37 Millionen verkauft, ein Name für eine Generation und ein Auto, das jeder kennt: der VW Golf. Kein anderes Auto hat die Marke VW und den deutschen Alltag so geprägt wie der Golf. Als VW vor über 21 Jahren zur Jungfernfahrt des fünften Golf an den Stammsitz bat, haben die Stadtherren sogar kurzzeitig die Ortsschilder getauscht und anstelle von Wolfsburg «Golfsburg» aufgestellt.
Ende der 1960er-Jahre begann die Golf-Entwicklung
Begonnen hatte die Geschichte allerdings schon sehr viel früher in den späten 1960er-Jahren als der VW-Vorstand schmerzlich lernen musste, dass auch der Käfer nicht ewig krabbeln würde und sich zu einem Nachfolger durchgerungen hat. Während der Passat die Umstellung von Heck- auf Frontantrieb und von Luft- auf Wasserkühlung vorwegnahm, haben Teams bei Porsche, Audi und VW den Wettbewerb angenommen und ein Auto entworfen, das «dynamisch, aber auch komfortabel und sicher– dazu geräumig und dennoch kompakt» sein sollte, wie in der VW-Chronik nachzulesen ist.
Zwar hatten diese Entwürfe mit den spröden Kürzeln EA 266, EA 276 und EA337 alle schon ein wenig etwas vom späteren Serienmodell. Doch erst als der italienische Designer Giorgetto Giugiaro sich des Audi-Entwurfs annahm, wurde daraus der Golf, den VW im Frühjahr 1974 präsentierte – und den seitdem alle kennen: «Klare Linien, runde Scheinwerfer, große Heckklappe und eine starke C-Säule, die bis heute weiterlebt», hat Giugiaro einst sein Erfolgsrezept umrissen.
Der alte Golf ist für viele ein alter Bekannter
Wer heute mit einem Golf der ersten Stunde unterwegs ist, muss deshalb auch keine unwissenden Fragen beantworten, wie sonst so oft bei Oldtimern. Denn egal wie alt die Passanten auch sein mögen, haben sie gefühlt alle mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Golf oder seinem Nachfolger ihren Führerschein gemacht, selbst mal einen besessen oder zumindest jemanden gekannt, der einen sein Eigen nannte.
Selbst den jüngeren muss man nicht erklären, was das hier für ein Auto ist. Und zwar egal, ob man damit in Wolfsburg unterwegs, in Rüsselsheim oder in Köln, wo Opel und Ford seine wichtigsten Wettbewerber gebaut hat.
Doch schon der Umstand, dass dort über die Jahre aus dem Kadett der Astra wurde und aus dem Escort der Focus, der Golf aber immer Golf blieb, zeigt, wer in diesem Trio das Sagen hatte.
Zeitreise zu Schlaghosen und Koteletten
Während sich die Umstehenden noch in ihren Erinnerungen kramen, macht eine Testfahrt die Zeitreise perfekt. Aus dem krächzenden Radio wähnt man die Übertragung jenes Spiels gegen die Niederlande zu hören, das Deutschland im Jahr der Golf-Premiere zum Fußball-Weltmeister gemacht hat, die Jeans bekommen plötzlich wieder einen Schlag, die Koteletten sprießen und unter der Haube beginnt es munter zu schnurren.
Als Einstiegsmotor für 8.795 D-Mark gab es damals einen 1,1 Liter mit 37 kW/50 PS und Viergang-Schaltung und für ein paar Mark mehr einen 1,5 Liter Hubraum mit 52 kW/70 PS. Zwar wirkt auch dieser Motor unter der Haube nach heutigen Maßstäben so verloren wie ein Goldfisch im Hallenbad.
Doch bei einem Leergewicht von gerade einmal 850 Kilo ist der Golf zumindest subjektiv auch heute noch flott unterwegs. In Fallersleben schwimmt man locker mit im Verkehr, und den Weg entlang des Kanals bis hinter das VW-Werk findet der rüstige Rentner fast von allein.
Erst bei einem kurzen Abstecher auf die A39 merkt man dann doch drei Jahrzehnte Entwicklungszeit, die seit seiner Premiere vergangen sind: Für den Spurt von 0 auf 100 würde ihm bei 14,7 Sekunden kein Beschleunigungsstreifen der Welt ausreichen, und mit einem Spitzentempo von 153 km/h hätte er fast immer das Nachsehen.
Die Bedienung ist selbsterklärend - gibt ja auch nicht viel
Doch gestern wie heute ist der Golf in der Regel ein Auto, das es seinem Fahrer leicht macht – nicht umsonst war er auch bei Fahrlehren und Führerscheinneulingen immer erste Wahl: einsteigen, Sitz einstellen und einfach losfahren.
Obwohl der Golf I mit seinen 3,82 Metern etwa so lang ist wie heute der Polo, sitzt man vorn beinahe bequemer als in einem aktuellen Passat. Selbst beim Zweitürer kommt man auch als Enddreißiger noch so locker und lässig auf die Rückbank wie damals, als einen Mami und Papi von der Musikschule abgeholt haben.
Im Cockpit sind die Schalter grobschlächtig wie heute allenfalls noch in einem Lada, die Uhr tickt laut wie ein Backwecker, und das Rändelrad für die Instrumentenbeleuchtung erinnert an den Trafo der Modellbahn. Doch die beinahe spiegelfreien kegelförmigen Abdeckungen über den Rundinstrumenten – die hatte keiner. Sie wurden laut VW bis zum Spätsommer 1980 eingebaut. Zwar ist der Golf eine Konstante im VW-Imperium. Aber deshalb ist Golf nicht gleich Golf, sagt Thomas Schäfer, der aktuell die Geschicke der Marke und ihres wichtigsten Modells verantwortet. Der Golf habe sich in seinen 50 Jahren zugleich als unglaublich wandlungsfähig erwiesen.
Der Golf hat eine Großfamilie bekommen
So hat er viele Moden mitgemacht und viele Wünsche bedient. Gab es zum Start nur zwei Motorvarianten, sind es heute neun. Zu zwei und Viertürer kamen Cabrio und Kombi, es gab den Golf als Plus mit Hochdach, er kam lange vor dem Siegeszug der SUV als Country fürs Abenteuer. Und wo er als Schrägheck partout nicht landen konnte, hat er als Jetta mit Stufenheck doch noch die Welt erobert.
Und während das Erfolgsrezept des Käfers eine fast sture Konstanz war, hat sich der Golf über 50 Jahre immer wieder angepasst, alle technischen Entwicklungen mit- und viele Innovationen erst einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich gemacht.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass er seinen Vorgänger am 26. Juni 2002 überholt und mit damals 21.517.415 Exemplaren fortan als meistverkaufter VW gelten darf. Bis heute sind noch mal ein paar Millionen dazu gekommen. Denn mittlerweile in der achten Generation steht der Zähler bereits bei über 37 Millionen.
Dass es so weit gekommen ist, liegt nicht nur an den Qualitäten des Autos, seiner eingängigen Ergonomie und seiner über Generationen hinweg fast schon legendären Haltbarkeit, sondern vor allem an seinem Wesen und seiner Positionierung. «Der Golf ist ein klassenloses Auto», so VW-Chef Schäfer.
So steht's um den Golf in Sachen Sammeln
Und trotzdem hat irgendwann eine gewisse Götterdämmerung eingesetzt, sagt Frank Wilke. Während zumindest Versionen wie der GTI als Sportabzeichen der Generation Golf, das Cabrio als Luxusauto der Vorstädter oder spätere Sondermodelle wie der Golf «Pink Floyd», der Golf «Rolling Stones» und vor allem der in einem spektakulären «Dusty Mauve Metallic» lackierte Golf «Fire & Ice» längst bei den Sammlern angekommen sind, hat sich der gewöhnliche Golf der frühen Jahre so langsam aus dem Straßenbild verabschiedet, meldet der Chef des Marktbeobachters Classic Analytics aus Bochum.
Laut KBA sind deshalb kaum mehr als 20.000 Gölfe mit H-Kennzeichen auf der Straße – «Angesichts der Verkaufszahlen ein verschwindend geringer Anteil», sagt Wilke, nennt das aber als gängiges Phänomen bei solchen Erfolgsmodellen: «Je größer die Verbreitung in jungen Jahren, desto weniger beliebt sind solche Autos als Oldtimer.»
Ein Blick auf morgen
Nicht nur in der Absatzstatistik des Konzerns hat der Golf seinen Spitzenplatz an seinen geländegängigen Vetter Tiguan abgetreten. Sondern auch sein Ansehen war im Kreis des Vorstands unter dem letzten Vorsitzenden Herbert Diess im Aufflackern der elektrischen Euphorie dramatisch gesunken.
Nicht umsonst wollten die Niedersachsen bei seiner Premiere den ID.3 zum «Golf der Generation E» machen. Da hat Diess die Rechnung allerdings ohne den König der Kompakten und ohne Thomas Schäfer gemacht. Denn der will zwar an der Elektrifizierung festhalten, lasst aber keinen Zweifel an der Zukunft des Jubilars: «Das nächste elektrische Kompaktmodell wird so heißen, wie es sich für einen kompakten VW seit 50 Jahren gehört: Golf.»
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