sie die am längsten amtierende Monarchin Großbritanniens. Meilensteine ihres Lebens.
21. April 1926: Elizabeth kommt in London zur Welt.
11. Dezember 1936: König Edward VIII. dankt ab. Elizabeths Vater wird König George VI. Damit ist Prinzessin Elizabeth Thronfolgerin.
20. November 1947: Elizabeth heiratet Leutnant Philip Mountbatten.
14. November 1948: Thronfolger Prinz Charles wird geboren. Mit Anne, Andrew und Edward bekommt Elizabeth später noch drei weitere Kinder.
6. Februar 1952: König George VI. stirbt. Elizabeth wird zur Königin proklamiert.
2. Juni 1953: Elizabeth wird in der Westminster-Abtei gekrönt.
29. Juli 1981: Prinz Charles heiratet Lady Diana.
1992: Die Queen bezeichnet das Jahr ihres 40-jährigen Thronjubiläums als «annus horribilis» (Schreckensjahr). Im März trennt sich Prinz Andrew von seiner Frau «Fergie», im April lässt sich Prinzessin Anne scheiden. Im November zerstört ein Brand einen Teil von Schloss Windsor. Im Dezember geben Charles und Diana ihre Trennung offiziell bekannt.
28. August 1996: Charles und Diana werden rechtskräftig geschieden.
31. August 1997: Tödlicher Autounfall von Prinzessin Diana in Paris.
30. März 2002: Elizabeths Mutter («Queen Mum») stirbt.
9. April 2005: Thronfolger Prinz Charles heiratet knapp acht Jahre nach dem Tod Dianas seine Jugendliebe Camilla Parker-Bowles.
20. Dezember 2007: Queen Elizabeth wird nach Lebensalter die älteste Monarchin Großbritanniens. Sie überholt Queen Victoria, die 81 Jahre, sieben Monate und 29 Tage alt wurde.
29. April 2011: Elizabeths Enkel William heiratet in London seine langjährige Freundin Kate Middleton.
6. Februar 2012: Elizabeth begeht im Kreis ihrer Familie den 60. Jahrestag ihrer Thronbesteigung.
20. November 2012: Die Queen und ihr Gemahl feiern Eiserne Hochzeit: beide sind 65 Jahre verheiratet.
22. Juli 2013: Mit Prinz George schenken William und Kate der Monarchin einen Urenkel. Nach Prinz Charles und dessen ältestem Sohn William steht er in der Thronfolge an dritter Stelle.
2. Mai 2015: Mit Prinzessin Charlotte, der neugeborenen Tochter von Prinz William und Herzogin Kate, hat die Queen nun fünf Urenkel.
9. September 2015: Die Queen hat 23 226 Tage regiert - länger als jeder andere in der Geschichte der britischen Monarchie. dpa
„Dass sie dieses Diana-Ding überlebt hat.“ Mairead Yates schüttelt fast anerkennend den Kopf. „Es hätte auch alles schiefgehen können.“ Tatsächlich sank die Popularität der Queen nach dem Tod von Prinzessin Diana im Jahr 1997 auf den Tiefpunkt. Die Monarchie geriet für einen Moment ins Wanken, weil Elizabeth II. mit ihrem zögerlichen Verhalten das Volk erzürnte. Erst nachdem sie in ein Staatsbegräbnis für die ungeliebte Ex-Schwiegertochter eingewilligt hatte und sich vor Dianas Sarg verbeugte, zeigten sich die Briten versöhnlich.
Jennifer sitzt auf einem der abgewetzten roten Sitze, während ihr vierjähriger Sohn durchs Zugabteil tobt. Erst ist sie wenig gesprächig. Aber über die Queen plaudern? Klar, gerne. „Sie trägt zu unserer DNA bei, zu unserer Britishness“, sagt die 34-Jährige. Es scheint schwer, einen Briten zu finden, der keine positiven Worte für das Staatsoberhaupt übrighat. An diesem Freitagmorgen, in einem x-beliebigen Zug nach Windsor, ist es ein Ding der Unmöglichkeit. Jennifer etwa sieht Elizabeth II. vor allem in ihrem Pflichtbewusstsein und der Disziplin, in ihrem Fleiß und der Beständigkeit „als Vorbild für jede Generation“.
Biograf Graham Turner: Elisabeth II mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen
Dabei hilft das Image als bodenständige und bescheidene Frau, das die Queen stets zu pflegen wusste. Sie ist geprägt vom Sparzwang der Kriegs- und Nachkriegszeit und am liebsten präsentiert sie sich in Gummistiefeln in der Natur, umgeben von Tieren. „Sie mag Hunde, Pferde, Männer und Frauen – und zwar in dieser Reihenfolge“, schrieb einmal Biograf Graham Turner.
Gleichwohl hat sie die Inszenierung der Monarchie zur Perfektion geführt. Ob Krönung, Hochzeiten, Thronjubiläen oder Geburtstage – Großbritannien feiert nicht nur gerne die Regentin, sondern stets sich selbst. Die Queen sei eine Institution, sagt der 40 Jahre alte Londoner Niklas, der seine Familie an diesem Tag ins Legoland nahe Windsor ausführt.
Für Niklas bedeutet sie fast so etwas wie eine Großmutter. Ihre Majestät, sie gehört für viele Briten zur Familie. „Sie war da, lange bevor ich geboren wurde, und seitdem hat sich nichts verändert.“ Nur eines ist ihm wichtig: Dass sie sich aus dem politischen Geschäft heraushält. „Das würde das Ende der Monarchie bedeuten“. Der Zug fährt in Windsor ein. Die Tochter von Niklas hält es kaum auf dem Sitz. Sie hat Geburtstag und trägt eine glitzernde Krone auf dem Kopf. Heute will sie Prinzessin sein.
Palast-Kritiker bemängeln oft die Profillosigkeit des Staatsoberhaupts und eine fehlende Innovationskraft. Sie habe keine besonderen Akzente in der Gesellschaft gesetzt. Doch lag darin nicht das Geheimnis ihrer Beliebtheit? Die Unnahbare hat die schweren Palastvorhänge stets nur einen Spalt weit aufgezogen, um das Rätselhafte ihrer Person und die Magie der Monarchie zu bewahren. Die Distanz hat funktioniert. So schwärmt die 88-jährige Betty von der Königin, wie ein Teenager einen Popstar anhimmelt. „Sie hat diese innere Stärke, die ich so bewundere.“ Dann lacht Betty auf. „My dear“, sagt sie fröhlich. „Ich habe ein langes Leben gelebt.“ Es war ein gutes Leben.
Doch wenn die Queen jemals gehen sollte und damit das für die Briten Unvorstellbare eintritt, dann, sagt Betty, hoffe sie, dass sie ihr nicht lange danach folgen werde. „Ohne sie will ich nicht hier sein.“
Das Leben von Königin Elizabeth II. in acht Kapiteln