Das Klimacamp in Nördlingen ist erst einmal nur ein einzelnes Zelt zwischen Kriegerbrunnen und Marktplatz. Ein Zelt und ein paar Banner. Und selbst bei denen sind sich die Aktivistinnen und Aktivisten noch nicht so sicher. Seit sie in den Morgenstunden mit dem Aufbauen angefangen haben, arrangieren sie die Banner immer wieder um: Den Spruch „Diese Wirtschaft tötet – Papst Franziskus“ oder doch lieber den Aufruf zu Mobilitätswende auf die Leine zwischen Zelt und Baum knoten? Immer wieder wird Papst Franziskus abgehängt und woanders platziert. Der fröhlichen Stimmung tut das nicht ab: Es ist eine Handvoll junger Leute, die da zu Deutschpop ihr Zelt aufschlagen, Solarpanels anrichten, Schlafsäcke aus einem Auto hertragen.
Am Sonntagmorgen ist die Altstadt in Nördlingen so gut wie leer, erste Passanten führen ihre Hunde oder ihre Fahrräder spazieren und werfen den Neuankömmlingen skeptische bis neugierige Blicke zu. An einem Cafétisch sitzt Nördlingens Polizeichef Andreas Schröter, er wird demnächst den Genehmigungsbescheid mit einem Aktivisten durchgehen. Die Polizeipräsenz ist an diesem Sonntagmorgen besonders hoch in der Stadt, am Marktplatz parkt ein Kleinbus, auch an den Toren sind Beamte. Die Polizei werde im Laufe des Camps immer wieder prüfen, ob die Auflagen eingehalten werden, sagt Polizeichef Schröter – aber auch, ob das Recht auf eine friedliche Versammlung gewährleistet ist.
Die ersten Spenden und die erste Kritik am Klimacamp Nördlingen kommen bald
Mittlerweile nähern sich die ersten Fahrradfahrer und Fußgängerinnen vorsichtig dem Camp, manche ziehen sofort wieder weiter, andere beginnen Gespräche mit den Aktivisten, die da immer noch emsig hin und her laufen. Die Reaktionen der Passanten könnten unterschiedlicher nicht sein: Ein Radfahrer fotografiert das Treiben aus der Ferne. „Mal schauen, wie die gucken“, sagt er, schnippt seinen Zigarettenstummel auf den Boden und radelt davon. „Ihr wollt Weltretter sein“, murmelt ein anderer Radfahrer im Vorbeifahren. Eine Frau schiebt einen fünf-Euro-Schein in die Spendenbox. Und eine Lauchheimerin schießt begeistert ein Foto: „Ich finde es außerordentlich, dass die Jungen Hoffnung haben. Hoffentlich hören die Leute ihnen zu.“
Lino Krüger (Aktivistenname), 23, pinkes Haar, rasiertes Anarchisten-A am Hinterkopf, muss noch mit Schröter den Genehmigungsbescheid durchgehen, dann hat er Zeit zum Reden. Er setzt sich an den Cafétisch beim Restaurant Casa Tua. Die Skepsis der Menschen könne er verstehen, aber von außen kommen und den Leuten hier erklären, wie Klimaschutz geht? Diesem Vorwurf kann er nicht viel abgewinnen. Zumal er selbst aus Nördlingen kommt und nur zurückkehre in seine Heimat, wie er sagt. Die Gruppe sei außerdem im Austausch mit Grünenpolitikerinnen von Stadt und Regierungsbezirk und Jugendvertretern der Stadt.
Das Klimacamp Nördlingen will länger bleiben als ursprünglich angesetzt
Ziel der Klimacamps sei es, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen Klimaaktivismus näherzubringen. „Egal, ob Kleinstadt oder Großstadt, das spielt keine Rolle“, sagt Lino Krüger, und dann erzählt er leidenschaftlich, was die Aktivisten von der Stadt fordern: vor allem eine Mobilitätswende, Reaktivierung alter Streckennetze wie jene Zugstrecke nach Wassertrüdingen, günstige bis kostenfreie öffentliche Verkehrsmittel und Nördlingen als Fahrradstadt. „Wir wollen, dass die Nördlinger ihre Traumstadt kriegen - eine klimagerechte Stadt.“
Dann gesellt er sich zurück zum Klimacamp, das langsam Gestalt annimmt. Mittlerweile wurde Papst Franziskus erneut abgehängt, an seiner Stelle baumelt ein Fahrrad auf der Schnur. Ein junger Mann hat sich eine Gitarre geschnappt und spielt ein paar Lieder. Für ursprünglich sieben Tage wollten die Klimaaktivisten hier bleiben, doch jetzt sieht es aus, als ob es keine Begrenzung geben wird. Im Gespräch zwischen Landratsamt, Stadt, Polizei und evangelischer Gemeinde habe dieses Vorhaben niemand beanstandet, hatte Lino Krüger gesagt. Er erklärt sich das mit der „Vorarbeit der Aktivisten in Augsburg“, dem Klimacamp, das die Gruppe zusammengeführt und geprägt hat. Beim Augsburger Klimacamp kassierte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Räumungsbescheid der Stadt Augsburg. Demnach gebe es keine Höchstgrenze für eine Versammlungsdauer, hieß es damals.
Gegend Mittag füllen sich die Esstische vom Restaurant Casa Tua langsam. Das Restaurant stellt den Aktivisten die Toiletten zur Verfügung. Auch Bäcker würden dem Camp Essen vorbeibringen, sagt Tara Novák (Aktivistenname), 19. Sie sitzt auf einer Bank und tippt an einem mit Sticker beklebtem Laptop. „Wir haben das Gefühl, gut angenommen zu werden. Pfarrer Philipp Beyhl habe das Klimacamp im Gottesdienst in St. Georg erwähnt, einige Messgänger seien nachher auf sie zugekommen, sagt Novák.
Erst als die Gruppe am Nachmittag im Generationengarten beim Löpsinger Tor zum Kochen anfängt, geraten Polizei und Klimacamp aneinander: Laut Tara Novák räumte die Polizei den Garten, weil die Stadt keine Erlaubnis zum Kochen dort erteilt habe, die Aktivisten aber von der Jugendarbeit einen Zugang erhalten hätten. Noch ist das Klimacamp keine gewohnte Kulisse in Nördlingen geworden.
Bunte Haare, kein Klarname, Anarchisten-Logo, Haarfarbe...irgendwie passt immer wieder alles zusammen. Dieser Wanderzirkus wird immer lustiger. Ich fände es gut die Tagesfreizeit wird zur Erlangung von Kenntnissen und die Umsetzung von Alternativen verwendet. Auch den Busführerschein können die jungen Herrschaften auch gern mal machen. Ebenso die Gelder bereitstellen die ein kostenloses Fahren ermöglichen sollen. Wie allerdings die Waren und Dienstleistungen autofrei in die Stadt kommen sollen, ist noch schleierhaft. Lieferanten tragen Paletten auf dem kleinen Finger und Aussendienstler strampeln gern mal 10km zum Kunden? Bei Sturm und Regen?
Hallo Herr Keller, ein wesentlicher Zweck dieser Protestform ist es, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion zu provozieren, um den notwendigen Aushandlungsprozess, wie wir in Angesicht der Klimakatastophe leben wollen, voranzutreiben. Ich freue mich also im positivsten Sinne, dass sie sich haben zur Diskussion provozieren lassen. Um auf einen Teil Ihres Kommentars einzugehen: Ich betrachte die Forderung "kostenloser Nahverkehr" als gut gewählte Provokation. Wir müssen uns Nahverkehr mehr kosten lassen, damit er attraktiv ist (Preis, Verfügbarkeit, Komfort) und zunehmend Verkehrsleistung übernimmt. Ich sehe mehrere Optionen diese Kosten zu tragen: a) klassisch über den Verkauf von Tickets, b) Steuerfinanziert (für den einzelnen "kostenlos"), c) über Gebühren oder d) eine Mischung davon. Ich persönlich favorisiere c) als eine Gebühr die jeder Anwohner für den Nahverkehr bezahlt und ihn im Gegenzug beliebig nutzen darf. Damit wäre der ÖPNV bzgl. Kostenempfinden dem PKW gleichberechtigt.
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