Startseite
Icon Pfeil nach unten
Nördlingen
Icon Pfeil nach unten

Oettingen: "Der, der mit dem Glas spielt": Menschen hinter dem Historischen Markt

Sie alle präsentieren ihre Kunst und ihre Fertigkeiten auf dem Historischen Markt in Oettingen.
Foto: Josef Heckl (4), Werner Rensing
Oettingen

"Der, der mit dem Glas spielt": Menschen hinter dem Historischen Markt

    • |

    Am Samstagvormittag tröpfeln die Besucherinnen und Besucher erst langsam in die Altstadt von Oettingen. Familien, Freundesgruppen, Paare in Leinenhemden und -hosen und höfischem Gewand bummeln an den Handwerkerständen vorbei und verschaffen sich einen Überblick. Die ersten Trommler sind schon da und marschieren mit lautem Schlag Richtung Saumarkt, die Essensbuden werfen Grill und Ofen an. Die meisten Darstellerinnen und Darsteller gehören zum Inventar des Historischen Marktes: Sie haben die Nacht in den Zeltlagern verbracht und laufen sich jetzt warm.

    Der Bettler
    Der Bettler Foto: Josef Heckl

    Der Bettler holt Ernüchterung in die aufkommende Fröhlichkeit. Auch er ist am Samstagvormittag schon da in seinen Lumpen, humpelt durch die Straßen und streckt den Menschen eine Schale entgegen. „Eine milde Gabe“, ruft er dabei und erinnert daran, dass auch mittelalterliche Stadtmauern die unschöne Welt nicht draußen halten können. In diesem Aufzug kommt Vittorio Tartaglia seit einigen Jahren zu Mittelalterfesten.

    Der Bettler geht auf viele historische Feste

    In den ersten Jahren haben die Leute Bier und Unrat in seine Schale geworfen, beim vergangenen Stadtmauerfest in Nördlingen kamen 650 Euro zusammen, erzählt er. Das Geld spendet er einem guten Zweck in der Region. Schon wirft ein Kind eine Münze in die Schale, und kehrt schnell zu den Eltern zurück. Einen Blick über die Schulter zum Bettler wagt es noch. „Hab Dank, edler Spender. Das Himmelreich sei euch gewiss“, sagt dieser. Und humpelt weiter, auf der Suche nach milden Gaben. 

    Die Ritterin
    Die Ritterin Foto: Josef Heckl

    Im Showturnier der Herzog Tassilo-Ritter aus Weißenhorn kämpft Daniela Osswald an der Seite ihres Gatten Wolfgang, das heißt: Die Ritter messen sich in verschiedenen Disziplinen, tauchen mit Lanzen nach Ringen, halbieren einen Apfel mit dem Schwert im wilden Ritt und durchreiten einen Feuerwall. Nach dem ersten Turnier am frühen Nachmittag ist Daniela Osswald im Lager der Ritter zu finden. Sie sagt „das Pferd hatte ich schon“, dann sei sie eben auch Ritterin geworden.

    Die Rittergruppe nennt sie Vollblut-Hobby, die ganze Gemeinschaft sei mit Sack und Pack den Sommer über bei verschiedenen Mittelaltermärkten dabei. Von den Pferden erzählt Daniela Osswald mehr als von sich selbst: Dass man die Tiere langsam an die Turniere heranführt, dass sie die Angst vor Bannern, vor den Lanzen und den aufeinanderschlagenden Schwertern nach und nach ablegen. Ihr eigenes Pferd heißt Filiberto und ist ein echter Italiener: Die Zuchtgeschichte der Pferderasse Murgese lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. 

    Der Glasbläser
    Der Glasbläser Foto: Josef Heckl

    Glasbläser wie Werner Kachel aus Bayreuth gibt es heute nur noch wenige, am allerwenigsten in der freien Wirtschaft. Dort haben die Maschinen übernommen. Oder Glasbläser, die im Akkord arbeiten: „Die stellen immer dieselben drei bis vier Artikel im ganzen Leben her“, sagt Werner Kachel. "Das hat nichts mehr mit der Schönheit von dem Job zu tun.“ Das Schöne an seinem Handwerk sei nämlich, mit dem Glas zu spielen. „Du musst dem Glas ansagen, wie es werden soll, und nicht umgekehrt.“ In seinem Hauptberuf repariert und bläst Werner Kachel Glasapparate der Labore für die Uni Bayreuth. Das Schöne findet er auf den Mittelaltermärkten: Im Sommer verkauft er dort selbst geblasene Glaskugeln mit filigranen Glasfäden. „Just for fun“, wie er sagt.

    Werner Kachel zeigt in Oettingen die Kunst des Glasblasens

    „Du möchtest eine Glaskugel machen?“, fragt er einen Jungen, der sich vorsichtig seinem Stand nähert und nickt. Werner Kachel zieht die rosafarbene Brille über und setzt sich an den Brenner. Er dreht eine kleine vorgezogene Kugel zwischen zwei Glashalmen über die Flamme. Der Junge beobachtet ihn mit hochgezogenen Schultern. Werner Kachel sagt: „Du musst wie in einen Strohhalm hineinpusten. Aber nicht so fest wie in einen Luftballon, sonst platzt die Kugel“. Und der Junge pustet in einen der beiden Glashalme, während Werner Kachel ihn dirigiert: „Jetzt langsamer, ein bisschen mehr, jetzt volle Kapelle. Stopp.“ Die Kugel muss ein paar Minuten trocknen, aber den Applaus darf sich der Junge gleich abholen.

    Die Wahrsagerin
    Die Wahrsagerin Foto: Werner Rensing

    Am späten Nachmittag sitzt Tania Dingelstein auf den Stufen vor ihrem Bauwagen und krault ihren Hund hinter den Ohren. Sie wartet auf Kundschaft. Tania Dingelstein trägt ein violettes Kopftuch und goldene Kreolen. Sie legt den Menschen die Karten oder liest ihnen aus der Hand. Im Gegensatz zu modernen Lebensberatern will Tania Dingelstein aber nichts von den Menschen wissen. „Mir reicht es, wenn sie sagen, es geht um die Beziehung oder die Arbeit.“ Ihr Metier habe sie „in vielen Leben“ gelernt, wie sie knapp sagt, sie nennt es „das zweitälteste Gewerbe der Welt“. Auch Tania Dingelstein fährt mit ihrem Bauwagen von Markt zu Markt. In Oettingen ist sie zum zweiten Mal. Sie schätze das sehr, weil man merke, dass hier sehr viel Herzblut drinstecke. „Es ist ein Spektakel, kein null-acht-fünf-zehn-Markt." 

    Der Herold
    Der Herold Foto: Josef Heckl

    Nach dem letzten Showturnier des Tages treffen sich die Herzog Tassilo Ritter im Lager. Es wird Abend, die Menschenmassen bilden Trauben vor den Essensbuden. Lars Gabele, blondes, schulterlanges Haar, sitzt auf einer Bank. Im Turnier führt er das Publikum als Herold durch die Show. Die Geschichte dahinter denkt er sich aus, „mit viel Erfahrung und einer Flasche Wein“, erzählt er und lacht. „Am Ende ist es Disney, was wir machen: Es gibt einen Guten, es gibt einen Bösen, der Gute verliert fast und gewinnt am Ende doch“, sagt er. 

    Lars Gabele ist seit fast 20 Jahren Herold bei Turnieren, am Anfang noch zu Pferd. Als das Pferd verstarb, hat er nie mehr eines gefunden, „das so cool war.“ Über die Mittelaltermärkte sagt Lars Gabele: „Es ist eine sehr entschleunigte Welt, die Menschen hier sind sehr entspannt." Auch die Kameradschaft der Ritter schätz er. „Wir bauen gemeinsam das Lager auf, sitzen abends am Feuer, zurück zum Wesentlichen.“ Ein Wochenende auf einem Showturnier sei anstrengend, für die Ritter, die Pferde, den Herold. Aber am Ende sei er berührt, wenn er Applaus und leuchtende Kinderaugen sehe, sagt Lars Gabele. „Unser Motto ist: Wir wollen Spaß haben. Deshalb machen wir das.“ 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden