Herr Kleber, am 2. Januar vor 40 Jahren startete das „heute-journal“ im ZDF. Wie hat sich die Nachrichtenwelt seit damals verändert?
Claus Kleber: Fundamental! In den letzten zehn Jahren mehr als in den 30 Jahren, vielleicht sogar in den hundert Jahren zuvor. Wir haben heute eine völlig veränderte Welt, viel mehr Informationen als früher strömen auf die Menschen ein. Wir haben aber auch viel effizientere Recherchemittel, die jederzeit und überall auf der Welt jedem Journalisten zur Verfügung stehen – und jedem, der Journalisten auf die Finger schauen will.
Viele glauben, dass Politik und Medien unter einer Decke stecken…
Kleber: Es gibt so etwas wie den Mainstream der Medien, einen Konsens, der sich durchaus feststellen lässt. Der war zum Beispiel für eine gewisse Zeit eher flüchtlingsfreundlich als flüchtlingskritisch – oder sagen wir flüchtlingspolitikfreundlich. Manche haben deshalb das Gefühl, das werde zentral gesteuert. Aber ich kann aus dem Maschinenraum sagen: Dieser Vorwurf ist völlig unbegründet – niemand steuert das.
Die ARD-„Tagesthemen“ sind 1978 am selben Tag gestartet wie das „heute-journal“ des ZDF. Welche Rolle spielt die Konkurrenz für Sie?
Kleber: Wir schauen jeden Tag die „Tagesthemen“, und bei unserer täglichen Kritik unserer Sendung fragen wir stets auch: Warum haben die Kollegen sich für ein anderes Thema entschieden, warum haben die ein Thema anders angepackt? Und manchmal sagen wir auch: Die haben das besser gemacht als wir. Wir spielen in derselben Liga dasselbe Spiel und wünschen den Kollegen alles Gute. Wir sind auch untereinander befreundet.
Welches waren Ihre Höhepunkte als Moderator des „heute-journals“?
Kleber: Highlights sind meist Sendungen, bei denen wir das Gefühl hatten: Heute kommt es auf uns ganz besonders an. Leider sind das oft schreckliche Themen. Aber auch da gibt es, ehrlich gesagt, so etwas wie professionelle Zufriedenheit, wenn wir das Gefühl haben: Das haben wir anständig gemacht. Barack Obama zu interviewen, war natürlich großartig. Aber noch lieber erinnere ich mich an das Interview mit Colin Powell, der US-Außenminister war, vor dem Irak-Krieg 2003.
Warum hat sich in den Interviews mit Politikern und Managern der Ton vonseiten der Journalisten so verschärft?
Kleber: Ich finde nicht, dass er sich verschärft hat. Wir bemühen uns um einen gepflegten Ton, wir sagen „Guten Abend“ und „Danke“, und wir lassen unsere Gesprächspartner so lange ausreden, bis wir das Gefühl haben, sie wiederholen sich oder sie weichen der Frage aus.
Nach Ihrem Interview mit Siemens-Chef Joe Kaeser wurde Ihnen ein inquisitorischer Ton vorgeworfen...
Kleber: Joe Kaeser hatte Russlands Präsident Putin mitten in der Ukraine-Krise einen Besuch abgestattet, als wäre nichts geschehen. Dazu habe ich ihn scharf befragt, obwohl ich privat sein Verhalten verstanden habe – aber das darf in einem Interview keine Rolle spielen. Danach gab es einen Aufruhr, wie ich mit dem Führer eines Weltunternehmens so reden könnte. Ein Jahr später trafen wir uns bei einer Podiumsdiskussion, und er sagte: „Das hat mich gewundert, das Gespräch war doch völlig in Ordnung.“
Der Journalist Hanns Joachim Friedrichs hat einmal gefordert: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“
Kleber: Ich fühle mich dem verpflichtet, was Friedrichs gemeint hat: Wir zeigen Haltung, aber keine Parteilichkeit. Ich weiß bei unserer ganzen Redaktion nicht, wo die parteiliche Zuneigung der einzelnen Kolleginnen und Kollegen ist, das spielt bei uns keine Rolle. Unsere Haltung ist kritisch gegenüber allen: Wir wollen nachhaken, durch die Wolken von Verbrämungen, gefälschten Argumenten, vorgetäuschten Besorgnissen stechen, um auf den Kern der Fakten zu kommen. Nicht weil wir dem ein oder anderen Böses unterstellen, sondern weil es unser Job ist zu fragen.
Aber bei der Flüchtlingsfrage standen Sie doch eindeutig auf der Seite der Kanzlerin, oder?
Kleber: Man hat den Medien unterstellt, dass sie willenlos der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gefolgt seien. Davon kann nicht die Rede sein. In den Sendungen im Flüchtlingsseptember 2015, die ich mir alle noch einmal angeguckt habe, haben wir schon in den ersten 48 Stunden auf die Probleme hingewiesen, wenn etwa unkontrollierte Zustände an der Grenze herrschten. Aber natürlich haben wir auch abgebildet, wie dieses Land sich damals über sich selber gefreut hat – darüber, wie großherzig und hilfsbereit es ist.
Ihre „Tagesthemen“-Kollegin Caren Miosga stieg auf den Tisch, um den toten Robin Williams zu würdigen. Sie selber mussten bei einer Moderation einmal mit den Tränen kämpfen. Muss Journalismus emotionaler werden?
Kleber: Keineswegs, und das ist auch nicht der Fall. Und übrigens: In der Sendung, wo ich angeblich den Tränen nahe war, hatte in Wahrheit lediglich meine Stimme für eine Zehntelsekunde einen kleinen „Kieks“, als ich nach einem Beitrag zu den Nachrichten überleitete.
Claus Kleberwurde 1955 in Reutlingen geboren. Der promovierte Jurist arbeitete als Anwalt, wurde dann Journalist. Einen Namen machte er sich als USA-Korrespondent der ARD. Seit 2003 moderiert er das „heute-journal“.