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Nordschwaben: „Dass unsere Dörfer schön sind und vor allem schön waren, sagt uns keiner“

Nordschwaben

„Dass unsere Dörfer schön sind und vor allem schön waren, sagt uns keiner“

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    Ein typischer Straßenzug in Nordschwaben, hier in Alerheim im Landkreis Donau-Ries.
    Ein typischer Straßenzug in Nordschwaben, hier in Alerheim im Landkreis Donau-Ries. Foto: Verena Mörzl

    Wenn Bezirksheimatpfleger Christoph Lang versucht, die Schönheit nordschwäbischer Dörfer in Worte zu fassen, muss er die sehr typische Eigenart der hiesigen Bevölkerung „Nix gsagt isch globt gnug“ überwinden. Lang nämlich sagt recht viel und vor allem viel Schönes über den Baustil Nordschwabens – und warum es ihn zu bewahren gilt. Er ist der Ansicht, dass wir gar nicht erst ins Allgäu fahren müssten, um schöne Dörfer zu sehen. Nur: „Dass unsere Dörfer auch schön sind und vor allem schön waren, sagt uns keiner.“ Und dann denke man eben, man müsse sie auch nicht achten. Ein Irrtum.

    Baufibeln sollen Leitlinien sein und Bausünden verhindern

    Längst haben sich Gemeinden mit ihrer Baukultur und Identität auseinandergesetzt. Was prägt die Orte? Was schafft heimischen Charakter? Meist befassen sich die Kommunen mit den Veränderungen, wenn neu- oder umgebaut wird. Wenn die Frage nach neuem Bauland gestellt wird und man jedoch gleichzeitig zum Schluss kommt, dass im Ort viel des sprichwörtlich ungenutzten Potenzials liegt. Um den Charakter und das Dorfbild eines Ortes zu erhalten, wurden Baufibeln auferlegt. Wo eher weniger Touristen also da sind, die wie im Allgäu sagen könnten, wie schön es doch ist, sollen das die

    Christoph Lang ist der neue Bezirksheimatpfleger Schwabens.
    Christoph Lang ist der neue Bezirksheimatpfleger Schwabens. Foto: Ulrich Wagner

    Seit vielen Jahren bemühen sich Gemeinden wie Alerheim, Deiningen oder Wechingen beispielsweise darum, dass im Dorfkern brachliegende Flächen reaktiviert oder alte Höfe umgebaut werden, Stichwort Nachverdichtung. Flächenfraß soll verhindert werden. Neben Fördergeldern stehen auch Berater aus dem Baufach zur Verfügung. Ziel ist, letztlich eine behutsame Weiterentwicklung der vorhandenen Grundstrukturen. In Fünfstetten gibt es das Programm "Aus Alt mach Neu". Der Verein Donautal-Aktiv hat 2019 im Kreis Dillingen eine Kampagne gegen die Verödung der Ortsmitte und die Abwanderungstendenz vom Land initiiert. In Dattenhausen wurde vor einigen Monaten ebenfalls eine Baufibel für die Verwaltungsgemeinschaft Wittislingen vorgestellt. Das Programm heißt "Lebendige Ortskerne". Warum jedoch ist es so wichtig, an zentralen Stellen das traditionelle Bild unserer Heimat zu erhalten?

    Baufibeln arbeiten heraus, was zur Identität beiträgt

    Christoph Lang benutzt für seine Erklärung einen Einkaufszettel als Metapher, um eine zentrale Aufgabe der Baufibel zu beschreiben. „Der hilft mir, dass ich mich im Supermarkt orientiere, um das zu finden, was ich für mein Leben daheim auch brauche und nicht nur einkaufe, bis der Geldbeutel leer ist.“ Bauleitlinien seien auch deshalb sinnvoll, weil es einen Pluralismus an Möglichkeiten zu bauen gebe.

    „Diese Baufibeln arbeiten den Faktor heraus, der zur Identifikationsbildung beiträgt“, erklärt der Bezirksheimatpfleger weiter. Im Nordschwäbischen habe man bestimmte Bautypen im Kopf. Die Häuser seien im Regelfall ein- oder zweigeschossig, Häufig, aber nicht generell giebelständig, weit vorn an der Straße, nicht erst nach einem Parkplatz. In der Regel gibt es laut Lang keine größeren Dachüberstände und relative steile Satteldächer von rund 45 Grad.

    Trotz Tradition sollen sich die Orte in Nordschwaben weiterentwickeln

    Das strenge Korsett jedoch schreckt nicht wenige Bauherren ab. Dazu meint Lang: „Wir hatten schon immer das Problem, dass wir damit einen Konformismus vorgeben, den wollen wir eigentlich selbst nicht, wir wollen auch eine Weiterentwicklung.“ Aber der Wandel gehe so schnell, dass eine behutsame Weiterentwicklung oft nicht möglich erscheint. Dass teils sehr harte Brüche kommen würden, wie eine abgebrochene Hofstelle, die anschließend gepflastert wird. Wenn hier und da abgewichen werde, könne man das auffangen. Aber nicht in der Masse. Lang schlussfolgert, dass dann die Identität mit dem vertrauten Ortsbild verloren gehe. Ein großes Problem in seinen Augen, denn: „Vertrautes löst bei uns ein Heimatgefühl aus, vielleicht auch ein gewisses Geborgenheitsgefühlt, etwas, was wir kennen.

    Zurück zum Ortskern: Geborgenheit, Verantwortung und Ehrenamt

    Lang geht sogar noch weiter. Er sagt, dass die Geborgenheit dazu beiträgt, dass man sich im Dorf wohl fühlt, irgendwann vielleicht Verantwortung in Ehrenämtern übernimmt. Damit würde das soziale Leben auch nicht erkalten. "Je mehr ein Ort zum Begegnungsraum wird, umso besser für die Gemeinschaft." Seitens der Heimatpflege gehe es eben auch um soziale und ökologische Aufgaben, den bewussten Umgang mit der Baukultur und behutsames Bauen. Oftmals würden Leute erst bemerken, was einen Ort ausmache, wenn es nicht mehr da ist. "Wir können aber im Vorfeld darauf hinweisen, dass da was verloren geht. Glaubt es uns", so Lang. "Bin ich von vorgestern? Das frage ich mich immer wieder. Aber das will ich nicht sein. Konservativ im Sinne des Bewahrers, ja, aber das hat nichts mit geistiger Verknöcherung zu tun. Ich halte es für eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die Tradition behutsam fortzuschreiben, sonst wird das Dorf schnell verwechselbar."

    Mit diesem Artikel starten wir in eine langfristige Serie mit dem Namen "Zurück zum Ortskern". Es geht um die Identität der Dörfer und Ortskerne, über deren Aussehen und wie dort wieder Leben eingehaucht werden kann. Einige Kommunen versuchen den Heimatcharakter in Baufibeln zu verankern und setzen mit Förderprogrammen bauliche Anreize, um Brachflächen zu reaktivieren oder alte Hofstellen umzubauen. Einige Bauherren und Baufrauen sind dem schon nachgekommen. Anhand von virtuellen 360-Grad-Touren wollen wir in dieser Serie die Projekte in Nordschwaben in den nächsten Monaten vorstellen. Sie sind dabei, ein solches Umbauprojekt umzusetzen oder sind bereits fertig? Wir freuen uns über Ihre Zuschrift und Erfahrungen unter der E-Mail-Adresse verena.moerzl@augsburger-allgemeine.de, – Viel Vergnügen mit dieser Artikelserie im Print und im Digitalen.

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