Großaufgebot für Turmkatze Wendelstein – ja und? Das ist die Katze mit den braun-schwarzen Flecken auf weißem Fell schon längst gewohnt. Denn ganz klar, Wendelstein ist ein Star in Nördlingen und dessen ist sie sich wohl bewusst. Ganz gemütlich liegt sie auf der Heizung in der Türmerstube und schleckt sich gemütlich über die Pfoten – während knapp 20 Leute vorne am Eingangsbereich nach der Treppe auf dem Nördlinger Daniel warten. Schließlich lässt sie sich dann doch im Vorraum blicken und geht die Treppe nach oben zum Aufgang, gefolgt von der Medienschar – ah, Moment, da kommt Wendelstein schon wieder herunter, die meisten stehen noch auf der Treppe. Also alle wieder zurück. Es ist ein besonderer Tag, für Wendelstein, für die Türmer, für Nördlingen – denn es ist der letzte Arbeitstag der Katze – Wendelstein ist ab diesem Dienstagnachmittag Türmerkatze a. D. – außer Dienst.
Wendelstein darf sich in den Ruhestand verabschieden. Wie Oberbürgermeister David Wittner sagt, ist sie gesundheitlich angeschlagen und gerade in den Sommermonaten herrsche doch ein großer Trubel, teilweise mit 40 Leuten gleichzeitig: "Das ist zu viel für sie". David Wittner schildert die Bedeutung von Wendelstein: "Vor 15 Jahren ist uns eine ganz besondere Mitarbeiterin zugelaufen, zu unserem Türmer auf den Daniel." Wendelstein habe sich zu einem wahren Star entwickelt, sei weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt – "vor allem in Japan." Sie erfreue sich aber auch großer Beliebtheit bei Kindern und internationalen Gästen – hinter dem OB hängt etwa ein Bild vom Astronauten Alexander Gerst mit Wendelstein – man könnte vielleicht auch schreiben: Ein Bild von Wendelstein, auf dem Astronaut Alexander Gerst zu sehen ist.
Japanisches Filmteam war für Katze Wendelstein in Nördlingen
Doch Wendelstein war nicht nur zur Bespaßung der Besucherinnen und Besucher da – im Haushalt der Stadt bekam sie einen offiziellen Posten, die "Taubenabwehr". Das betont Wittner auch: "Sie hat eine wichtige Aufgabe für die Stadt Nördlingen übernommen, nämlich Vögel aus dem Turm rauszuhalten." Die hätten nämlich für einigen Dreck gesorgt. Um die Tauben fernzuhalten, da hätte allein ihre Anwesenheit gereicht, schildert Türmer Horst Lenner – nur um eines Tages von Wendelstein Lügen gestraft zu werden. Das mit der reinen Anwesenheit hatte Lenner nämlich auch einmal einem Besucher erzählt: "Und wirklich, genau in dem Moment, fällt hinter mir ein Taubenkopf runter."
Lenner erinnert sich an die Abende mit Wendelstein: "Die waren sehr harmonisch. Das Schnurren der Katze, wenn sie auf dem Bauch liegt, ist einfach sehr beruhigend. Und man hat sich auch nicht allein gefühlt." Lenner betont auch das besondere Gespür Wendelsteins: "Die wusste genau: Wenn es zweimal schlägt, muss sie von meinem Bauch runter, weil ich zum Rufen gehe." Wenn die Glocke dagegen nur einmal oder dreimal schlug, blieb die Katze liegen, weil sie wusste, dass der Türmer dann nicht rufen musste. Geschichten können die Türmer unzählige erzählen, von Fledermäusen, die sie vor Wendelstein retten mussten, oder von den japanischen Tierfilmern, die Wert darauf legten, dass Wendelstein sich von selbst neben den Türmer stellt und nicht etwa mit Futter angelockt wird.
Wendelstein kam vor 15 Jahren auf den Nördlinger Daniel
Doch auch für die Touristen spielte sie eine wichtige Rolle, war ein "Eisbrecher", so Lenner. Wenn mancher vom Aufstieg recht geschafft war und dann Wendelstein sah, "war sofort gute Stimmung." Lenner erzählt, dass ein Vorgänger von ihm über einige Monate einmal eine kleine Hobby-Erhebung gemacht habe: Der fragte, warum die Menschen auf den Daniel kämen. Hochgerechnet würden etwa 2000 Leute pro Jahr wegen der Katze kommen.
Nicht nur dafür wurde sie geehrt – Oberbürgermeister Wittner verlieh Wendelstein eine Urkunde zu ihrem nun 15-jährigen Dienstjubiläum. Mitarbeiter der Stadt bekämen die eigentlich sonst für 25 Jahre, doch angesichts der Lebenserwartung von Katzen sei das nun schon ein gutes Alter. Vor 15 Jahren kam die Katze den Turm herauf, ein damaliger Türmer hatte sich gerade eine Fischdose aufgemacht: "Die Fischdose hat sie überzeugt", erzählt Lenner, "sie ist geblieben". Etwa auf ein Jahr hatte sie ein Tierarzt damals geschätzt.
Nun wird Wendelstein ihre Rente in guten Händen bei einem der früheren oder aktuellen Türmer verbringen – das soll nicht so genau verraten werden. Türmer Wilfried Rangette hat an diesem Mittwoch Dienst auf dem Daniel, es wird der erste seit Langem ohne Wendelstein sein: "Das macht schon was aus. Vielleicht muss ich mir eine Stoffkatze mitnehmen." So ganz sicher ist er aber nicht, ob Wendelstein nicht vielleicht doch noch auftaucht – schließlich muss sie sich auch erst an ihr neues Heim gewöhnen.
Auch Lenner sagt: "Es ist eine gewisse Wehmut dabei, wenn man 15 Jahre hier raufkommt und die Katze ist da. Das wird jetzt nicht mehr sein und eine spannende Erfahrung werden." Vielleicht wird es auch eine Nachfolge für Wendelstein geben, den Haushalts-Posten für "Taubenabwehr" wird die Stadt sicher aufbringen können, die Türmer schauen sich bereits um. Den Rhythmus der Glockenschläge muss die Nachfolgekatze aber wohl erst erlernen – wenn sie denn will.
Anmerkung: Für die vielen Wendelstein-Fans in Japan hat unsere Redaktion eine Übersetzerin gebeten, den Text zur Verabschiedung von Wendelstein ins Japanische zu übersetzen. Hier geht es zur japanischen Version: ネルトリンゲン、聖ゲオルク教会の塔のキュートな猫職員「ヴェンデルシュタイン」が引退へ