Alle wollten sie sehen, die Bronze-Statue von Fußballlegende Gerd Müller in Nördlingen: Uli Hoeneß, Sepp Maier, Herbert Hainer, Bulle Roth, Rainer Zobel, Peter Kupferschmidt und Werner Kern. Die Prominenz lockte die Fans in die Altstadt, selten standen so viele Autogrammjäger Schlange. Und natürlich konnten es auch all die Weggefährten in Nördlingen, die Schulfreunde und Vereinskollegen kaum erwarten, bis das Denkmal enthüllt wird. Das soll künftig dort stehen, wo die Buben früher gemeinsam den Ball über das Kopfsteinpflaster gejagt haben. Mit der Enthüllung der Gerd-Müller-Statue feiert die Stadt Nördlingen am Donnerstagabend mit rund 2500 bis 3000 Menschen auch einen Geburtstag: 77 Jahre alt wäre Gerd Müller geworden. Doch vor allem soll die Erinnerung hochleben, die Erinnerung an einen bescheidenen Profisportler, wie er heute wohl nicht mehr zu finden ist.
Im Trommelwirbel der Knabenkapelle und im Blitzlichtgewitter vieler Kameras wird die Bronze-Statue vom roten Tuch befreit. Uschi Müller tritt einen Schritt nach hinten, um das Kunstwerk zu Ehren ihres 2021 verstorbenen Mannes begutachten zu können. Dann legt ihr Susanne Vierkorn, Vorsitzende des Nördlinger Verschönerungsvereins, die Hand auf die Schulter. Ein Zeichen der Verbundenheit, so wie es die Stadt am Donnerstag zu Gerd Müller lebt.
Gemischte Gefühle prägen den Abend. Das sagt auch Oberbürgermeister David Wittner in seiner Rede in der Alten Schranne, wo der Festakt beginnt. "Für uns ist es ein reiner Freudentag. Aber wir wissen, dass es für die Familie auch andere Emotionen gibt." Gerd Müllers Tod habe aber auch in der Region viele Menschen zutiefst erschüttert. Schon bald habe sich in der Stadt der Wunsch eingestellt, posthum danke zu sagen für Müllers unvergessene Leistungen. Endlich habe die Stadt am Donnerstag die Statue der Öffentlichkeit präsentieren können, die für den Künstler Herbert Deiss eine große Herausforderung gewesen sei.
Wie Gerd Müller Markus Söder zum Fußball-Fan machte
Viele Anekdoten werden im Laufe des Abends erzählt. Von Ministerpräsident Markus Söder beispielsweise ist zu erfahren, dass Gerd Müller ihn überhaupt erst zum Fußball-Fan gemacht habe. Sein Vater, ein selten aus sich herausgehender Franke, verfolgte mit ihm das WM-Finale 1974 im Fernsehen. Deutschland gegen die Niederlande. Gerd Müller schießt das 2:1 in der 43. Minute. "Der Vater ist ausgeflippt", erzählt Söder den Anwesenden. An Uschi Müller gerichtet sagt er außerdem, dass sie stolz darauf sein könne, dass so viele ihren verstorbenen Mann bewundern würden. Söder bezeichnete ihn gar als erfolgreichsten Fußballer aller Zeiten.
Andere Anekdoten kommen von Martin Jeromin, einem langen Freund, der Müller sein Leben lang begleitete. Er erzählt davon, wie sich bereits in jungen Jahren die Menschen um ihn scharten. "Jeder wollte mit ihm in einer Mannschaft spielen", sagt Jeromin. 2016 schließlich habe er bei einem Besuch im Pflegeheim Abschied genommen. Es gab Kuchen und Weihnachtsplätzchen. Als Jeromin auf ein Bild blickt und sagt: "Gerd, dein Enkel", da sei ihm ein Lächeln über das Gesicht gehuscht. "Das zeigte mir, das Gerd glücklich war. So behalte ich mir ihn in meiner Erinnerung."
Das ist Gerd Müller
Gerd Müller wurde am 3. November 1945 als jüngstes von fünf Kindern in Nördlingen geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Als Zwölfjähriger schloss er sich dem TSV Nördlingen an, dessen Spielstätte ein halbes Jahrhundert später zum „Gerd-Müller-Stadion“ ernannt wurde. Mit 14 begann er eine Weberlehre.
Mit 17 debütierte er in der Nördlinger Männermannschaft, die er praktisch im Alleingang in die Landesliga schoss. Nach 47 Toren in 28 Partien war klar, dass im Ries ein Juwel heranwuchs.
Der damalige Bundesligist 1860 München wollte Gerd Müller verpflichten. Allerdings kam der FC Bayern den Löwen zuvor. Für 4400 Mark Ablöse wechselte der spätere Jahrhundertstürmer zu den Roten. Nebenher arbeitete er halbtags bei einem Möbelhändler.
Müllers Start beim damaligen Regionalligisten FC Bayern verlief holprig. Erst als der Vereinspräsident Wilhelm Neudecker Druck auf Trainer Cajkovsky machte, durfte Müller spielen. Am Ende der Aufstiegssaison in die Bundesliga hatte er 39 Mal getroffen.
Sein außergewöhnliches Talent, aus beinahe jeder Lage ein Tor zu erzielen, war nun nicht mehr zu übersehen. Müllers 40 Tore aus der Bundesliga-Saison 1971/72 waren fast ein halbes Jahrhundert lang Bundesliga-Rekord. erst im Jahr 2021 übertraf ihn Robert Lewandowski mit 41 Treffern.
Müllers Tore waren Grundlage für die Entwicklung des FC Bayern zum deutschen Rekordmeister und international ruhmreichsten Aushängeschild der Bundesliga. Von 1974 bis 76 gewannen die Münchner dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister, den Vorgängerwettbewerb der Champions League.
Zehn Müller-Treffer bei der WM 1970 mit der anschließenden Kür zu „Europas Fußballer des Jahres“ waren ein Höhepunkt seiner Karriere. Müller war der erste deutsche Spieler, dem diese Ehre zuteil wurde. Vier Jahre später: der WM-Triumph in Deutschland. 2:1 im Finale gegen Holland. Die deutschen Torschützen waren Breitner und natürlich Müller.
Nach dem Abschied vom FC Bayern 1979 zog es Müller dorthin, wo sich damals alle Großen der Fußball-Welt noch ein üppiges Übergangsgeld verdienten – in die USA. Mit den Fort Lauterdale Strikers traf er auf andere Altstars wie Carlos Alberto oder Franz Beckenbauer. 1982 war Schluss mit Fußball.
Es begann die schwierige Zeit in Gerd Müllers Leben. Als Fußball-Pensionär übernahm er als Teilhaber ein Steakhouse, in dem er den prominenten Gastgeber spielen sollte. Er, der auch nach zwei Jahren in den USA kaum einen Satz Englisch sprach, in der Rolle des Unterhalters. Das musste schief gehen. Müller fand sind in seinem neuen Leben nicht zurecht und begann zu trinken.
Ohne Perspektive kehrte er mit seiner Frau Uschi, die in der Anfangszeit seiner Karriere auch seine Managerin war, und seiner Tochter Nicole nach München zurück. Aber auch hier wusste er nichts mit sich anzufangen.
1991 kehrte er in seiner Not wieder häufiger nach Nördlingen zurück – in seine Heimatstadt, zu der er in den Jahren nach seinem Weggang ein gespaltenes Verhältnis entwickelt hatte. Zur Beerdigung der Mutter war er erst aufgetaucht, als der offizielle Teil des Begräbnisses vorbei gewesen war.
Die innere Leere Anfang der 90er Jahre betäubte er mit Alkohol – bis sich Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß seiner annahmen. Nach einer erfolgreich abgeschlossenen Entziehungskur schien sich sein Leben wieder zum Guten zu wenden. Der FC Bayern beschäftigte Müller als Assistenz- und Nachwuchstrainer. Bei Bundesligaspielen saß er auf der Auswechselbank.
Im Laufe der frühen 2010er Jahre erkrankte Müller an Alzheimer. Am 15. August 2021 starb er in einem Pflegeheim. (as)
Der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands, Christoph Kern, weist schließlich darauf hin, dass hierzulande nicht sehr oft Denkmäler gesetzt würden. Der Tag solle ausdrücken, was Gerd Müller in seinem Leben erreicht habe. Kern sei es ein Anliegen, herauszustellen, welche "immense Strahlkraft Gerd Müller auf das Ansehen des deutschen Fußballs hatte". Müller habe sein Debüt beim TSV Nördlingen bestritten und gleichzeitig eine beispiellose Karriere als Weltfußballer gestartet. "In der aktuellen Zeit sind solche Vorbilder wichtiger denn je", so Kern. Typen wie Gerd Müller würde es heute nicht mehr geben.
Statue von Gerd Müller steht jetzt an einem Wunsch-Standort
Wo sollte die Statue letztlich stehen? Kaum eine Frage habe die Nördlinger zuletzt mehr bewegt, als diese, sagt Wittner. Mehr als 2000 Unterschriften wurden gesammelt. Schlussendlich wurde dort, kurz vor dem Stänglesbrunnen "ein Standort gefunden, der authentisch ist", der aber auch dem Wunsch der Bürgerinitiative nach einem Standort in der Innenstadt entspricht. Vor allem aber sei es der Wunsch der Familie. Wittner: "Liebe Uschi Müller, noch einmal vielen Dank für deinen Besuch und den guten Austausch den wir seither, vor allem die Vorsitzende des Verschönerungsvereins, Susanne Vierkorn, pflegen." Der OB kommt noch einmal auf das Gedenken zu sprechen: "Es lebe der Sport, es lebe der Fußball, es lebe die Erinnerung an Gerd Hadde Müller."