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Ein Schmuckstück in der Altstadt trägt eigentlich den falschen Namen
![Über ein besonderes Haus in der Nördlinger Altstadt referierte Stadtarchivar Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler. Über ein besonderes Haus in der Nördlinger Altstadt referierte Stadtarchivar Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715674144167-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Stadtarchivar Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler referiert über das Winter'sche Haus in Nördlingen und macht deutlich: Es trägt eigentlich den falschen Namen.
Das Winter‘sche Haus ist selbst in der an historischen Gebäuden reichen Stadt Nördlingen ein besonderes Schmuckstück. Ein stolzes Fachwerkhaus aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, fein restauriert. Wenig bekannt war bis zum Vortrag von Stadtarchivar Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler über seinen Erbauer Nikolaus Kobel und die reiche originale Innenausstattung.
Von Christopher Schelhas mit Fotos auf die Innenausstattung hingewiesen, war das Interesse des Stadtarchivars geweckt. Gemeinsam referierten sie über „Das Winter’sche Haus und die Familie Kobel(t). Einblicke in eines der interessantesten Nördlinger Bürgerhäuser“. Die Familie geht zurück auf Nikolaus Kobelt, Kupferschmied am Viehmarkt, der 1558 von Donauwörth zugezogen war. Seine Nachkommen waren bedeutende Personen der Stadt, darunter Ratsherren, ein Stadtkämmerer, ein Stadthauptmann und eben der kaiserliche Notar Nikolaus Kobel (1628-1698), der Erbauer des Winter’schen Hauses. Der „Spätzünder“, so Dr. Moosdiele-Hitzler, schrieb sich mit 21 Jahren zum Studium zuerst der Philologie und dann der Rechtswissenschaften in Straßburg ein - als Reichstädter natürlich in einer Reichstadt.
Besondere Innenausstattung in diesem Haus in der Nördlinger Altstadt
Der Dreißigjährige Krieg und die nachfolgende Zeit waren geprägt durch das Ringen der beiden großen Konfessionen um Anspruch auf Wahrheit und Macht. Kobels Mutter war aus Glaubensgründen aus dem Fürstentum Pfalz-Neuburg ausgewandert, Glaubensstärke für das Seelenheil. Es bildete sich eine tiefe protestantische Frömmigkeit aus, eine große Zahl geistlicher Lieder entstand, so auch in Nördlingen. Eine Zeit absoluter Orientierung am Wort Gottes. Pietismus als elitäre, streng protestantische Richtung entstand aus dem bürgerlich-akademischen Milieu, zu dem auch Kobel gehörte. 1678 baute er auf dem damals freien Platz an der Ecke Neubaugasse/Bräugasse sein Haus. Das Ethos des unabhängigen kaiserlichen Notars und fest im Protestantismus verwurzelten Kobel lässt sich vor allem aus der noch vorhandenen Innenausstattung ablesen. Im Original erhaltene einfache Malereien (Bauernbarock), die weitaus mehr sind als bloßer Schmuck.
Als von der Stadtregierung unabhängiger Notar statte Kobel mit aussagekräftig beschrifteten Bildern seine Wohn- und Amtsräume aus. Beispiele aus seinem Amtszimmer: „Mich schreckt kein Donnerknall, weil selbsten führ den Strahl“ , „Es ist kein Ungeheur, dem ich nicht wehr und steur“, „Wer wagt sich hier an mich ohn Schaden mutiglich“, „Obschon die Flamm verzehrt, leb ich doch unversehrt“. Alles klare Hinweise an seine Kunden, die auf seine Unabhängigkeit und Stärke hinweisen. Außer dem Kaiser kann ihn keine irdische Macht in seinem Tun aufhalten. Auch an Hinweisen für die Menschen, die bei ihm Geschäfte beurkunden ließen, fehlt es nicht: „Gott sieht und hört. Leb nicht verkehrt“ und „Zu Gott gekehrt wird bald erhört“ (Foto), als Mahnung für den Lebenswandel und auch die Geschäfte.
Das Winter'sche Haus ist ein besonderes in der Nördlinger Altstadt
Es ist die Zeit des Barock, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt, äußerlich oft zu erkennen in Architektur und bildender Kunst. Moosdiele-Hitzler gelang es, die Bilder im Winter’schen Haus vor dem gesellschaftlichen und geistigen Hintergrund der damaligen Zeit zu interpretieren. Er wies auf die geistig-religiöse Dimension hin: Die Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort, also sowohl die Dichtkunst als auch das Studium der Bibel. Unzählige geistliche Lieder und Erbauungsschriften entstanden in jener Zeit. Ein besonderes Beispiel aus Nördlingen ist die „Gottgefällige Haus- und Kirchen-Andacht“ von Georg Matthäus Beck mit 1217 Liedern, Gebeten und Sinnsprüchen. Durch die kulturgeschichtliche Einbettung ergibt sich ein ganzheitliches Bild: Ein äußerlich stolzes, prächtiges Haus mit überraschenden Einblicken in die Geisteswelt des Barock in Nördlingen.
Die Veranstaltung des Historischen Vereins war sehr gut besucht, das Foyer des Stadtmuseums war voll, zur Freude der 1. Vorsitzenden Andrea Kugler. Anhaltender Beifall für den Referenten, der einen abschließenden Hinweis gab: Winter als Namensgeber für das Haus ist irreführend, da er nur ein Zwischenbesitzer war. Bis auf den heutigen Tag sprechen die Lebensumstände des Erbauers aus diesem Haus. Es sei durch und durch das Kobel’sche Haus.
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