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Geschichte: Die Plagen vergangener Zeiten: Der Nördlinger Stadtarchivar gibt einen Überlick

Geschichte

Die Plagen vergangener Zeiten: Der Nördlinger Stadtarchivar gibt einen Überlick

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    Das Siechenhaus vor den Toren der Stadt: Auch in der Vergangenheit wurden die Bürger Nördlingens immer wieder von Seuchen, Pandemien und Kriegen heimgesucht.
    Das Siechenhaus vor den Toren der Stadt: Auch in der Vergangenheit wurden die Bürger Nördlingens immer wieder von Seuchen, Pandemien und Kriegen heimgesucht.

    So ruhig, so anders. Stillstand des öffentlichen Lebens. Was gestern galt, gilt heute nicht mehr. Lebte man bisher ohnehin schon in einer Zeit der „Ungewissheiten“, so gilt das heute in noch viel größerem Maße. Ungewissheit über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe bestimmen das Denken. Der Mensch von heute, der Macher und Gestalter, ist zum Nichtstun verurteilt. Der folgende Beitrag will aber trotz alledem Mut machen, indem er aufzeigt, dass auch in der Vergangenheit die Menschen immer wieder von Katastrophen heimgesucht worden sind.

    Das Ende des Zweiten Weltkriegs

    Vor 75 Jahren war der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches am 7. und 9. Mai 1945 war die „Stunde Null“ gekommen. Für Nördlingen war der Krieg mit dem Einmarsch der Amerikaner schon am 23. April zu Ende gegangen. Von diesem Tag an herrschte ein Szenario, das, bei allen Unterschieden, in vielem an die Gegenwart erinnert.

    Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde Nördlingen immer wieder von Seuchen heimgesucht. Unser Bild zeigt die Seuchenordnung von 1547.
    Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde Nördlingen immer wieder von Seuchen heimgesucht. Unser Bild zeigt die Seuchenordnung von 1547.

    Das öffentliche Leben war weitgehend zum Erliegen gekommen. Ausgangssperre herrschte, keiner durfte ohne Passierscheine die Stadt verlassen. Der Bürgermeister musste vorerst täglich bei der in der Alten Schranne untergebrachten Militärregierung Anordnungen abholen. Alle Telefonleitungen waren seit dem Einmarsch der Amerikaner in die Stadt außer Betrieb. Die Einzelhandelsgeschäfte hatten zum größten Teil geschlossen.

    Es gab keine Tageszeitung, das Lichtspieltheater, vor kurzem noch Ausstrahlungsort der „Wochenschauen“, hatte geschlossen. Der Schulbetrieb war eingestellt. Auch Archiv, Museum und Bibliothek waren geschlossen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Gebrauchsgegenständen war auf dem Tiefpunkt. Sie basierte auf dem System der Bezugskarten. Tausende verließen ihre Städte, um auf dem Land zu „hamstern“ und dessen habhaft zu werden, was man am dringendsten benötigte. Zu den größten Sorgen gehörte die Frage der Brennstoffversorgung. Und wie sollte man heizen und kochen, wenn infolge des Kohlenmangels die Gasfabrik die Abgabe von Gas einstellen musste?

    Noch waren die Spuren der Fliegerangriffe in den ersten Monaten des Jahres 1945 nicht beseitigt. Private und öffentliche Gebäude mussten repariert werden, ebenso Wasserleitungen und die Kanalisation. Dabei fehlte es an fast allem, was man zur Reparatur benötigte. Ende des Jahres 1945 dann ein erster Lichtblick. Auf dem Daniel durfte wieder ein Christbaum angebracht werden und an Silvester erfolgte endlich wieder der altvertraute Wächterruf „So, G’sell, so!“.

    Das „Leben“, die „Normalität“ kehrten langsam wieder zurück. Bedenkt man, was die Menschen dieser Zeit – also unsere Eltern und Großeltern – mitgemacht und durchlitten haben, dann kann man nur demütig zurückblicken. Denn damals gab es nicht nur einen einzigen Brennpunkt, sondern ein ganzes Bündel an gleichzeitig ablaufenden Prozessen: Wiederaufbau der zerbombten Städte, Flucht und Vertreibung von Millionen von Menschen, Entnazifizierungs- und Kriegsverbrecherprozesse, Überlebenskampf in den harten Nachkriegswintern, Lebensmittelbeschaffung, Wiederaufbau funktionierender Verwaltungs-strukturen, Wiedergründung von Parteien, Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts etc. Wie aus all dem eine neue Gesellschaft entstehen konnte, ist heute kaum mehr nachvollziehbar.

    Die Spanische Grippe

    Ein weiterer Blick zurück: Dr. Ernst Frickhinger hat den Ersten Weltkrieg überstanden, aus seinen Briefen erfahren wir, dass auch er an der Spanischen Grippe erkrankt war. Seine letzte Feldpostkarte schrieb er aus dem Lazarett in Hannover. Seit dem 4. Oktober habe er die Spanische

    Epidemien in historischer Zeit

    Seuchen und Epidemien haben die Menschen in Mittelalter und der Frühen Neuzeit immer wieder heimgesucht. Darüber gibt es zahlreiche Forschungsarbeiten. So weiß man, dass 1634 (Schlacht bei Nördlingen) 1549 reichsstädtische und zusammen mit den in der Stadt weilenden Fremden 1892 Menschen an Seuchen und der Pest verstorben sind. In Nördlingen ist vor einigen Jahren eine Doktorarbeit entstanden zum Thema „Leben mit dem Tod in den Reichsstädten Esslingen, Nördlingen und Schwäbisch Hall. Epidemien und deren Auswirkungen vom frühen 15. bis zum frühen 17. Jahrhundert“. Die Fragestellungen des Autors Patrick Sturm haben gerade heute große Relevanz: Wie gingen damals die Menschen mit Seuchen und Epidemien um? Welche Gegenmaßnahmen entwickelten sie, wie verhielt sich die Obrigkeit? Wie war es um die Krankenpflege bestellt? Und welche sozialen und wirtschaftlichen Folgen hatten Epidemien oder „Sterbensläufte“, wie man damals sagte?

    Umfassende Seuchenordnungen wurden erst im 16. Jahrhundert erlassen. Sie beinhalteten Hygienevorschriften und Isolationsbestimmungen, aber auch Strafandrohungen bei Zuwiderhandlungen. Die Ordnungen spiegeln den Widerspruch zwischen Schutz der Einwohnerschaft einerseits und Aufrechterhaltung der Wirtschaft andererseits. In Nördlingen drohte man mit dem Verschließen des Hauses, wenn sich die Bewohner nicht an die Ausgangssperre und Hygienevorschriften hielten. Epidemien führten auch zu Beeinträchtigungen innerhalb der Stadtverwaltungen, wenn städtisches Dienstpersonal aus Angst vor Ansteckung floh und nicht betroffenes Gebiet aufsuchte. Dasselbe galt für die Schulen. Immer wieder kam es vor, dass die Lehrer vor dem hohen Ansteckungsrisiko aus der Stadt oder einer Region geflohen waren.

    Heilkundige wie Stadtärzte und Wundärzte, aber auch Apotheker und Hebammen, waren in der Regel mit der Versorgung von Seuchenkranken betraut. Im Regelfall hatten sie keinen direkten Kontakt mit den Infizierten, dieser oblag den Barbieren und den für die Seuchenzeiten angestellten „Pflegekräften“. Diese Krankenwärter arbeiteten in den städtischen Isolieranstalten, aber auch in Privathäusern. Auch damals waren arme Menschen in besonderem Maße gefährdet, sie galten als Risikogruppe und waren in besonderem Maß auf Unterstützung angewiesen. Auf das Ganze gesehen waren die Kommunen bemüht, den Warenverkehr während der Epidemien aufrechtzuerhalten. Von Seuchen verursachte Versorgungsengpässe sind eher selten zu beobachten, auch wenn häufig Jahrmärkte in Seuchenzeiten abgesagt oder zeitlich verlegt wurden, um so Schlimmeres zu verhindern. Die Nördlinger Pfingstmesse ist dabei relativ unbeeinträchtigt durch die Jahrhunderte gekommen.

    Und die Kirche? Der kirchliche Ritus wurde nur selten eingeschränkt. Im Gegenteil: Die kirchlichen Dienstleistungen wie Gottesdienste und Gebete wurden ausgeweitet, um dadurch dem Zorn und der Strafe Gottes als Ursprung der Epidemie zu begegnen. Eingeschränkt wurde dagegen das Zeremoniell von Bestattungen. Das heißt: Trauergesellschaften wurden zahlenmäßig begrenzt und Trauerfeiern wurden von der Öffentlichkeit abgeschirmt, um so das Ausmaß der Epidemien zu verbergen.

    Man wusste, dass kontaminierte Orte und kranke Personen zu meiden waren. Das hatte Fluchtbewegungen zur Folge. Für Nördlingen bedeutsam ist die Aufnahme von zahlreichen Nürnbergern im Jahre 1563. Bei ihrer Abreise zum Jahreswechsel 1563 schenkten sie aus Dankbarkeit den Nördlingern ein Trinkstubenschild, das heute im Stadtmuseum aufbewahrt wird.

    Grundtöne der Gegenwart

    Interessanterweise spült die Katastrophe der Gegenwart bei vielen Menschen eine ganze Reihe an kritischen Fragen hervor. Wer heute mit den Menschen spricht, der hört immer wieder einen gegenwartskritischen Grundton heraus: Hat unser Leben im Überfluss und die Möglichkeit, alles zu jeder Zeit an jedem Ort haben zu können, nicht die Verbindung zu den Kreisläufen der Natur abgeschnitten? Müssten wir nicht wieder lernen, dass zum Leben auch Verzicht gehört? Bis vor Kurzem hat man dies angesichts der Klimakatastrophe noch kontrovers diskutiert. Heute wird uns diese Entscheidung aus der Hand genommen. Natur, Umwelt und Klima profitieren davon – doch zu welchem Preis? Wer heute Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Fachrichtungen zuhört, hört einen weiteren Grundton heraus: die Überzeugung, dass nach der Krise auch Wirtschaftsabläufe überdacht werden müssten. Gemeint sind die zum Teil endlosen Lieferketten und die Verlagerung von Produktionen in weit entfernte Gebiete, was wiederum enorme Transporte notwendig macht. Ist es nicht angebracht, so heißt es, über eine „langsamere“ Globalisierung nachzudenken? Wie hat kürzlich eine Philosophin in einer Gesprächsrunde gesagt? Sie meinte, dass eine solche „merkwürdige Zeit“ auch Freiräume schafft fürs Nachdenken. Nutzen wir die Zeit: zu unserem Wohl, zum Wohl der Erde, der Natur und der Umwelt.

    Spätere Generationen werden fragen: Wie war das damals im Jahre 2020, wie sah der Alltag aus und wie ging man damals mit der Krise um? Vielleicht finden heute Menschen Zeit, ihre Beobachtungen und ihre Gedanken aufzuschreiben, um so ihren Nachkommen Einblicke zu geben in eine „merkwürdige Zeit“. Bislang wurde dieser subjektiven Seite der Geschichte viel zu wenig Aufmerksamkeit zuteil.

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