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Landkreis Donau-Ries: Jugendliche Asylsuchende stellen Landkreis vor Dilemma

Landkreis Donau-Ries

Jugendliche Asylsuchende stellen Landkreis vor Dilemma

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    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stellen den Landkreis Donau-Ries und speziell das Jugendamt vor enorme Herausforderungen.
    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge stellen den Landkreis Donau-Ries und speziell das Jugendamt vor enorme Herausforderungen. Foto: Daniel Karmann, dpa (Symbolbild)

    Sie tauchen alleine oder in kleinen Gruppen auf, an Bahnhöfen oder auf irgendwelchen Straßen und Plätzen – meist in den Grenzgebieten Südbayerns und Baden-Württembergs. Die Polizei ruft dann in der Regel beim zuständigen Jugendamt an, das die Verantwortung für jene Kinder übernehmen muss, die auf der Flucht sind oder auf diese geschickt wurden. Die Lage rund um die "unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden" (UMA), wie diese Kinder und Jugendlichen im Amtsdeutsch heißen, sie hat auch im Landkreis Donau-Ries jüngst "eine neue Dynamik bekommen", wie Landrat Stefan Rößle am Mittwoch erklärte.

    Der "Extremfall" aus den vergangenen Wochen sei der eines jungen Syrers gewesen, der dem Jugendamt in Donauwörth zugeteilt wurde. Ohne Begleitung von Erwachsenen sei das Kind unterwegs gewesen – gerade einmal elf Jahre alt. Es ist kein Einzelfall mehr. Warum das Kind alleine losgeschickt wurde? "Es geht wohl um bessere Chancen beim Familiennachzug", sagt Singer im Gespräch mit der Redaktion. Die Kinder ohne Begleitung muss der Landkreis als zuständige Behörde nicht nur unterbringen, sondern sie eigentlich auch umfänglich betreuen. Angesichts einer mehr als angespannten personellen Lage und fehlender Plätze bei den Wohlfahrtseinrichtungen gleicht diese Aufgabe mittlerweile einem Dilemma.

    Amtsleiter Singer fährt zu jeder Zeit raus zu den Jugendlichen

    Adelbert Singer ist in seinen letzten Tagen als Jugendamtsleiter – er geht Ende des Jahres in den Ruhestand – Tag und Nacht unterwegs, wenn die Jugendlichen ihn brauchen. Allem voran, weil er kaum Kollegen hat, die eine permanente Rufbereitschaft für die 49 UMA übernehmen könnten, die inzwischen im Kreis Donau-Ries untergebracht sind. An eine Beherbergung der Jugendlichen, die über 16 Jahre alt sind, in Wohngruppen der hiesigen sozialen Trägerverbände ist inzwischen schier gar nicht mehr zu denken. Längst musste das Landratsamt sogar Zimmer in Hotels anmieten. Andere Minderjährige sind in Pflegefamilien untergebracht, was leider nicht immer ohne Konflikte vonstattengehe, wie Singer am Mittwoch vor dem Jugendhilfeausschuss des Landkreises berichtete. Wieder andere, die Jüngeren, leben in Wohngruppen in Nachbarlandkreisen. 

    Die Kreisbehörde sei verpflichtet, die UMA zu versorgen – nach dem Aufgriff werden sie gemäß einem bestimmten Schlüssel auf die bayerischen Landkreise verteilt. Im Kreis Donau-Ries sind nach aktueller Quote bis zu 50 UMA unterzubringen, diese Zahl könne jedoch, so Singer, monatlich angepasst werden. Die Krux: Es gibt weder Personal noch Plätze noch generell Immobilien. Und so prüfen die Mitarbeiter des Jugendamts eher stichprobenartig, ob alles passt bei den an den verschiedenen Orten untergebrachten Jugendlichen. "Es ist nur Improvisation", resümiert Singer. "Wir fahren raus zu den Jugendlichen, gehen einkaufen, machen Grundlegendes – und doch können wir sie nur mit reduzierten Standards betreuen." Rundumbetreuung, 24 Stunden – angesichts der Lage erscheint das nurmehr utopisch. So, wie eine Betreuung im Idealfall eigentlich sein sollte, laufe es zumindest nicht: "Wir müssen stets hoffen, dass nichts passiert." 

    Der Bund hat die Träger im Regen stehen lassen

    Traumatisierungen, Konflikte mit Gleichaltrigen, Konflikte mit Angehörigen anderer Nationalitäten, heterogene Gruppen aus verschiedenen Kulturen – es wären intensive Betreuungsmöglichkeiten gefragt; doch die sind mehr als rar. Zudem habe der Bund, das betonten verschiedene Vertreter von Wohlfahrtsverbänden im Ausschuss, in der ersten Flüchtlingskrise 2015/16 die Träger finanziell "im Regen stehen lassen". Vielfach seien die Anbieter von Wohnheimplätzen "auf den Kosten sitzen geblieben". Ferner finde sich nach wie vor kaum Personal auf dem Markt, wie etwa Margit Jeltsch von der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) anmerkte. 

    Seit Kurzem hat der Landkreis ein Haus in Fünfstetten angemietet. Hier können zumindest sieben Jugendliche untergebracht werden. Weitere Minderjährige leben in einem Hotel in Nordheim. "Wir müssen das machen, weil wir keine Träger mit entsprechenden Plätzen haben", erklärte Jugendamtsleiter Singer. So ist der Landkreis nun selbst zum Träger geworden, gezwungenermaßen, und, wie Singer bedauernd anfügte, "nur im Notmodus, denn wir sind ziemlich am Limit". Ohne das nachhaltige Engagement der 70 Mitarbeiter im Jugendamt "wäre das System schon zusammengebrochen". Das Amt für Jugend und Familie in Donauwörth braucht fortan sieben weitere Stellen, um seine Aufgaben noch bewältigen zu können. Es bleibe, wie der Amtsleiter erklärte, dieser Tage vieles – unter anderem diverse sozialpädagogische Familienhilfen – auch deshalb liegen, weil die Lage rund um die UMA so personal- und arbeitsintensiv sei. 

    Aufruf an Sozialverbände im Kreis Donau-Ries

    Der Aufruf an die Träger, fortan mehr Plätze für UMA anzubieten, verspricht wahrscheinlich zu wenig Wirkung. Die Sprecher der Verbände betonten, dass es ihrerseits nicht an fehlendem Willen liege, sondern schlichtweg an den kaum vorhandenen Ressourcen, räumlich wie personell. Landrat Rößle informierte die Ausschussmitglieder unterdessen über ein Gespräch mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann – der habe zugesichert, das Thema zeitnah auf die politische Agenda zu heben. 

    Der Bereich UMA schlägt sich indessen merklich im Haushalt der Jugend- und Familienhilfe nieder: Der Ansatz für unbegleitete Minderjährige und asylsuchende Familien ist von 1,4 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 2,3 Millionen für 2024 gestiegen.

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