Basketball hat seinen Ursprung in den Vereinigten Staaten, weshalb viele Fachbegriffe der schnellen Ballsportart Anglizismen sind. „Big win“ (wörtlich: großer Sieg) ist solch eine Formulierung, die vor allem dann verwendet wird, wenn ein Außenseiter, ein „Underdog“, gegen ein Top-Team triumphiert. Wenn sich also eine ersatzgeschwächte Truppe der Eigner Angels Nördlingen gegen den Tabellenzweiten Rutronik Stars Keltern nach einem am Schluss dramatischen Kampf mit 71:69 (20:13, 16:16, 16:16, 19:24) durchsetzt, dann ist das solch ein „big win“, vielleicht sogar ein „very big win“. Rund 350 Zuschauer feierten ihr Heimteam jedenfalls begeistert.
Die Rutronik Stars Keltern sind Deutschlands einziger Frauen-Basketballverein, der auch international im Einsatz ist. Am vergangenen Donnerstag stand das Team gegen den spanischen Vertreter Movistar Estudiantes Madrid im Euro-Cup noch mit einer Rumpftruppe auf dem Parkett (und verlor), in Nördlingen trat die international stark besetzte Truppe fast mit dem kompletten Kader in der Hermann-Keßler-Halle an. Der Tabellenzweite traf dabei auf ein hochmotiviertes Heimteam, für das Elina Koskimies, unter der Woche im Pokal noch ohne Korberfolg, die ersten sieben Punkte im Alleingang erzielte. Keine zwei Minuten waren gespielt, als Gästecoach Timur Topal die erste Auszeit benötigte (7:4). Die finnische Nationalspielerin im Angels-Trikot war sichtlich „on fire“ und punktete auch zum 9:4 und 11:4. Laken James und Sami Hill mit einem Dreier erhöhten auf 16:8, während dem Tabellenzweiten wenig gelang (7.). James und Koskimies (13 Punkte im ersten Viertel!) sorgten für den 20:13-Zwischenstand nach Durchgang eins. Auffällig bei den Gastgeberinnen: Angels-Coach Ajtony Imreh hatte in den ersten zehn Minuten bereits acht seiner neun zur Verfügung stehenden Akteurinnen eingesetzt.
Eigner Angels Nördlingen überstehen ihr Angst-Viertel diesmal gut
Im zweiten Viertel brauchte das Heimteam fast zweieinhalb Minuten bis zum ersten Korberfolg durch Laken James, die zwei Freiwürfe zum 24:18 nachlegte. Imreh wechselte weiter viel und gönnte auch seinen Protagonistinnen Koskimies und Hill Verschnaufpausen. Erstmals zweistellig wurde der Vorsprung, als Anissa Pounds sich zweimal energisch durchsetzte (30:20; 17. Minute). Dann hatte Joey Klug zwei schöne Aktionen sogar zum 34:21, ehe Keltern insbesondere durch seine erfahrenste Akteurin, die amerikanische Centerin Krystal Vaughn, verkürzte. Sami Hill besorgte den 36:29-Pausenstand.
Das dritte Viertel war im bisherigen Saisonverlauf häufig die Achillesferse der Nördlingerinnen gewesen. Als Keltern schnell auf 36:38 verkürzte und bereits drei Angels-Akteurinnen (James, Koskimies, Klug) drei persönliche Fouls auf dem Konto hatten, musste man erneut um das Heimteam bangen. Pounds von der Seite sowie Koskimies und James mit jeweils zwei verwandelten Freiwürfen brachten die Angels aber wieder in die Spur (44:36, 25.). Als Mariam Hasle-Lagemann erst den Ball blockte und dann den eigenen Schnellangriff zum 48:38 vollendete, kam richtig Stimmung in der Hermann-Keßler-Halle auf. Das Trauma des dritten Viertels schien überwunden. Klug punktete zweimal unter dem Korb zum 52:42, ehe ein glücklicher Dreier der Gäste den 52:45-Zwischenstand besiegelte. Vor dem Schlussdurchgang war trotzdem Optimismus angesagt.
Nördlingens Spiel gegen Keltern wird am Ende zum Krimi
Das gute Gefühl verstärkten Koskimies mit einem Dreier zum 55:45 (31.) und Pounds mit zwei verwandelten Freiwürfen zum 57:47 (32.). Umstritten war dann Joey Klugs fünftes Foul sechs Minuten vor dem Ende, genauso wie das vierte Foul von Laken James. Eng wurde es, als Kelterns bis dahin unauffällige Amerikanerin Adrienne Webb mit zwei Dreiern auf 59:60 verkürzte und Vaughn unter dem Korb die Gäste sogar in Führung brachte (37.). Sami Hill hielt mit sechs Punkten dagegen, zwei Minuten standen noch auf der Uhr (66:63). Erneut ein umstrittener Pfiff führte zum 66:65, Koskimies traf per Freiwurf zum 67:65, Hill einen Wahnsinnsdreier aus der Ecke zum 70:65. 43 Sekunden vor Schluss verkürzte Keltern ebenfalls mit einem Dreier zum 68:70, das nun hochdramatische Spiel – die Zuschauerinnen und Zuschauer hielt es längst nicht mehr auf ihren Sitzen – stand auf Messers Schneide, zumal Keltern 23 Sekunden vor Schluss noch einmal den Ball eroberte. Aber sieben Sekunden vor dem Ende trafen die Gäste nur einen von zwei Freiwürfen und die anschließend gefoulte Sami Hill machte mit einem weiteren Freiwurf den Sack zu – der 71:69-Überraschungssieg des „Underdogs“ war perfekt.
Coach Tony Imreh, der durch geschickte und ständige Wechsel sein ausgedünntes Personal an diesem Tag perfekt eingesetzt hatte, raste nach der Schlusssirene wie von der Tarantel gestochen durch die ganze Halle und umarmte jeden, der ihm gerade in den Weg kam. Auch für ihn war es ein „big win“. Nördlingens erfolgreichste Werferin Elina Koskimies wollte ihren eigenen Anteil am Sieg bescheiden kleinreden, es sei ein Erfolg des gesamten Teams gewesen. Aber ein bisschen stolz war sie doch: „Nach den zuletzt harten Wochen aufgrund der dünnen Personaldecke haben wir gezeigt, dass wir mit unserem unbändigen Kampfgeist jedes Team schlagen können.“
Eigner Angels Nördlingen: Laken James 12, Lena Graf (nicht eingesetzt), Olena Vasylenko, Elina Koskimies 21 (2 Dreier), Samantha Hill 15 (2 Dreier), Johanna Klug 10 (7 Rebounds), Mariam Hasle-Lagemann 2, Anissa Pounds 11 (1 Dreier), Lucy Michel.
Die Besten bei Keltern: Vaughn 25, Remenarova und Webb je 10 Punkte.