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Von grenzenlosem Zynismus: Erinnerung an die Judenverfolgung im Ries
![In der ehemaligen Synagoge wurde an die Judenverfolgung in der NS-Zeit erinnert (von links): Hermann Waltz, Albert Riedelsheimer, Sigried Atzmon, Werner Eisenschink und Joachim Gericke. In der ehemaligen Synagoge wurde an die Judenverfolgung in der NS-Zeit erinnert (von links): Hermann Waltz, Albert Riedelsheimer, Sigried Atzmon, Werner Eisenschink und Joachim Gericke.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674498059-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Am Europäischen Tag der jüdischen Kultur werden in der ehemaligen Synagoge verschiedene Texte vorgelesen. Ein Nördlinger OB war ein williger Vollstrecker.
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Der Europäische Tag der jüdischen Kultur ist am vergangenen Sonntag im Ries an mehreren Stellen begangen worden. Der Freundeskreis der ehemaligen Synagoge Hainsfarth hatte Texte über jüdisches Leben im Ries, vorgetragen von Werner Eisenschink und Joachim Gericke, angekündigt. Der Film „Ein Sommer in Hainsfarth“ sollte anschließend vorgeführt werden, was aber aus urheberrechtlichen Gründen nicht möglich war.
Schon das grundlegende Motto „memory“ zeigte auf, dass die Veranstaltung einen nachdenklichen Charakter tragen würde. Dem entsprachen die einleitenden, geradezu andächtigen Musikstücke, arrangiert von Helmut Scheck, vorgetragen von den beiden Nördlinger Musikanten Werner Eisenschink (Akkordeon) und Joachim Gericke (Zither). Vor vollbesetztem Haus wies die Vorsitzende Sigried Atzmon darauf hin, dass sich nicht weniger als 30 Länder an diesem Tag um ein europaweites Besinnen auf die gemeinsame jüdische Kultur bemühen. Hermann Waltz, zweiter Vorsitzender des Freundeskreises, zeigte sich entsetzt über die immer wieder auftauchenden Äußerungen von Judenfeindschaft. Insbesondere forderte er vom Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder „ein klares Stoppschild“ gegen jede Verharmlosung, gar Selbststilisierung des Stellvertreters zum Opfer. Er dankte der Ersten Vorsitzenden ausdrücklich für ihr Engagement, was von der Versammlung mit stehendem Applaus gebilligt wurde.
Erschütterndes Bild vom Geschehen im Ries
Mit dem Satz des Holocaust-Überlebenden Primo Levi „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen“ leitete Eisenschink die Verlesung von Texten ein. Leitthema war die Entmenschlichung der Rieser Juden - vom Spott über Ausgrenzung und Entrechtung bis zur Vernichtung. Zitate aus Artikeln der damaligen Lokalpresse, aus dem „Stürmerkasten", sowie aus Behörden und Parteiakten der 30er und 40er Jahre, aber auch aus Entnazifizierungsakten und Berichten von Zeitzeugen und Emigranten, zeigten durch heuchlerische Sprache ein erschütterndes Bild von dem Geschehen, das Ludwig Spaenle, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung, einmaligen Zivilisationsbruch genannt hatte. Ein grenzenloser Zynismus verlangte von den Juden nach Abschnürung vom gesellschaftlichen und geschäftlichen Leben erst die Offenlegung, dann die Ablieferung allen Vermögens, ja der einfachsten Habe, dann die Räumung der eigenen Wohnung binnen kürzester Frist und den Kauf von Bahnfahrkarten nach Neuaubing, dem Ausgangspunkt der Deportationszüge nach Piaski in Polen, zur Ermordung.
Zu seinem erkennbaren Bedauern musste Werner Eisenschink, der seit langem über die Geschichte der NS-Zeit im Ries forscht und vor Jahren bereits unter dem Titel „Die Provinz wird braun“ ausführlich darüber berichtet hat, den Namen des Nördlinger Oberbürgermeisters Dr. Wilhelm Hausmann nennen, aus dessen Verfügungen und Meldung sich ergibt, dass er sich durchaus nicht nur als politisch indifferenter Verwaltungschef betätigte, sondern als williger Vollstrecker der menschenverachtenden Vorgaben von NSDAP (der er angehörte), SA, Gestapo und SD. Die bäuerliche Bevölkerung leistete anfangs, zum Teil unterstützt von den örtlichen Bürgermeistern, stillschweigenden Widerstand gegen die angeordneten Boykottmaßnahmen und Ausgrenzungen. „Das Ries ist stark verjudet“ beklagte sich der Gauleiter. Letztlich behielten der Parteiapparat und das bereitwillige Mitmachen der Bevölkerung die Oberhand, gab es doch auch Gelegenheit, „Schnäppchen“ zu machen – auf Kosten der entrechteten Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Am Schluss "Die Gedanken sind frei"
Es war, wie Werner Eisenschink zum Abschluss der Lesung feststellte, eine „schwierige Sitzung“, die er und sein Kollege Gericke den Anwesenden zumutete. Er zitierte auch den Ruf der jüdischen Deportationsopfer beim Todesmarch zum Oettinger Bahnhof: "Vergesst uns nicht!“ Nach der Lesung boten die beiden „Donna, donna, donna“,ein ursprünglich in jidddischer Sprache geschriebenes Lied vom Kälbchen, das zur Schlachtbank geführt wird, und, quasi als Aufmunterung zum weiteren Engagement und zur Solidarität „Die Gedanken sind frei“.
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