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Nördlingen: "Nie Feierabend zu haben, war für mich selbstverständlich"

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"Nie Feierabend zu haben, war für mich selbstverständlich"

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    Im Herbst 2004 fing Gerhard Wolfermann als evangelischer Dekan in Nördlingen an.
    Im Herbst 2004 fing Gerhard Wolfermann als evangelischer Dekan in Nördlingen an. Foto: Cara Irina Wagner (Archivbild)

    Herr Wolfermann, können Sie sich an den ersten Tag als Dekan in Nördlingen erinnern?
    GERHARD WOLFERMANN: Der war sehr anstrengend, weil alles neu war. Ich musste mich erst mal mit den Mitarbeitern vertraut machen und die Einrichtungen kennenlernen. Die Kirchengemeinde Nördlingen ist ein ziemlich großer Betrieb. Das ging nicht an einem Tag. 

    Was hat sich in der evangelischen Gemeinschaft in Nördlingen getan in 20 Jahren? 
    WOLFERMANN: Wir haben sehr viele Gebäude aufgegeben. Heute haben wir auch erheblich weniger Personal im Kernbereich, weil sich die Finanzierung schon 2007 stark verändert hat. Nach dem sogenannten innerkirchlichen Finanzausgleich wurde die Finanzierung nicht mehr wie vorher anhand der Gebäude ausgemacht, sondern an der Mitgliederzahl. Das hatte mehr Einsparungen zur Folge. 

    Das ist die strukturelle Seite. Wie haben sich die Menschen verändert, mit denen Sie als Dekan zu tun haben? 
    WOLFERMANN: Die Menschen, die sich engagieren, sind weniger geworden, engagieren sich aber oft in mehreren Organisationen. Aber auf der anderen Seite wollen sich mehr Menschen punktuell engagieren. Man kann für Veranstaltungen heute nicht mehr auf feste Teams zurückgreifen, sondern muss punktuell nach Mitarbeitern suchen. 

    So läuft der Abschiedsgottesdienst

    Dekan Wolfermann wird am Sonntag in einem Gottesdienst um 14 Uhr in Sankt Georg in Nördlingen von seinen Pflichten entbunden und in den Ruhestand verabschiedet. Im Gottesdienst wird Dekan Wolfermann das letzte Mal in seiner Funktion predigen und die Abendmahlsfeier leiten.

    Die Entpflichtung wird Regionalbischof Axel Piper vornehmen. 

    Nachdem Gottesdienst laden Dekanat und Kirchengemeinde Nördlingen zu einem Empfang im Gemeindehaus St. Georg ein.

    Die evangelische Kirche in Bayern spart auch beim Personal. Wirkt sich das auf die Kirchengemeinde Nördlingen aus? 
    WOLFERMANN: Weil die Kirchensteuereinnahmen in Bayern aktuell deutlich unter dem Planansatz sind, können nicht mehr so viele Leute eingestellt werden. Aber unser großes Problem ist, dass der Nachwuchs fehlt. Man versucht, Stellenpläne anzupassen und hat aber gar nicht genug Leute, um die Stellenpläne auszufüllen. 

    Woran liegt es, dass der Nachwuchs ausbleibt? 
    WOLFERMANN: Zum einen, weil wir stark überaltern. Als ich angefangen habe, gab es 100 Konfirmandinnen und Konfirmanden. Jetzt sind es nur noch um die 50. Ein weiterer Grund ist: Obwohl ich Pfarrer für den schönsten Beruf der Welt halte, gibt es viel Überforderung. Weil die Gemeinden immer größer werden, die Bürokratie immer mehr, das macht viele mürbe. Dann ist noch, dass Beruf und Privatleben ineinandergreifen und man eigentlich nie Feierabend hat. Für mich war das selbstverständlich, aber viele wollen das heute stärker abgegrenzt haben. Das ist aber in diesem Beruf relativ schwierig, Seelsorge-Anliegen kommen auch mal nachts um drei.

    Wie steht es um die Evangelische Gemeinde in Nördlingen, sind die Zahlen auch hier rückläufig?
    WOLFERMANN: Leicht, das ist aber demografisch bedingt, denn es gibt mehr Sterbefälle als Geburten. In diesen 20 Jahren haben wir ein Minus von 15 Prozent eingefahren, wenn man Austritte und Demografie addiert. Das ist mit anderen Regionen verglichen wenig. 

    Wie erklären Sie sich, dass es in Nördlingen keine große Austrittsbewegung gibt? 
    WOLFERMANN: Ich denke, dass die evangelische Kirche hier gut gesehen wird. Wir sind durch Schule und Kita sehr präsent. Die Diakoniestation ist in Nördlingen einer der größten Versorger für pflegebedürftige Menschen zu Hause. Diese gesellschaftliche Verankerung führt wohl dazu, dass Leute die Kirche nicht nur als Privatsache sehen. Ich will nicht behaupten, dass jene, die austreten, nicht glauben, aber sie sagen oft: Wozu brauche ich die Kirche? Hier aber sehen sie die gesellschaftliche Bedeutung und wissen das zu schätzen. 

    Die evangelische Kirchengemeinde ist also gut in der Stadt verwurzelt. Ist das bei Ihnen nach 20 Jahren auch so?
    WOLFERMANN: Es gibt den spöttischen Spruch, Nördlinger ist, wer Vorfahren im Mittelalter hier hat. So ist das bei mir zwar nicht, aber ich sehe schon, dass ich Teil der Gesellschaft bin. Ich fühle mich hier auch zu Hause. Sonst würde ich auch nach meinem Ruhestand nicht hier bleiben. 

    Welche Spuren hinterlassen Sie in der Kirchengemeinde?
    WOLFERMANN: Ich glaube, ich hinterlasse eine solide bauliche Ausstattung und die Kitas im guten Zustand. Auch das Gemeindeleben läuft gut. Auf Dekanatsebene habe ich vorangebracht, dass sich Donauwörth, Oettingen und Nördlingen zu einem Dekanat zusammenschließen. Daran bastle ich seit Jahren. 

    Werden Sie auch im neuen Dekanat Donau-Ries eine Rolle spielen?
    WOLFERMANN: Nein, ganz klar. Ich werde meinem Nachfolger nicht ins Handwerk pfuschen. Später werde ich auch als Vertretung unterstützen, aber ich denke, es ist gut, wenn man sich als alter Kollege zunächst zurücknimmt, damit die Jungen sich entfalten können. Es ist wie bei einer Betriebsübergabe, wenn der Senior nicht loslassen kann und mitmischt, gibts die große Katastrophe. 

    Was war der schönste Part an der Arbeit als Dekan?
    WOLFERMANN: Als Pfarrer war das Schönste, dass man Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen begleiten konnte: In glücklichen Stunden bei Hochzeiten, Taufen und auch in schweren Zeiten, bei Krankheiten. Und man hat eine Botschaft, diese Geborgenheit im Glauben, die man den Menschen weitergeben konnte. Am Dasein als Dekan war das Schönste, dass ich vieles gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen gestalten konnte. 

    Warum haben Sie damals als junger Mann beschlossen, evangelische Theologie zu studieren? 
    WOLFERMANN: Ich komme aus einem kirchlich geprägten Elternhaus und war immer schon engagiert in der evangelischen Gemeindejugend. Damals war die Zeit des Aufbruchs, man wollte Dinge verändern. Dann kam der Punkt, wo ich gesagt hab: Nicht nur meckern, sondern anpacken. Ich wollte mehr Beteiligung der Gemeinde und mehr Mitsprache.

    Ist das rückblickend gelungen?
    WOLFERMANN: Da hat sich seit der Zeit damals, als wir noch Pfarrherren zu den Pfarrern gesagt haben, ganz viel getan. Die Kirchenvorstände sind selbstbewusst. Viele können mitarbeiten und auch die ehrenamtlich Engagierten bringen sich ein. 

    Worauf freuen Sie sich im Ruhestand?
    WOLFERMANN: Mich stärker der Musik zu widmen, wieder mehr Trompete üben und Klavier zu spielen, zu lesen und zu reisen. Auch freue ich mich darauf, dass es nicht mehr fast jeden Abend eine Sitzung gibt, die bis 22 oder 23 Uhr dauert. 

    Zur Person

    Gerhard Wolfermann studierte evangelische Theologie in Erlangen. Er ist seit 2004 evangelischer Dekan in Nördlingen - und auch der letzte, da sich das Dekanat mit Oettingen und Donauwörth 2025 zum Dekanat Donau-Ries zusammenschließt.

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