Ein zerfetzter Bus, Kinderkleider auf der Fahrbahn, Helfer mit Tränen in den Augen: 28 Menschen, darunter 22 Kinder, sind bei einem schweren Busunglück in einem Schweizer Autobahntunnel gestorben. Für etliche der 24 Verletzten bestand Lebensgefahr, drei lagen am Mittwoch im Koma. Im Unfallfahrzeug saßen zwei Schulklassen aus Belgien, die auf der Heimfahrt aus der Skiregion Val d'Anniviers waren. Menschen aus ganz Europa reagierten bestürzt. Die Angehörigen sind auf dem Weg zu dem Unglücksort.
Noch am Montag schwärmten die Schüler von den "Superferien"
Trauer und Fassungslosigkeit auch in Belgien: Vor den Schulen in Heverlee in der Nähe von Brüssel und in Lommel an der niederländischen Grenze spielten sich am Morgen ergreifende Szenen ab. Mitschüler und Angehörige lagen sich weinend in den Armen. Noch am Montag hatten sich die Schüler aus Lommel per Online-Reisetagebuch aus ihren "Superferien" gemeldet. "Jawohl, liebe Daheimgebliebene, wir sind schon fast am Ende. Morgen ist schon der letzte Tag ..."
Die Eltern der Opfer wurden von den Schulen zu einem Militärflughafen in Melsbroek gebracht, wo sie ein "zutiefst geschockter" König Albert II. empfing. Mit einem Airbus flogen 116 Angehörige in Richtung Schweiz, wo sie am Nachmittag erwartet wurden. Während einige einen erlösenden Anruf von ihrem Kind bekamen, war für andere immer noch unklar, ob ihr Sohn oder ihre Tochter eines der schwersten Busunglücke in der Schweizer Geschichte überlebt hatte.
Nationaler Tag der Trauer in Belgien
Busunglücke mit Schülern
Schon zahlreiche Kinder und Jugendlichen sind bei Busfahrten zur Schule oder auf Klassenreisen verunglückt.
Januar 2004: Bei einem Schulbusunfall im Schweizer Kanton Wallis werden sechs Kinder verletzt. Der Bus war auf schneebedeckter Straße ins Rutschen geraten. Er schlitterte etwa 40 Meter einen Abhang hinunter.
Juli 2004: Beim Auffahrunfall zweier Reisebusse in der Schweiz werden 14 Schüler aus Baden-Württemberg verletzt. Die Jugendlichen aus dem Raum Heilbronn waren auf der Rückreise von einer Schulfahrt nach Italien.
Juni 2005: Am Hamburger Elbtunnel fährt ein voll besetzter Bus mit Schülern aus dem nordrhein-westfälischen Lübbecke auf einen im Stau haltenden Lastwagen auf. 20 Kinder, ihre Lehrerin und drei Autofahrer werden verletzt.
Februar 2006: Drei Schüler sterben in Coppenbrügge in Niedersachsen: Ihr Bus wird bei Schneetreiben von einem entgegenkommenden, mit Eisenteilen beladenen Lastwagen gerammt und aufgeschlitzt.
Mai 2008: Bei einem Unfall mit einem Schulbus nahe Hohenlockstedt in Schleswig-Holstein kommt ein Autofahrer ums Leben. Die Busfahrerin sowie drei Jugendliche und ein weiterer Autofahrer werden leicht verletzt. Die übrigen etwa 50 Kinder kommen mit dem Schrecken davon.
Februar 2010: Beim Unfall eines Doppeldeckerbusses werden in Österreich 32 junge ungarische Wintersportler verletzt. Der Bus mit etwa 80 Jugendlichen kam auf dem Weg ins Kärntner Skigebiet Innerkrems von der schneeglatten Straße ab und stürzte in einen Graben.
Mai 2011: Auf einer Klassenfahrt werden drei Jugendliche und drei Erwachsene aus Bayern bei einem Busunglück in Slowenien zum Teil schwer verletzt. Sie waren zur Feier ihres Mittelschulabschlusses nach Kroatien unterwegs.
Februar 2012: Ein Reisebus mit etwa 50 Schülern aus Hamburg gerät auf der A7 bei Soltau in Niedersachsen in Brand. Acht Jugendliche werden verletzt. Der Bus brennt vollkommen aus.
Premier Di Rupo kündigte einen nationalen Tag der Trauer in Belgien an. Er teilte mit, die Polizei habe Spezialisten entsandt, um bei der Identifizierung der Opfer zu helfen. Diese sei "sehr mühsam".
Der Bus mit 52 Insassen krachte am Dienstagabend in einer Tunnelröhre der A9 bei Siders im Wallis gegen eine Wand. Dabei starben auch die beiden Busfahrer sowie vier weitere Erwachsene. 24 Kinder erlitten laut Polizei Verletzungen. Nach belgischen Angaben waren auch ein Deutscher und ein Pole in dem Unglücksfahrzeug. Nähere Angaben machte der belgische Regierungschef Elio Di Rupo dazu zunächst nicht.
An der Unfallstelle bot sich ein Bild des Schreckens: Der vordere Teil des gelb-roten Reisebusses wurde bei dem Aufprall zerfetzt. "Die Front des Busses war total eingedrückt", berichtete eine Korrespondentin des Schweizer Fernsehens vom Unglücksort. Auf der Fahrbahn lagen Kleider und Gepäckstücke der Kinder, die meist um die zwölf Jahre alt waren.
200 Helfer unter großer Belastung
Rettungskräfte hätten die Seitenteile des zerquetschten Fahrzeugs aufschneiden müssen, damit die Opfer herausgeholt werden konnten. Viele von ihnen wurden mit Hubschraubern und Rettungsfahrzeugen in Krankenhäuser gebracht. Sanitäter, Polizei und Feuerwehrleute waren stundenlang im Einsatz. Die Belastung war den insgesamt 200 Helfern auch am Morgen danach anzusehen: Einige hatten Tränen in den Augen, berichtete die Nachrichtenagentur sda. Die Bergung der Verletzten und Toten habe sehr lange gedauert, sagte der Leiter der Rettungszentrale, Jean-Pierre Dellars. Dies sei von allen als "sehr tragisch" empfunden worden.
Was sich exakt am Dienstag gegen 21.15 Uhr in dem knapp 2,5 Kilometer langen Tunnel abspielte, war zunächst unklar. Ersten Ermittlungen zufolge streifte der Reisebus einen Bordstein in der Tunnelröhre und wurde gegen eine Nothaltestelle an der Wand geschleudert.
"Es war wie im Krieg", sagte der Kommandant der Walliser Kantonspolizei, Christian Varone, zu den Rettungsarbeiten. "Mit einer so großen Anzahl von jungen Toten" - das habe er noch nicht erlebt.
Noch keine näheren Erkenntnisse zum Unfallhergang
Das völlig zerstörte Buswrack wurde abtransportiert und soll genau untersucht werden. Dadurch erhoffen sich die Ermittler nähere Erkenntnisse zum Unfallhergang. Zudem wollten die Polizei und Belgiens Premier Di Rupo am Nachmittag bei einer Pressekonferenz in Sitten mehr Informationen bekannt geben.
Nach belgischen Angaben war kein weiteres Fahrzeug an dem Unglück beteiligt. In der Röhre gibt es keinen Gegenverkehr. Der Bus der belgischen Gesellschaft "Top Tours" war von Siders in Richtung Sitten gefahren. Der Fahrer kann nach Ansicht des Staatssekretärs im belgischen Verkehrsministerium nicht übermüdet gewesen sein. "Die Fahrer sind am Vortag angekommen und haben den Tag an Ort und Stelle verbracht, bevor sie losgefahren sind", sagte Melchior Wathelet.
Mehrere Kinder im Bus aus den Niederlanden?
Drei Passagiere erlitten besonders schwere Verletzungen. Zwei von ihnen wurden zum Universitätskrankenhaus von Lausanne geflogen, einer in eine Klinik nach Bern. Mehrere Kinder im Bus sollen auch aus den Niederlanden kommen. Ihre Schule in Lommel liegt nahe der Grenze.
Zahlreiche europäische Politiker sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Merkel schrieb am Mittwoch an den belgischen Ministerpräsidenten: "Ich möchte Ihnen und Ihren Landsleuten in dieser schweren Stunde die Anteilnahme der Menschen in Deutschland und mein ganz persönliches Mitgefühl ausdrücken."
Beim Auswärtigen Amt in Berlin gab es am Mittwochnachmittag noch keine Informationen zu einem deutschen Businsassen. Man sei um schnelle Aufklärung bemüht. dpa/afp/AZ