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Fessenheim: 50 Jahre im Rettungsdienst: Einsatz zwischen Leben und Tod

Fessenheim

50 Jahre im Rettungsdienst: Einsatz zwischen Leben und Tod

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    Friedrich Ackermann ist seit 50 Jahren im Rettungsdienst.
    Friedrich Ackermann ist seit 50 Jahren im Rettungsdienst. Foto: www.canva.com / Foto Mitte: Fotohaus Hirsch, Wagner

    Herr Ackermann, Sie geben seit Jahrzehnten Erste-Hilfe-Kurse im Ries. Wie wichtig ist es, dass man nicht nur einmal an solch einem Kurs teilnimmt?

    Friedrich Ackermann: Sehr wichtig. Eigentlich sollte jeder seine Kenntnisse von Zeit zu Zeit auffrischen, damit man im Zweifelsfall seiner Familie und seinen Freunden oder in einer Notsituation anderen helfen kann.

    Was ist das Wichtigste bei einem Notfall?

    Ackermann: Der Eigenschutz. Oft unterschätzen die Leute die Gefahr für sich selbst und sichern die Unfallstelle nicht richtig ab. Ist das erledigt, muss man zunächst den Patienten ansprechen. Wenn der Verunglückte antworten kann, kann man ihn fragen, was passiert ist und wo er Schmerzen hat. Ansprechen und einen Überblick verschaffen, das sind die ersten Schritte bei einer Notfallsituation. Dann muss man einen Notruf absetzen und die 112 wählen. Die verunglückte Person muss, wenn nötig, aus dem Gefahrenbereich geborgen werden. Bei Bewusstlosen macht man die stabile Seitenlage. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand muss man die Herz-Lungen-Wiederbelebung durchführen.

    Viele Menschen haben in solch einer Situation Angst.

    Ackermann: Die meisten Leute haben Angst, etwas falsch zu machen. Sie denken: Lieber mache ich nichts, bevor ich etwas falsch mache. Doch das ist das Schlechteste, was man tun kann.

    Motorradunfälle: Helm abnehmen oder nicht?

    Gerade bei Motorradunfällen gibt es immer wieder die Frage, ob man den Helm des verunglückten Fahrers abnehmen soll oder nicht.

    Ackermann: Wenn der Fahrer bewusstlos ist, muss der Helm auf jeden Fall runter. Sollte der Patient erbrechen oder bluten, droht ansonsten die Gefahr, dass er erstickt. Auch einen Fahrradhelm sollte man immer abnehmen. Gott sei Dank sind ja viele Leute mittlerweile so vernünftig und setzen einen Helm auf. Liegt der Patient ungünstig, kann der Kinnriemen in den Rachen drücken und die Menschen bekommen Atemprobleme. 80 Prozent der schweren Kopfverletzungen bei Unfällen mit Radlern könnten übrigens vermieden werden, wenn alle einen Helm aufsetzen würden.

    Sie sind seit 1969 beim Bayerischen Roten Kreuz, sind immer wieder im Rettungsdienst zu schweren Unfällen gerufen worden.

    Ackermann: Ja, ich habe solche Situationen oft mitgemacht.

    Wie hält man so etwas aus?

    Ackermann: In der Situation selbst arbeitet man ein Schema ab. Da denkt man nicht nach. Man arbeitet im Team zusammen, verschafft sich einen Überblick und kümmert sich als erstes um die Schwerverletzten.

    Und danach?

    Ackermann: Es ist wichtig, dass man es nicht in sich reinfrisst. Nach dem Einsatz sitzt man mit den Kollegen in der Rettungswache zusammen und lässt das Ganze Revue passieren. Wenn man den Verunglückten nicht kennt, bekommt man nach einem Unfall auch nicht mit, wie es ihm danach geht – Datenschutz. Nur ganz selten kommen die Personen im Nachhinein auf uns zu, melden sich und bedanken sich für die Hilfe. Am schlimmsten sind Unfälle, bei denen die Menschen innerlich verbluten.

    Warum?

    Ackermann: Weil man da mit der Person noch spricht, sie beruhigt – und 15 Minuten später ist sie tot. Ich erinnere mich noch genau an einen Unfall im Winter. Da war auf der Bundesstraße eine Familie von der Straße abgekommen, die Frau war schwer verletzt und die beiden Töchter wurden von Ersthelfern versorgt und beruhigt. Die größere wollte unbedingt zu ihrer Mama, die hat ganz furchtbar geweint. Die Kollegen haben im Rettungswagen mit dem Notarzt die Frau bereits versorgt. Ich war als Einsatzleiter vor Ort. Als die Ersthelfer mit dem Mädchen kamen, habe ich versucht, die Kleine zu beruhigen. Aber die wollte zu ihrer Mutter. Ich habe dann entschieden, dass sie das darf und bin mit ihr zu ihrer Mama gegangen. Sie hat sie noch einmal gesehen. Ich habe der Kleinen gesagt, dass sich die Kollegen jetzt um die Mama kümmern, dass sie ins Krankenhaus gefahren wird. Kurz danach ist die Frau leider gestorben. Das vergesse ich nie. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich es diesem Mädchen nicht ermöglicht hätte, seine Mama zu sehen.

    Wie hält man das aus, solch ein Leid immer und immer wieder mit anzusehen? Und das auch noch im Ehrenamt?

    Ackermann: Ich glaube, entweder man kann damit umgehen, oder eben nicht. Und man braucht auch eine Frau, mit der man die Probleme besprechen kann und die bereit ist, das alles mitzutragen. Dass man beispielsweise am Zweiten Weihnachtsfeiertag abends zu einem Einsatz gerufen wird. Ich hatte damals Bereitschaft als Einsatzleiter. Wir hatten es uns gerade gemütlich gemacht, da ging der Piepser.

    Was war da los?

    Ackermann: Da gab es in einer Halle, in der Jeanette Biedermann auftreten sollte, kurz vor dem Einlass einen Bombenalarm. Da geht es dann von 0 auf 100. Man hat die Leute dann nicht in die Halle gelassen, bevor die Polizei mit ihren Hunden nicht alles durchsucht hatte. Es war sehr kalt, ich erinnere mich noch genau, die Leute haben geschimpft. Aber denen konnte man ja nichts sagen, sonst hätte es eine Panik gegeben. Die Veranstaltung konnte dann doch noch stattfinden. Man hat keine Bombe gefunden, die Einsatzbereitschaft dauerte aber bis nach Mitternacht.

    Was hat sich in all den Jahrzehnten verändert, in denen Sie beim Rettungsdienst waren?

    Ackermann: Ich bin damals durch meinen Erste-Hilfe-Kurs zum Roten Kreuz gekommen. Danach habe ich mich für zehn Jahre verpflichtet – als Ersatz zur Bundeswehr. Wir sind früher mit dem Krankenwagen alleine losgefahren. Nur kritische Einsätze wurden zu zweit gefahren. Ich weiß noch, wie ich eine Schwangere irgendwo im Ries in der Nacht abgeholt habe. Die hatte alle fünf Minuten Wehen. Und ich Jungspund bin gefahren und hab’ mir nur gedacht – hoffentlich geht das gut. Heute wäre das undenkbar und nicht zulässig. Die Besatzung eines Rettungswagens besteht immer aus einem Notfallsanitäter und mindestens einem Rettungsdiensthelfer. Das ist überhaupt das Schönste, wenn man zu einer Geburt fährt.

    Wenn der Sanitäter zum Geburtshelfer wird

    Waren Sie auch schon mal Geburtshelfer?

    Ackermann: Fast. Wir sind leider zu spät gekommen, da war das Baby schon da. Da haben wir die Mama und das Kind – mit der intakten Nabelschnur – in den Sanka gepackt und sind nach Nördlingen gefahren. Ich saß hinten drin und habe die Mutter beruhigt. Das kleine Kind hat die ganze Fahrt über meinen Finger festgehalten. Das war so ein unglaublich schöner Moment.

    Angesichts all der schwierigen Situationen, die Sie bereits erlebt haben: Wie hat sich Ihre Einstellung zum Leben verändert?

    Ackermann: Ich genieße jeden Tag. Gesundheit ist sicherlich das höchste Gut, ich finde es auch beruhigend, anderen helfen zu können. Eine gewisse materielle Sicherheit gehört zum Leben dazu, aber das ist nicht alles. Das Schlimmste ist, wenn man Stress in der Familie hat. Wenn es keine Harmonie gibt, dann wird man krank, da bin ich fest davon überzeugt. Man muss sich zuhören, das habe ich im Rettungsdienst gelernt. Den Kontakt zu den eigenen Kindern und Enkeln aufrechtzuerhalten, das finde ich ganz wichtig. Die müssen wissen, dass sie immer alles erzählen können. Und Spaß sollte man im Leben auch haben.

    Sie haben zwei erwachsene Töchter. Wie war das, als die im Ries auf Partys gegangen sind und nachts unterwegs waren?

    Ackermann: Ich habe ihnen immer gesagt: Nicht mit Fremden oder Betrunkenen mitfahren, sie können mich jederzeit anrufen. Denn bei einem Unfall, zu dem ich im Rettungsdienst gefahren bin, ist ein junges Mädchen gestorben. Der Fahrer war betrunken. Ich hab meine Mädchen immer abgeholt, ich war das ja auch gewöhnt, mitten in der Nacht aufzustehen, wenn der Piepser ging und ich zum Einsatz musste. Ich werde nie die eine Nacht vergessen. Da wollte ich eigentlich nur meine zwei in Deiningen holen. Ich frage noch, ob ich die anderen auch mit heim nehme. Plötzlich war das Auto voll, aber keines meiner Kinder saß drin. Dann bin ich erst von

    Wie stehen Ihre Kinder zu Ihrem Engagement?

    Ackermann: Meine große Tochter und ihr Mann fahren auch Rettungsdienst. Wir haben sechs Enkelkinder, fünf Buben und ein Mädchen, sie ist die Jüngste. Zwei der Enkelsöhne sind beim Roten Kreuz in Nördlingen und bei der DLRG in Mönchsdeggingen mit dabei. Neulich hat eine Bekannte zu mir gesagt, der ältere, der sei genauso wie der Opa.

    Was hat sich durch Corona bei den Erste-Hilfe-Kursen geändert?

    Ackermann: Die Beatmung muss nicht mehr unbedingt erfolgen. Grund ist auch hier der Eigenschutz – der Verunglückte könnte ja Corona haben. Aber man muss immer noch eine Herzmassage machen.

    Im Rhythmus von „Staying alive“ von den Bee Gees, richtig?

    Ackermann: Ich rate meinen Teilnehmern immer eher, laut zu zählen. Denn dieses monotone Zählen ist in solch einer Situation eher beruhigend. Ich glaube, in einer Notfallsituation erinnert man sich nicht mehr an den Rhythmus eines einzelnen Liedes. Diese Herzmassage ist aber immens wichtig, damit der Patient überhaupt eine Überlebenschance hat.

    Wie viele Erste-Hilfe-Kurse geben Sie eigentlich im Jahr?

    Also vor Corona waren es um die 80. Ich bin ja im Ruhestand, ich habe und nehme mir Zeit. Und ich beginne auch um 7 Uhr, wenn die Teilnehmer das wollen.

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