Von Carsten Rave (dpa) und
Augsburg/Hamburg. Ein Vierteljahrhundert Privatfernsehen. Das bedeutet ein Vierteljahrhundert Diskussion von Medienexperten, Pädagogen und Bildungseinrichtungen über den Verfall des guten Geschmacks und die Trivialisierung der Gesellschaft. Allerdings setzte es zu seinen besten Zeiten auch Akzente mit mutigen Sendeformaten und lehrte die öffentlich-rechtlichen Anstalten das Fürchten.
Mitten in die Reich-Ranicki-Qualitätsdiskussion platzte unlängst die schlichte Kuppelsendung "Bauer sucht Frau" und sorgte für Rekordquoten.
Was haben wir seit dem Start des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen am 1. Januar 1984 nicht alles gesehen: Da turnte auf RTL ein leicht bekleidetes "Cin Cin"-Ballett herum und Moderator Hugo Egon Balder faselte irgendwas von Länderpunkten, die keiner verstand. Aber bis zu vier Millionen schauten sich zeitweise die Fleischbeschau an.
Es folgten die Container-Saga "Big Brother", Dschungelshows, Brüll-Talk am Nachmittag und Comedy ohne Ende am Abend - Formate, die mitunter die Medienaufsicht auf den Plan riefen.
Aber Fernsehen gilt inzwischen - trotz Casting-Shows für Teenager - als altes Medium. Die jungen Leute zieht es verstärkt ins Internet, das mit seinen steigenden Werbe-Erlösen von den privaten TV-Sendern als zunehmende Bedrohung empfunden wird. Und sie leiden auch wie die Zeitungshäuser unter den Online-Aktivitäten der mit Gebühren finanzierten Häuser ARD und ZDF. Hinzu kommt die ohnehin schwierige Situation des finanziell angeschlagenen ProSiebenSat.1-Konzerns.
Dabei herrschte am TV-Markt noch vor 25 Jahren eine ähnliche Goldgräberstimmung wie vor nicht allzu langer Zeit bei den Pionieren des World Wide Webs. Sat.1 und RTL plus (ab 1993 RTL), auch heute noch am Privat-Markt die Nummer eins und zwei, machten damals den Anfang. Es folgte der Sender Musikbox (ab 1989 Tele 5). Der Musikkanal MTV kam 1987, dann gesellten sich 1989 ProSieben, 1991 der Bezahlsender Premiere, 1992 der Kabelkanal (ab 1994 Kabel 1) und der Nachrichtensender n-tv hinzu.
Der Satellit sorgte für
höhere Zuschauerzahlen
Breitbandverkabelung und Satellitenempfang sorgten später für höhere Zuschauerzahlen und steigende Werbeumsätze. Als Folge drängten in den 90er-Jahren weitere Privatsender auf den Markt: Vox, RTL II, Viva, Super RTL, N24 und andere.
Heute macht es die Digitalisierung jedem Satellitenhaushalt möglich, rund 350 private TV-Kanäle zu empfangen. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: ob Tier TV, Timm, der Sender für Homosexuelle, oder TV Gusto mit Rezepten und Weinen. Anfangs sah es wirtschaftlich nicht gut aus für die Privatsender. In den 90er-Jahren jedoch stiegen die Nettoumsätze des privaten Werbefernsehens und der mittlerweile rund 250 Radiostationen stetig: von 1,5 Milliarden 1992 bis auf mehr als acht Milliarden Euro im abgelaufenen Jahr.
Die Gebühren machen derzeit ein Volumen von etwa 6,5 Milliarden Euro aus - zusätzlich nehmen ARD und ZDF noch mehr als 200 Millionen Euro durch Werbung ein. Zähneknirschend übernahmen ARD und ZDF in Variationen einige der Programmideen der Privaten: Frühstücksfernsehen, Mittagsmagazine, Daily Soaps. Jörg Pilawa etwa war die Quiz-Onkel-Antwort auf Günther Jauch (RTL). Minderheitensendungen wanderten in die späten Abendstunden oder in die Spartenkanäle.
Harald Schmidts Karriere wurde erst durch Sat.1 möglich (wo er auch am besten war). Auch der aus dem öffentlich-rechtlichen System stammende Jauch wäre ohne RTL wohl kaum zum Topstar geworden.
Was fast vergessen ist: Reinhold Beckmann, Jörg Pilawa (ARD) und Johannes B. Kerner (ZDF) wurden zunächst bei RTL und Sat.1 bekannt.