"Nein, ich habe keine besondere Affinität zum Fußball“, sagt Herbert Deiss, „und nein, ich habe den Auftrag für das Projekt nicht über eine Ausschreibung oder einen Wettbewerb bekommen – denn ich bin auch gar nicht der Auftragnehmer.“ Der Anruf aus Nördlingen und das Interesse an seiner Person freut den als freien Bildhauer und Maler in Aschaffenburg lebenden Künstler. Er gestaltet die Statue von Gerd Müller, die in Nördlingen am Berger Tor aufgestellt werden soll.
Der 69-Jährige hat an der staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt/Main Malerei, Grafik und Kunsttheorie studiert, er selbst versteht sich aber mehr als bodenständiger Handwerker denn als Künstler. Deiss kommt aus einer Handwerkerfamilie, der Vater war Werkzeugmacher, die Mutter Schneiderin. Er hat ursprünglich Chemigraph gelernt, einen Beruf ohne Zukunft, der ihn zwar zum Kunststudium gebracht, seine Wurzeln aber nicht gekappt hat: Jahrzehntelang hat er – neben seinen bildhauerischen Arbeiten – keramische und plastische Modelle für Museen im Bereich der Vor- und Frühgeschichte gebaut und schließlich auch als Fachlehrer für Steinmetze und Steinbildhauer in Aschaffenburg gearbeitet.
Gerd Müller hatte einen „unfassbar kurzen Drehmoment“
Heute kann er auf eine Vielzahl imposanter Werke im öffentlichen und privaten Raum zurückblicken, sowie auf etliche Preise und zahlreiche Ausstellungen, die sein Schaffen gewürdigt haben. Den Auftrag für die Gerd-Müller-Statue hat er von der ausführenden Glocken- und Kunstgießerei Rincker vermittelt bekommen. Seitdem hat er sich intensiv mit der Person und dem Fußballer Gerd Müller beschäftigt. Seine Tochter Antonia, die ebenfalls als Bildhauerin im Aschaffenburger Atelier arbeitet, hat intensiv im Netz über Müller recherchiert und unzählige Fotos und Spielszenen analysiert: „Uns ist aufgefallen, dass er bei 176 Zentimeter Körpergröße und Schuhgröße 39 für einen Fußballer ungewöhnliche Hebel und einen unfassbar kurzen Drehmoment gehabt haben muss. Vielleicht liegt darin sogar der Schlüssel zu seinem Erfolg“, resümiert Herbert Deiss.
Wieso er von der „Vorhabe“ der Stadt abgewichen sei, die berühmte WM-Finale-Szene abzubilden, begründet der Künstler so: „Ich wollte keinen Schnappschuss verewigen, sondern es soll möglichst viel von der Person Müller in der Statue stecken. Dazu ist diese, in Millisekunden eingefrorene, fast unnatürlich verdrehte Haltung nicht geeignet. Viel typischer ist doch seine unnachahmliche Art der Ballbehandlung, so wie sie in meinem zweiten Entwurf festgehalten ist. Und vor allem – er schaut auf den Ball, er fixiert sein Spielgerät schlechthin. Bei der WM-Szene wäre der Ball nicht dabei, allenfalls das Bein des Gegenspielers.“
Aktuell arbeitet Herbert Deiss am Grundgerüst. Ende Februar bis Mitte März wird der verfeinerte Entwurf fertig sein und begutachtet werden können. Müllers Weggefährten, Jugendfreunde und die Nördlinger Stadtspitze werden dann das Placet geben, damit der durchaus sportliche Fertigstellungstermin eingehalten werden kann. Der Künstler war selbstverständlich auch schon vor Ort in Nördlingen, um die seinerzeit geplanten Standorte für die Statue begutachten zu können.
Stänglesbrunnen in Nördlingen aus Sicht des Künstlers nicht geeignet
Der Vorschlag Stänglesbrunnen schien ihm als Außenstehendem noch am wenigsten geeignet: „Dort ist die Situation doch sehr beengt und wenn die Anwohner sich durch das Werk eher beeinträchtigt fühlen, ist das von vornherein keine gute Wahl.“ Auch auf dem Marktplatz sieht er „den Gerd“ eher nicht: „Er war doch als Mensch eher schüchtern und zurückhaltend, seine Statue auf dem Marktplatz zu wissen, wäre ihm, so sehe ich das, doch eher peinlich.“ Der Platz vor dem Berger Tor, „da, wo er fast täglich gekickt und das alles gelernt hat, ist für mich absolut passend.“ Herbert Diess jedenfalls kann mit dem jetzt entschiedenen Standort sehr gut leben.