Traurig mutet der Anblick der beiden Häuser in der Mühlstraße in Hainsfarth an. Die zwei Wohnhäuser sind bereits seit vielen Jahren verlassen und stehen leer. Jugendliche haben hier ihre Spuren als Graffiti und Schmierereien hinterlassen. Teilweise sind die Dächer schon undicht und eine Sanierung würde in keinem vertretbaren Verhältnis stehen. Inzwischen hat sich die Vegetation im Hof und zwischen den Gebäuden breitgemacht. Erst vor Kurzem wurde der gröbste Bewuchs entfernt. Es ist wohl in absehbarer Zeit mit dem Abbruch der Gebäude zu rechnen. Da die Häuser bis in die Zeit des Dritten Reiches im Besitz von jüdischen Familien gewesen sind, wurden diese jüngst noch einmal auf der Suche nach Spuren jüdischen Lebens untersucht. Vor allem die beiden alten Gewölbekeller waren von Interesse, denn oftmals versteckt sich hinter einem vermeintlichen Lagerkeller ein altes jüdisches Ritualbad, eine sogenannte Mikwe.
Spuren an den Türstöcken jüdischer Häuser
Aber auch an den Türstöcken finden sich manchmal noch Spuren jüdischen Lebens. Es war nämlich Brauch, dass in jüdischen Häusern am Türstock eine Mesusa angebracht wurde. In dieser oftmals aus Messing bestehenden Kapsel war ein Schriftstück mit Auszügen aus der Thora deponiert. In einem der beiden Hainsfarther Häuser hat nun Hermann Waltz, der sich intensiv mit jüdischem Leben beschäftigt, drei Abrücke von Mesusot entdeckt und dokumentiert.
Hainsfarth hatte eine bedeutende jüdische Gemeinde, die schon 1434 urkundlich bezeugt ist. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs die jüdische Bevölkerung stark an. So sind 1812 insgesamt 474 Personen bezeugt, was einem Anteil von über 40 Prozent an der Gesamtbevölkerung entspricht. Daneben gab es im Ort Katholiken und Protestanten.
Die meisten Hainsfarther Juden lebten vom Vieh- und Pferdehandel
Traditionell lebten die meisten Hainsfarther Juden vom Vieh- und Pferdehandel. Die wohlhabenderen waren auch im Immobilienhandel und Geldverleih tätig. Andere handelten mit Juwelen oder mit Brillen. Daneben gab es jedoch auch sehr arme Familien, die sich mit dem Handel von Altkleidern, Federn und Häuten oder Alteisen über Wasser hielten.
Bereits im 19. Jahrhundert schrumpfte die jüdische Bevölkerung in Hainsfarth, wie in fast allen Landgemeinden rapide. Der Wegzug in die Städte und die Auswanderung nach Amerika führte dazu, dass 1923 die israelitsche Schule wegen Kindermangel geschlossen werden musste. Im August 1942 wurden die letzten Juden in Hainsfarth von der Gestapo abgeholt, in Konzentrationslager deportiert und ermordet.
Von den in der NS-Zeit 44 namentlich bekannten in Hainsfarth wohnhaften Juden verstarben in dieser Zeit wenige an natürlichen Todesursachen in Hainsfarth. 13 gelang nachweislich die Flucht, von fünf anderen ist das Schicksal ungeklärt. 26 Hainsfarther und außerdem 13 in Hainsfarth geborene Juden wurden deportiert und in den Konzentrationslagern ermordet.
In Hainsfarth entstanden nach und nach alle wichtigen Einrichtungen einer israelitischen Kultusgemeinde. Eine jüdische Schule wurde im Jahr 1810 errichtet. Das beweist die Untersuchung der verbauten Balken mithilfe der Dendrochronologie anlässlich der von 2016 bis 2017 erfolgten Sanierung. 1829 wurde in der Kohlgasse ein gemeinschaftliches Ritualbad errichtet. Im Jahr 1850 folgte ein eigener Friedhof, nachdem bis zu diesem Jahr die Toten nach Wallerstein zur Beerdigung gebracht werden mussten.
Im Jahr 1860 schließlich wurde die alte Synagoge durch einen prächtigen Neubau ersetzt. Mit der Renovierung der ehemaligen Synagoge von 1993 bis 1996 und der Sanierung der Schule ist ein eindrucksvolles Ensemble zur jüdischen Geschichte entstanden. Zusammen mit dem Friedhof und dem Denkmal für die ehemalige Mikwe ist Hainsfarth somit der wichtigste Gedenk- und Erinnerungsort zur jüdischen Geschichte im Landkreis geworden. Der Freundeskreis Synagoge Hainsfarth füllt die ehemalige Synagoge durch kulturelle Veranstaltungen mit Leben.
Doch zurück zu den Häusern in der Mühlstraße. Die beiden Wohnhäuser bildeten ein kleinbäuerliches Söldenanwesen, das im Mittelalter zur Herrschaft des Klosters Auhausen gehörte. Im Lauf der Jahrhunderte lebten dort katholische und evangelische Bewohner. Durch Zuerwerb von Feldern waren die Besitzer zu "Halbbauern" mit einem Landbesitz von etwa 15 Hektar geworden. Als im Jahr 1784 der Besitzer Andreas Doberer gestorben war, wurde der Betrieb der Landwirtschaft offenbar eingestellt, und die Scheune im hinteren Bereich des Hofes verfiel. Nach dem Tod der Witwe verkaufte die Tochter und Erbin Catharina Doberer im Jahr 1812 das inzwischen leer stehende Wohnhaus an die Handelsjuden Joseph Hirsch Gutmann und Kallmann Abraham Hermann.
1812 wurden ein Wohnhaus saniert und ein weiteres Haus errichtet
Die beiden Familien sanierten das baufällige Wohnhaus und errichteten auf dem Platz der Scheune im hinteren Bereich der Hofstelle ein weiteres zweistöckiges Haus. Der Enkel Ignatz Hermann im vorderen Haus heiratete im Jahr 1878 Klara Gutmann vom Hinterhaus. Im hinteren Anwesen lebte ab 1890 die Schwester Jette Gutmann mit ihrem Mann Isidor Steiner. Dieser war angesehener Handelsmann und leitete im Jahr 1923 die israelitische Kultusgemeinde in Hainsfarth. Zudem war er Mitglied des Gemeinderates. Als einer der letzten ist er 1938 auf dem jüdischen Friedhof beerdigt worden.
Während seine Tochter 1936 nach Palästina auswandern konnte, ist der in Oettingen wohnhafte Sohn Julius Steiner nach Ausschwitz deportiert worden. Auch das Schicksal der Familie von Ignatz Hermann und seiner Frau Klara (geb. Gutmann) im vorderen Haus ist stellvertretend für viele andere jüdische Familien in Hainsfarth in dieser Zeit. Zwischen 1879 und 1889 wurden dem Paar sieben Kinder geboren. Ein Sohn wanderte nach Nordamerika aus und führte dort eine Taschentuchfabrik. Ein anderer kämpfte im Ersten Weltkrieg als Soldat für Deutschland und zog nach München.
Vater Ignatz starb als angesehener jüdischer Handelsmann und Ökonom im Jahr 1907 und ist in Hainsfarth beerdigt. Insgesamt vier Mitglieder der Familie wurden Opfer der Shoah, und anderen Verwandten gelang die Flucht nach Palästina. Der Historiker Rolf Hofmann in Stuttgart hat in seiner Zeit in Harburg intensiv zum Schicksal dieser Familien geforscht. Hierzu sind weitere Daten in der 2005 gedruckten Häuserchronik und im Ortsfamilienbuch von Hainsfarth nachzulesen. Im Jahr 1939 wurden die beiden Häuser an den Hainsfarther Spar- und Darlehenskassenverein verkauft. Später gingen die Anwesen in „arischen Besitz“ von Hainsfarthern über. Nach dem Krieg wohnten dort Heimatvertriebene, bevor die Häuser unbewohnt waren und langsam verfallen sind.