Startseite
Icon Pfeil nach unten
Nördlingen
Icon Pfeil nach unten

Heuberg: Vor 75 Jahren kamen Heimatvertriebene nach Heuberg

Heuberg

Vor 75 Jahren kamen Heimatvertriebene nach Heuberg

    • |
    Werner Paa steht vor den Gebäuden, die heute vom Kreisbauhof genutzt werden und blickt in die Richtung, wo einst die Gleise waren. Bis 1963 sind auf diesem Gelände Flüchtlinge untergebracht worden.
    Werner Paa steht vor den Gebäuden, die heute vom Kreisbauhof genutzt werden und blickt in die Richtung, wo einst die Gleise waren. Bis 1963 sind auf diesem Gelände Flüchtlinge untergebracht worden. Foto: Verena Mörzl

    Als der Oettinger Werner Paa noch ein Kind war, haben seine Verwandten immer wieder über die Vertreibung der Sudetendeutschen gesprochen. Häufig sei auch das Lager Heuberg in den Geschichten vorgekommen. Doch erst 60 Jahre später beginnt der Oettinger, sich mit der Geschichte des Heimatvertriebenen-Lagers zu beschäftigen. Wo heute ein Kreisbauhof und das Denkmal des Flugplatzes liegen, kamen zwischen 1946 und 1963 rund 34.000 Menschen an einem Bahnhof an.

    Im Flugplatzbuch Heuberg widmet Paa auch mehrere Seiten den Lagern. Er erzählt sie chronologisch und ordnet sie in das politische Geschehen ein. In einem aktuellen Essay schreibt er die Ankunft der Vertriebenen noch einmal auf – angereichert mit seiner persönlichen Geschichte. Denn auch sie hat ihre Wurzeln dort.

    Wie die Vertreibung der Sudetendeutschen begann

    Am 22. Juli 1946 traf der Transport Nr. 32 im Lager für Heimatvertriebene in Heuberg ein. In den Güterwagen wurden 337 Männer, Frauen und Kinder transportiert, die wenige Tage zuvor aus ihrer angestammten Heimat im Sudetenland vertrieben worden waren. Unter den Ankommenden befanden sich auch meine Familie und unsere Verwandten. Wenige Tage später wurde ihnen eine neue Bleibe zugewiesen. Dies waren die ersten Schritte in eine völlig neue Umgebung und eine ungewisse Zukunft.

    Das düstere Kapitel der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten begann bereits Ende 1944. Am 15. Dezember 1944 sprach sich Winston Churchill für die Vertreibung und Ausweisung aller Deutschen in Ost- und Mitteleuropa aus. Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 über die Ausweisung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn wird erklärt: „ …dass jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen wird.“

    Die Vertriebenen wurden in vier Besatzungszonen aufgeteilt

    Die Dekrete zur Vertreibung der seit Jahrhunderten in Böhmen und Mähren lebenden Deutschen wurden von der tschechoslowakischen Exilregierung in London erlassen und später nachträglich von der provisorischen tschechoslowakischen Nationalversammlung im März 1946 gebilligt. Unter dem damaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Bene begann noch 1945 die systematische Vertreibung der rund drei Millionen Sudetendeutschen aus ihrer angestammten Heimat. Etwa 250.000 verloren dabei ihr Leben. Der „Brünner Todesmarsch“, bei der sich der angestaute Hass der Tschechoslowaken auf die Deutschen entlud, wurde zum Synonym für diese Epoche.

    Die Vertriebenen wurden auf die vier Besatzungszonen aufgeteilt. Hier wurden sie dann in Durchgangs- und Sammellager verbracht und nach wenigen Tagen in kleineren Lagern untergebracht. Dort wurde die Verteilung der Vertriebenen auf umliegende Gemeinden organisiert.

    Ein Heuberger Zeitzeuge schreibt: "34.000 Personen wurden so durchgeschleust.“

    Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes im Oettinger Ortsteil Heuberg wurden die verwahrlosten und ausgeplünderten Gebäude nach dem Abzug der amerikanischen Besatzung zu Beginn des Jahres 1946 zu einem Auffanglager ausgebaut. Am 10. März waren die Vorbereitungen der Einrichtung des Lagers für 900 Personen abgeschlossen. Am 16. und 17. März 1946 traf der erste Transport mit 199 Personen aus Budweis ein. Bis zur Auflösung 1963 wurden rund 34.000 Menschen, vorwiegend aus dem Gebiet der Tschechoslowakei, durch das Lager geschleust.

    In Viehwaggons wurden die Vertriebenen in Sammeltransporten nach Heuberg gebracht.
    In Viehwaggons wurden die Vertriebenen in Sammeltransporten nach Heuberg gebracht. Foto: Verena Mörzl

    Das Rote Kreuz und die Caritas waren im Flüchtlingslager tätig. Einige der nach Heuberg transportierten Personen waren sog. UNRRA-Betreute, die aus den baltischen Ländern stammten. Die Alliierten beauftragten die 1943 in Atlanta City gegründete United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Hilfe und Fürsorge, mit der Betreuung der Verschleppten.

    Ein Heuberger Zeitzeuge notierte sich seine Eindrücke an die Ankunft der Vertriebenen: „An der Flugplatzstraße wurde ausgeladen. Die Straßen standen von oben bis unten mit Koffern, Kisten, Schuhkarton, Kinderwagen Menschen, Kinder voll. Es war ein trauriger Anblick. 600-800 Menschen teils in Viehwagen waren in einem Transport. Es waren Vertriebene meistens aus dem Sudetenland. Sie wurden in die Unterkünfte gebracht so für 8-10 Tage, wurden dann im Landkreis verteilt. Das wiederholte sich so alle 2-3 Wochen, 34.000 Personen wurden so durchgeschleust.“

    Viele der Nachkommen leben noch heute im Ries

    Werner Paa schreibt in seinem Buch nicht nur über die Notizen von Zeitzeugen. Er erzählt auch davon, wie er zum ersten Mal seinen Nachnamen in einem Ordner gefunden habe, der als einer von wenigen Relikten aus dieser Zeit übrig geblieben ist.

    Durch einen glücklichen Zufall fiel mir der einzige erhaltene Ordner mit Listen der nach Heuberg verbrachten Sudetendeutschen in die Hände, die den Zeitraum von März 1946 bis Januar 1947 umfassen und 63 Transporte enthalten. Akribisch genau sind darin die Namen, Alter und Beruf aufgeführt. Auch die Heimatorte wie Bischofteinitz, Bodenbach, Budweis, Mies, Neudek, Karlsbad oder Troppau sind vermerkt.

    In dem Ordner sind rund 15000 Namen aufgeführt – darunter auch Werner Paas Eltern und andere Verwandte.
    In dem Ordner sind rund 15000 Namen aufgeführt – darunter auch Werner Paas Eltern und andere Verwandte. Foto: Verena Mörzl

    Die Vertriebenen wurden von einem großen Lager in Augsburg nach Heuberg weitergeleitet. In dem Ordner sind rund 15.000 Personen aufgeführt, viele von ihnen und ihre Nachkommen leben heute noch im Ries. Bei der Durchsicht der schier endlosen Reihen von Namen kann man kaum erahnen, welche Schicksale mit ihnen verbunden sind.

    Unterschiedlich groß waren die Transporte, die auf dem benachbarten Bahnhof Dürrenzimmern ausgeladen und dann mit dem Lkw oder Fuhrwerken nach Heuberg kamen. Mit dem Transport T 27 am 3. Juli 1946 kam die größte Anzahl, insgesamt 826 Personen an einem Tag an.

    Wie viele Lebensmittel die Ankömmlinge bekamen

    Der Gesundheitszustand der Ankömmlinge scheint häufig nicht besonders gut gewesen zu sein, da viele Akten den Hinweis auf eine Einlieferung in das Krankenhaus Oettingen enthalten. Einige Personen sind auch im Lager verstorben. Bei dem Transport Nr. 8, der am 7. 5. 1946 in Heuberg ankam, brachen die Masern aus. Erst am 3. 6. 1946 konnte nach Aufhebung der Quarantäne ein neuer Transport aufgenommen werden. Waren die Vertriebenen verteilt, erfolgte die Meldung an den Flüchtlingskommissar Braun in Nördlingen. Am Ende der Meldung stand immer der Satz: „Das Lager Heuberg ist zur Aufnahme eines neuen Flüchtlingstransportes bereit.“

    Erhalten ist eine Aufschlüsselung der Verpflegung von 90 Personen für drei Tage, darunter drei Säuglinge, sechs Kleinkinder, acht Kinder, elf Jugendliche und 62 Erwachsene. Sie erhielten folgende Lebensmittel (angegeben in Kilo): Brot 43, Butter 3,75, Margarine 0,9, Nährmittel 6,1, Käse 1,2, Wurst 9,2, Kaffee 0,5, Tee 0,4, Zucker 2,9, Trockenkartoffeln 15.

    Teilweise waren 800 Menschen im Lager

    Das Lager war teilweise mit über 800 Menschen belegt. Es bestand eine Gemeinschaftsküche, zwei Gasthäuser, ein Lebensmittelladen, Kirche, Schule, Kindergarten und ein großer Saal. Fünf Familien sind hier geblieben und haben sich ein Haus gebaut. Der langjährige Lagerleiter Adolf Fritscher, selbst ein Vertriebener, blieb nach der Auflösung des Lagers 1963 in Heuberg. Am 21. Dezember 1982 sind er und seine Frau beim Brand seiner Wohnbaracke ums Leben gekommen. Mit dem Ehepaar verbrannten bis auf eine Ausnahme die Akten zur Geschichte des einstigen Lagers.

    Viele der Zeitzeugen, die Werner Paa seit Beginn seiner Recherche gesprochen hat, sind inzwischen gestorben. Bei einem winterlichen Spaziergang über das heutige Gelände sind weder die Gleise, noch die Baracken oder die Flugzeugwerft noch zu sehen. Nur Werner Paas Erzählungen erinnern an die damalige Zeit.

    Meine Familie und die Verwandten lebten seit mindestens drei Jahrhunderten im tschechisch-bayerischen Grenzgebiet. Die Gegend lag im Regierungsbezirk Bischofteinitz (Horsovsky Tyn). Das kleine Dorf befand sich inmitten ausgedehnter Wälder. Landwirtschaft war nur in bescheidenem Maße möglich. Die jungen Leute mussten meistens von zu Hause fort um Geld zu verdienen. In den Wintermonaten kamen sie wieder nach Hause. Die zurück gebliebenen Frauen kümmerten sich um die Familien und verdienten sich durch Klöppelarbeiten ein Zubrot.

    Es war der Beginn in schwieriger Zeit in neuer Umgebung

    Im Juli 1946 wurden die Dorfbewohner dort aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Pro Person durfte man 50 Kilogramm persönlichen Besitzes mitnehmen. Zur Kennzeichnung musste man eine weiße Binde mit einem schwarzen N (N?mec = Deutscher) tragen. Mit dem Fuhrwerk ging es zum nächsten Ort und dann mit einem Lastauto weiter in eine Stadt. Dort blieb man drei Tage, bevor der Transport über Furth i. Wald nach Augsburg kam. Nach wenigen Tagen kam sie im Güterwagen im Lager Heuberg an. Dort erfolgte die Verteilung auf verschiedene Unterkünfte, Familien mit Kindern wohnten zusammen. Mit meiner Familie und den Verwandten waren es neun Personen. Die Unterkunft ging einigermaßen, aber das Essen war schlecht.

    Lagerleiter Adolf Fritscher (links) und Lagerarzt Dr. Ahne mit Schwestern.
    Lagerleiter Adolf Fritscher (links) und Lagerarzt Dr. Ahne mit Schwestern. Foto: Verena Mörzl

    Für viele Heimatvertriebene war das Lager der Beginn für eine neue und gerade in den Anfangsjahren äußerst schwierige Zeit in einer völlig fremden Umgebung. Auch heute noch sind der Aufenthalt in dem ehemaligen Lager und die Zeit danach für viele Betroffene mit unangenehmen Erinnerungen verbunden. Aber auch die einheimische Bevölkerung, vor allem die Bürgermeister, wurden durch die enorme Zahl an unterzubringenden Heimatvertriebenen vor fast nicht zu lösende Probleme gestellt.

    So wurden von dem Transport T 27 an einem Tag auf die kleinen Gemeinden Grosselfingen 107 und Mönchsdeggingen 95 Personen verteilt. Häufig gab es enorme zwischenmenschliche Probleme. Es gab aber auch Fälle, in denen sich die Schicksalsgemeinschaften arrangierten, die bis heute immer noch gute Kontakte pflegen.

    Gebastelte Besen wurden gegen Essen eingetauscht

    Am 25. Juli 1946 wurde der Transport in dem sich meine Familie befand, auf die umliegenden Gemeinden aufgeteilt. Ein Mann mit einem kleinen Lastauto fuhr in ein nahes Dorf, wo sie mit anderen im Hof des Bürgermeisters ausgeladen wurden. Der Empfang dort war sehr zurückhaltend. Es war für beide Seiten eine sehr schwierige Zeit. Meine Eltern und die Schwester wurden bei einer Frau in einem Bauernhof untergebracht. Sie hatte selbst riesige Probleme, da sie allein mit vier kleinen Kindern war und ihr Mann in Russland vermisst wurde. Auf dem Hof lebten wir in einem kleinen Zimmer unter ärmlichsten Verhältnissen und großer Not und der Hunger war ein ständiger Begleiter. Nach der Ernte gingen die Vertriebenen oft auf die Felder zum Nachklauben von Ähren. Nicht selten wurden sie von den Bauern mit ihren Hunden vertrieben. Es gab aber auch rührende Zeichen von Mitmenschlichkeit. So schlich sich ein älterer Bauer immer in der Dunkelheit zu einer Familie, um ihnen Essen zu bringen, damit ihn niemand sah.

    Mein Vater fand dann einen Arbeitsplatz bei einer Baufirma im nahen Oettingen. Jeden Tag musste er zu Fuß dort hin gehen. Während der Wintermonate bastelte er Besen, die er gegen Essbares eintauschte. Kurz vor Weihnachten 1947 brachte er von einer Baustelle, auf der als Maurer arbeitete, zwei Dosen mit Wurst heim, die ihm der Bauherr geschenkt hatte. Als er damit nach Hause kam, sagte meine Mutter: „Jetzt können wir Weihnachten feiern.“

    Die Erinnerungen sind nach 75 Jahren verblasst

    Sechs Jahre war die Familie in dem kleinen Dorf untergebracht, bevor wir nach Oettingen zogen. Im Jahre 1957 hatten wir es durch äußerste Sparsamkeit und Zusammenhalt innerhalb der Bekannten und Verwandten, wie viele andere Vertriebene zu einem eigenen Haus gebracht. Es sollte aber lange dauern, bis man innerhalb des Gemeinwesens akzeptiert wurde. Als Kind musste man sich oft den Spruch „Huara-Flüchtling“ anhören.

    Heute, nach 75 Jahren, sind die Erinnerungen an diese Zeit verblasst. Für die Nachkriegsgenerationen spielen diese Ereignisse kaum noch eine Rolle. Erfreulicherweise haben sich aber die Beziehungen zu unserem Nachbarland mittlerweile positiv entwickelt und viele Initiativen fördern heute die gutnachbarschaftlichen Beziehungen.

    Zur Erinnerung errichtete 2007 die Oettinger Soldaten- und Reservistenkameradschaft auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes ein Denkmal, das 2008 eingeweiht wurde. Auf der dort angebrachten Tafel aus Flugzeugaluminium ist zu lesen:

    DEN OPFERN VON KRIEG, GEWALT UND VERTREIBUNG.

    Von Werner Paa (mit vmö)

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden