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Warum das Klimacamp in Nördlingen bleiben darf: Landratsamt erklärt

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Landratsamt erklärt, warum das Klimacamp nicht einfach umgesiedelt wird

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    Das Klimacamp in Nördlingen wird nicht für das Kulturfestival verschoben
    Das Klimacamp in Nördlingen wird nicht für das Kulturfestival verschoben Foto:  Jan-Luc Treumann

    Das Landratsamt geht in einer aktuellen Pressemitteilung darauf ein, warum das „Klimacamp“ in Nördlingen aktuell dort bleiben darf. Die Stadt hatte in einer Pressemitteilung von vergangener Woche die Veranstalter zu einer Beendigung des Camps aufgerufen. Das Landratsamt wurde zugleich gebeten, das Camp zumindest für Veranstaltungen wie das anstehende Kulturfestival, den Herbst- und den Weihnachtsmarkt per Bescheid zu unterbrechen oder dessen Verlegung anzuordnen. Als Gründe wurden u. a. fehlendes Verständnis in der Nördlinger Bevölkerung, Zweifel in Bezug auf den Nutzen bzw. die Sinnhaftigkeit einer solchen Form des Klimaprotestes sowie Verstöße, etwa gegen Auflagen des versammlungsrechtlichen Bescheids des Landratsamts, angeführt.

    Da das Thema die Menschen in und um Nördlingen offensichtlich bewegt und die Rufe nach einem Einschreiten gegen das Camp zunehmend lauter werden, dabei gleichzeitig aber offensichtlich in der Bevölkerung auch Missverständnisse bzw. Informationslücken in Bezug auf die Rechtslage und die Handlungsmöglichkeiten der Behörden zu Tage treten, möchten das Landratsamt und Landrat Rößle die Gelegenheit nutzen, anhand solcher „Protestcamps“ die Bedeutung und die Reichweite des Grundrechts der Versammlungsfreiheit einmal etwas ausführlicher darzustellen.

    Klimacamps fallen unter die Versammlungsfreiheit

    Dazu ist als Ausgangspunkt festzuhalten, dass derartige Camps tatsächlich in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallen, wie es in der Mitteilung heißt. Dem Versuch der Stadt Augsburg, dem dortigen Klimacamp die Versammlungseigenschaft abzusprechen, haben das Verwaltungsgericht Augsburg und der Bayer. Verwaltungsgerichtshof einen Riegel vorgeschoben. Mittlerweile habe auch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass solche Camps als für die Versammlung erforderliche logistische Infrastruktureinrichtung versammlungsrechtlich geschützt sind.

    Das vorausgeschickt ist als Nächstes mit dem wohl gängigsten Missverständnis in Bezug auf die Versammlungsfreiheit aufzuräumen: Versammlungen bedürfen keiner Erlaubnis oder Genehmigung, weder durch das Landratsamt als zuständiger Versammlungsbehörde, noch durch sonst eine Behörde. Tatsächlich haben nach Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes vielmehr alle Deutschen ausdrücklich das Recht, „sich ohne […] Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Danach seien Versammlungen unter freiem Himmel aber lediglich anzumelden, was in Bezug auf das Klimacamp auch erfolgt ist.

    Landratsamt kann keine Genehmigung für das Camp erteilen

    Weiter können sie unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt oder verboten werden, insbesondere um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhüten. Dementsprechend hat das Landratsamt am 7. August auch lediglich einen Auflagenbescheid mit Regelungen etwa zur räumlichen Abgrenzung des Camps, den zulässigen Kundgebungsmitteln oder auch dem Verbot zum Beklettern des Daniels erlassen, aber keine „Genehmigung“ für das Camp erteilt, wie es fälschlicherweise immer wieder verlautete.

    Auch um Aufmerksamkeit zu erzielen, seien Provokation, Penetranz und andere gemeinhin als Zumutung empfundene Mittel nicht von vornherein unzulässig. Auch solche Verhaltensweisen akzeptiere das Grundgesetz im Rahmen von Versammlungen im Interesse einer offenen und vielfältigen Gesellschaft. Die Klimacamper in Nördlingen durften sich daher auch den Standort neben St. Georg für ihr Camp aussuchen, von dem sie sich eine größere Aufmerksamkeit erhoffen als an den von der Stadt angebotenen Alternativstandorten, auch wenn gerade dort allein schon die Optik des Camps von Vielen als störend oder eben Zumutung empfunden werden mag.

    Verlegung von Klimacamp in Nördlingen sei nicht einfach möglich

    Das Landratsamt könne nicht einfach die Verlegung an einen anderen Ort anordnen. Jegliche Beschränkung bedarf vielmehr zum einen einer genau zu begründenden und auf Tatsachen gestützten Prognose, dass ohne die Beschränkung bei Durchführung der Versammlung Gefahren für – möglichst hochrangige – andere Rechtsgüter drohen. Und zum anderen muss eine Abwägung dieser Gefahr mit der Versammlungsfreiheit zum Ergebnis haben, dass letztere trotz ihres hohen Verfassungsrangs unterliegt. Ausdrücklich kein zulässiges Kriterium ist nach den Maßgaben der ständigen Rechtsprechung, ob das Anliegen der Versammlung oder die dazu eingesetzten Mittel, dieses zu kommunizieren, von der Mehrheit der Gesellschaft unterstützt oder abgelehnt werden. Ebenso wenig darf eine Beschränkung oder gar ein Verbot vorrangig auf Überlegungen zur Sinnhaftigkeit oder Nützlichkeit einer Versammlung gestützt werden bzw. - bezogen auf das hiesige Camp -, ob und in welchem Umfang dadurch tatsächlich ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird oder ob es nicht vielleicht sogar kontraproduktiv für diesen Zweck ist.

    Landrat Stefan Rößle kann laut der Mitteilung viele Kritikpunkte persönlich nachvollziehen: „Ich habe natürlich Verständnis dafür, dass ein solches Camp bei den Bürgerinnen und Bürgern und den politisch Verantwortlichen der Stadt Nördlingen nicht gerade auf Begeisterung stößt. Zumal man sich leider auf Seite der Campbetreiber an Zusagen bzgl. der Bereitschaft, das Camp für größere Veranstaltungen zeitweise zu verlegen, nun offenbar nicht mehr gebunden fühlt.“

    Was passiert mit dem Weihnachtsmarkt in Nördlingen?

    Gemessen an den hohen Hürden für eine Beschränkung, so der Landrat weiter, sehe man in der Gesamtschau aber aktuell noch keine rechtmäßige Möglichkeit, die Verlegung des Camps gegen den Willen der Veranstalter anzuordnen und durchzusetzen. Das gelte zumindest für das bevorstehende Kulturfestival. Er teile insoweit die Rechtsauffassung seiner Verwaltung, dass weder erkennbar ist, dass durch das Erfordernis, einzelne Darbietungen um das Camp herumverlegen zu müssen, kollidierende Rechtsgüter wie die Kunstfreiheit unverhältnismäßig beeinträchtigt würden, noch dass die bisher festgestellten Verstöße, wie z. B. das Anbringen einzelner Banner außerhalb des im Auflagenbescheid festgelegten Bereichs, nach Gewicht und Anzahl bereits ausreichen, um allein daraus gerichtsfest auf eine konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schließen zu können.

    Aber auch an die Veranstalter des Camps bzw. die Teilnehmer richtet Landrat Rößle deutliche Worte: „Dass wir uns jetzt gegen eine Verlegung des Camps entschieden haben, bedeutet keineswegs, dass wir das für den Herbstmarkt und insbesondere den Weihnachtsmarkt genauso entscheiden. Es muss jeder Einzelfall für sich betrachtet werden. Hier sind voraussichtlich Rechte Dritter, vor allem Gewerbetreibender, in einem größeren Umfang betroffen. Ich würde mir daher sehr wünschen, wenn wir uns hier entsprechend der ursprünglichen Zusage der Veranstalter auf eine freiwillige Verlegung verständigen könnten. Zudem warne ich davor, den Bogen zu überspannen, was weitere Verstöße gegen versammlungsrechtliche Auflagen, Sachbeschädigungen und dergleichen angeht. Hier sieht konkret in Bezug auf Protestcamps auch die höchstrichterliche Rechtsprechung mit zunehmender Dauer des Camps Erleichterungen, was die Möglichkeit einer Beschränkung oder Auflösung der Versammlung angeht. Das wäre für mich z. B. spätestens dann der Fall, wenn das Camp überwiegend nur noch als Ausgangsbasis für rechtswidrige Handlungen genutzt wird.“ (AZ)

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