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Nördlingen: Warum sich diese Nördlingerin Integration zur Lebensaufgabe gemacht hat

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Warum sich diese Nördlingerin Integration zur Lebensaufgabe gemacht hat

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    Friedrun Meyer hat sich in über 20 Jahren für die Betreuung und Integration von Geflüchteten und für ausländische Mitbürger in Nördlingen eingesetzt.
    Friedrun Meyer hat sich in über 20 Jahren für die Betreuung und Integration von Geflüchteten und für ausländische Mitbürger in Nördlingen eingesetzt. Foto: Peter Urban

    Seit inzwischen über 20 Jahren ist Friedrun Meyer die treibende Kraft und eines der Gesichter, das sich um die Betreuung und Integration von Geflüchteten und vor allem ausländischen Mitbürgerinnen in und um Nördlingen verdient gemacht hat. Das interkulturelle Frauencafé ist dabei nur ein Mosaikstein, „wenn auch ein ganz wesentlicher“, wie sie sagt. Woraus schöpft sie ihre Motivation und ihre Kraft? Und welche Erfahrungen hat sie selbst als Kind gemacht?

    Eigentlich könnte Meyer seit eben diesen zwanzig Jahren ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Doch genau das Gegenteil spielt sich in ihrem Leben ab, sie hat immer noch „einen Terminkalender wie zu Schulzeiten“, die sie als Sozialpädagogin und Lehrerin seit 1965 zum einem großen Teil in der Liselotte-Nold-Schule verbracht hat, zuletzt als Leiterin dieser Einrichtung.

    Friedrun Meyer hat persönliche Erfahrung als Flüchtige gemacht

    Geboren ist Friedrun Meyer 1939 in Wroclaw (früher Breslau), einer Großstadt im Westen von Polen, als Kind eines renommierten Kunsthistorikers, den sie allerdings erst nach Krieg und Vertreibung – wochenlang, fast ohne Schutz bei minus 20 ˚C – im oberfränkischen Siegritzsberg, in der Nähe von Hof, kennengelernt hat. In diesem kleinen Dorf waren ihre Mutter und ihr Bruder bei Bauern untergekommen.

    Aber im Gegensatz zu vielen anderen Schicksalen von dem selbst in äußerst ärmlichen Verhältnissen lebenden Bauernehepaar herzlich und liebevoll aufgenommen worden. Bestimmt hat ihr heutiges Engagement seine Wurzeln in diesen Erlebnissen. „Man kann solche Schicksale nur nachempfinden, wenn man Flucht, Vertreibung und Ausgrenzung am eigenen Leib erfahren hat“, da ist sich Friedrun Meyer sicher.

    Sie hat in ihrer gesamten Laufbahn noch nie jemanden erlebt, der sich aus freien Stücken oder aus Lust an Veränderung auf den Weg ins Ungewisse gemacht hat. Sie spürt es heute noch fast körperlich, „wie es sich vor allem für Kinder anfühlt, von heute auf morgen sein gewohntes Umfeld verlassen zu müssen, Angst zu haben vor all dem Neuen, Unbekannten und nicht die Sicherheit der vertrauten Erwachsenen spüren zu können. Zu erleben, wie buchstäblich der Boden unter den Füßen zittert und das Vertraute drumherum in sich zusammenstürzt.“ Nicht nur deshalb ist die Integration heute immer noch ihr Lebensinhalt.

    Nördlingerin gab Deutschunterricht am Küchentisch

    Sie hat erlebt, wie wichtig Sprache dazu ist, als sie nach der Schule in Nürnberg das „Kindergärtnerinnen-Seminar“ absolvierte und danach als hochdeutsch erzogenes Flüchtlingskind breit fränkisch sprechende Kinder unterrichten sollte. Genauso wie bei einer ihrer weiteren Arbeitsstellen, zum Beispiel in München-Giesing, wo genauso breit und für sie zunächst unverständlich urbayerisch gesprochen wurde. Vor allem ihre vielen Reisen ins Ausland haben sie diese herzliche Gastfreundschaft, trotz Armut und beengter Verhältnisse, erleben lassen, die sie heute noch den Frauen und Familien zurückgeben will, die jetzt zu uns kommen.

    So rannte eine ihrer ehemaligen türkischen Schülerinnen offene Türen ein, als Friedrun Meyer nach ihrer aktiven Pädagoginnen-Zeit nach einer Struktur für ihren neuen Lebensabschnitt suchte: Sie wurde gefragt, ob „sie nicht jemand wisse, der ihrem Mann und Arbeitskollegen Deutsch beibringen könne“. Aus einem kurzzeitig geplanten Einsatz für Männer bei der damaligen Hofer Spinnerei wurde ein heute immer noch proppenvoller Terminkalender. Sie hat unzählige ehrenamtliche Stunden gegeben: Männern, Frauen, Flüchtlingen, Analphabeten, Frauen, die ihre Babys mitbrachten. „Alle waren die aufmerksamsten und lernbegierigsten Schülerinnen und Schüler, die ich je hatte.“

    Friedruns Mayer Aktivitäten könnten wohl Bücher füllen

    Die Küchentisch-Pädagogik entwickelte sich zu einem veritablen „Beratungsunternehmen“, das immer größere Kreise zog. Es wurden Räume gefunden, im Asylheim, im Evangelischen Gemeindehaus, bei der Volkshochschule, es wurden Veranstaltungen organisiert, besondere Buffets in der Schule, im Weltladen, sogar auf Meyers Keller. Echte, aktive Lebenshilfe, ob beim Ticketkauf aus dem Bahnhofsautomaten oder bei der Organisation von Ausflügen, um die neue Heimat kennenzulernen.

    Ab 2008 kamen dann alljährlich die Interkulturellen Wochen – gemeinsam mit Diakonie und Erwachsenenbildungswerk – hinzu, es wurden kulturelle Hintergründe gezeigt, musiziert, getanzt, kommuniziert. Ob indische Abende, afrikanische Feste, afghanische Events, das mexikanische Totenfest, die bunten Stühle, die Aktivitäten könnten inzwischen „wohl Bücher füllen“, wie Friedrun Meyer nicht ohne Stolz sagt. Sogar Schwimmunterricht für muslimische Frauen konnte organisiert und durchgeführt werden.

    Seit 2020 und Corona sind die Aktivitäten allerdings stark eingeschränkt, Frau Meyer hofft, baldmöglichst wieder loslegen zu können. Denn ihr Lebenswerk geht noch lange nicht dem Ende zu, es ist nach wie vor viel Arbeit zu leisten. Eine, gerade heute, wertvolle Arbeit, die nur möglich war, wie Friedrun Meyer abschließend betont, „weil sich viele andere, Frauen wie Männer, anstecken ließen und bereit waren, den Menschen, die hierher kamen, die Hand zu reichen“. Und die den Menschen auf Augenhöhe begegnen wollen. „Mich haben die Begegnungen unendlich bereichert. Dafür bin ich sehr dankbar.“

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