In Wallerstein gab es eine jüdische Gemeinde von spätestens der Mitte des 14. Jahrhunderts bis 1939. Die Staatlichen Archive Bayerns haben nun digitalisierte Dokumente des jüdischen Gemeindearchivs auf ihrer Website online frei zugänglich gemacht, neben Archivalien der jüdischen Gemeinden in Treuchtlingen und Floß in der Oberpfalz. Am Ende des Projekts sollen rund 200 bayerisch-israelitische Gemeindearchive zugänglich sein. Aus dem Landkreis Donau-Ries sollen noch Unterlagen zu den jüdischen Gemeinden in Nördlingen, Donauwörth, Oettingen, Ederheim sowie Mönchsdeggingen folgen, wenn auch deutlich weniger im Vergleich zu den 34 Wallersteiner Archivalien.
Ludwig Spaenle (CSU) ergriff die Initiative zu dem Projekt, er ist der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. So kam es zu der Kooperation zwischen der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns und den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem. Die Wallersteiner jüdische Gemeinde hatte ihr Archiv bereits vor der Reichspogromnacht 1938 an das 1905 gegründete Gesamtarchiv der deutschen Juden in Berlin gegeben, wie ein Archiv-Mitarbeiter erläutert. In ähnlicher Weise gelangten auch die Gemeindearchive Donauwörth und Nördlingen in das jüdische Gesamtarchiv. Dieses wurde 1938 von der Gestapo beschlagnahmt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam das Wallersteiner Archiv an die späteren CAHJP.
Wallersteiner Archivalien reichen zurück bis zum 16. Jahrhundert
Die Wallersteiner Archivalien reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück und beziehen sich auf die öffentlich-rechtliche Stellung der Jüdinnen und Juden, die Organisation und Allgemeine Verwaltung der Gemeinde, deren Finanzwesen und Rechtsangelegenheiten sowie die Bereiche Kultus und den Personenstand. So finden sich beispielsweise der Entwurf einer Eingabe an die königliche bayerische Regierung zur bürgerlichen Gleichstellung, ein Dokument über die Verleumdung und Verfolgung der Judenschaft wegen angeblichen Kindsraubs in Fremdingen sowie Gebete für die königliche Familie anlässlich der Entbindung von Königin Therese 1828 und anlässlich der Rückkehr Ludwigs I. aus Griechenland vom Besuch bei seinem Sohn Otto.
Zur Organisation und Verwaltung finden sich die Gemeindestatuten, Archivalien zu Vorstandswahlen und zahlreiche Gemeindeprotokolle (von 1793 bis 1864). Zum Finanzwesen sind Dokumente über „Judenabgaben“ überliefert (die ältesten von 1656) und Kassenbücher. Zum Kultus finden sich Urteile des Rabbinatsgerichts, Unterlagen zur Schule, Synagoge und Mikwe, zur Beschneidung und zum Thema „Fleisch und Metzger“. Im Ordner Personenstand finden sich Akten über Trauungen und ein Band des Friedhofsverwalters mit hebräischen Grabsteininschriften von 1558 bis 1941. 1942 wurden die letzten fünf Wallersteiner Juden deportiert und ermordet. Da es sich um offizielle Akten der Kultusgemeinde handelt, sind viele Dokumente in einer Kanzleihandschrift des 19. Jahrhunderts oder auf Hebräisch geschrieben.
Die Sicht der jüdischen Bewohner
Zur Bedeutung der Archivalien sagt Gerhard Beck, der Leiter des Oettingen-Wallerstein'schen Archivs: „Üblicherweise tauchen die jüdischen Einwohner von Wallerstein und den anderen Orten fast immer nur aus der Sicht der christlichen Schreiber und Verwaltungen auf. So erscheinen bei Urkunden, Protokolleinträgen und Ähnlichem in den Fürstlichen Archiven auf der Harburg, aber auch in den Staatsarchiven oder kommunalen Gemeindearchiven, die jüdischen Mitbürger als Geschäfts- oder Vertragspartner, Konfliktpartei oder Einwohner. Das israelitische Gemeindearchiv jedoch beleuchtet viele Vorgänge aus der Sicht der jüdischen Bewohner von Wallerstein selbst.“ Das zeige sich vor allem auch an den vielen Schriftstücken, die in hebräischer Schrift verfasst sind. Auch im Archiv in Harburg gebe es eine Reihe von Archivalien zu den jüdischen Gemeinden im früheren Fürstentum Oettingen. Da es dabei jedoch fast immer um Korrespondenz und Vorgänge mit den herrschaftlichen Ämtern gehe, seien diese ausnahmslos in deutscher oder lateinischer Sprache verfasst, erklärt Beck.
Sigrid Atzmon, Vorsitzende des Freundeskreises der Synagoge Hainsfarth, zeigt sich dankbar für das Projekt und lobt die „fortschrittliche Arbeit“ des Antisemitismusbeauftragten und der beteiligten Archive: „Mit der Digitalisierung der Quellen können neue Erkenntnisse zum Alltag der Jüdinnen und Juden auf erleichterte Weise gewonnen werden. Gerade für junge Leute an Schulen und Universitäten sehen wir großes Potenzial, sich mit jüdischer Forschung zu beschäftigen. Dieses Wissen trägt dazu bei, gegen Judenhass anzugehen.“