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Zwölf Stämme: Verdeckter Berichterstatter: "Ich habe fast geheult"

Zwölf Stämme

Verdeckter Berichterstatter: "Ich habe fast geheult"

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    Im bayerischen Klosterzimmern lebt die umstrittene Glaubensgemeinschaft der «Zwölf Stämme».
    Im bayerischen Klosterzimmern lebt die umstrittene Glaubensgemeinschaft der «Zwölf Stämme». Foto: Daniel Karmann (dpa)

    Wolfram Kuhnigk, freier Journalist, hat sich verdeckt bei den Zwölf Stämmen eingeschleust und das Material Jugendamt und Familiengericht zur Verfügung gestellt. Sein Beitrag läuft am Montag um 22.45 Uhr im RTL-Magazin „Extra“.

    Herr Kuhnigk, was haben Sie bei den Zwölf Stämmen erlebt?

    Kuhnigk: Ich kann die Misshandlungsvorwürfe bestätigen. Ich habe fast geheult, so grausam und unmenschlich sind die Szenen, die ich aufgenommen habe.

    Wie haben Sie sich dort eingeschleust?

    Kuhnigk: Ich habe mich dort als jemand ausgegeben, der mit dem Leben nicht klarkommt. Der seine Kinder nicht so sehen kann, wie er will, von den Frauen schlecht behandelt wurde und jetzt bei den Zwölf Stämmen nach einer Lösung sucht.  Ich habe schriftlich Kontakt aufgenommen, dann habe ich mir eineinhalb Monate einen Bart wachsen lassen und als ich völlig zugewachsen war, bin ich hingefahren. Insgesamt war ich drei Mal jeweils mehrere Tage dort.

    Wie konnten Sie auf dem Anwesen überhaupt filmen?

    Kuhnigk: Ich habe mit speziellen Kameras gearbeitet, die über einen längeren Zeitraum alleine aufnehmen können. Die musste ich dann nur installieren.

    Was haben Sie dokumentiert?

    Kuhnigk: Ich konnte weit über 50 Schläge dokumentieren. Es wurden viele Kinder geschlagen, unterschiedliche Kinder von unterschiedlichen Erwachsenen. Zum großen Teil waren es nicht die Eltern. Die Erwachsenen haben emotionslos geschlagen, es war ihnen egal, ob die Kinder geweint haben. Es gibt Frauen, die setzen sich dabei sogar auf einen Stuhl, und die Kinder müssen die Hosen runterlassen und sich vor sie stellen, mit durchgestreckten Beinen, die Arme auf dem Boden. Als ich das gesehen habe, dachte ich mir, das kann doch nicht wahr sein.

    Die Staatsanwaltschaft hat auch von eigenen Räumen für die Misshandlungen gesprochen.  Konnten Sie das auch feststellen?

    Kuhnigk: Ja, um sechs Uhr morgens gibt es Versammlungen, bei denen gebetet und getanzt wird, da müssen auch Kinder ab zwei Jahren teilnehmen. Wenn sie nicht stillstehen, werden sie aus dem Raum geführt und kommen drei Minuten später verweint und verstört zurück. Daraus habe ich geschlossen, dass der Raum, in dem sie misshandelt werden, unten im Haus liegen muss. Dokumentiert habe ich auch, dass in einem Heizungsraum in der Schule geschlagen wird.

    Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme"

    Die "Zwölf Stämme" (The Twelve Tribes) sind eine urchristliche Glaubensgemeinschaft, die in den 70er Jahren in den USA gegründet wurde.

    Die Anhänger der "Zwölf Stämme" leben streng nach der Bibel, die sie wortwörtlich auslegen. Sie sind fest davon überzeugt, dass ihr Glaube der einzig Richtige ist.

    "Grundlage unseres Lebens ist der Gehorsam zu den Worten Jahschuas , des Messias, so wie sie in der Bibel, dem Wort Gottes, niedergeschrieben sind", schreiben die "Zwölf Stämme" über sich selbst.

    Die Zwölf Stämme haben weltweit etwa 2000 Mitglieder, davon etwa 100 in Deutschland.

    Mitglieder der Zwölf Stämme leben und arbeiten in streng hierarchisch aufgebauten Kommunen zusammen.

    Eine dieser Kommunen wohnt seit 2000 im Gut Klosterzimmern im Kreis Donau-Ries.

    Die Mitglieder der „Zwölf Stämme“ weigern sich, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken. Die Gemeinschaft begründet dies mit ihrer Religion, macht „Gewissensgründe“ geltend. Ein Grund ist der Sexualkundeunterricht.

    "Unsere Religion hat sich nicht in den Staat einzumischen und umgekehrt sollte sich der Staat nicht in unsere Religion einmischen", ist eine weitere Aussage der "Zwölf Stämme" .

    Ab 2006 unterrichteten die Zwölf Stämme in Klosterzimmern ihre Kinder in einer Privatschule.

    Wegen des Verdachts, sie würden ihre Kinder züchtigen, haben die "Zwölf Stämme" immer wieder Ärger mit Polizei und Justiz. Die Mitglieder bestreiten die Vorwürfe.

    Als 2013 ein Video auftaucht, auf dem festgehalten ist, wie Mitglieder ihre Kinder mit Ruten schlagen, holen Polizisten alle 40 Kinder der Sekte ab und bringen sie in Pflegefamilien unter.

    Im September 2015 kündigen die "Zwölf Stämme" an Deutschland zu verlassen und nach Tschechien zu ziehen. Die Sekte hofft, dort ihren Glauben frei ausleben zu können.

    Wie haben Sie die Kinder wahrgenommen?

    Kuhnigk: Sie haben keine enge Bindung zu den Eltern, weil diese sie auch nicht schützen können. Wenn sich die Eltern weigern, ihre Kinder wie vom Ältestenrat für notwendig erachtet zu züchtigen, müssen sie sie abgeben. Die Kinder dürfen keine Individualität entwickeln. Es gibt dort keine spielenden Kinder auf dem Hof, Fantasie und Spiel sind verboten. Die Kinder werden gebrochen. Ihnen wird die Hölle als vermeintliche Normalität verkauft.

    Sind Sie froh darüber, dass die Polizei nun eingegriffen hat?

    Kuhnigk: Ja. Ich hatte große Angst davor, dass die Sekte etwas mitbekommt von meinem Vorhaben. Es wurde gesagt, bevor die Kinder hier in die Schule gehen müssen, werden sie nach Tschechien gebracht und hier abgemeldet. Wenn sie dann zurückkommen, hätte man behaupten können, dass sie nur auf Besuch da sind. Ich hatte Angst, dass das passieren könnte. Ich glaube, je älter die Kinder sind, desto schwieriger wird es nun für sie. Aber ich bin mir sicher, dass es für die Babys das Beste war, was ihnen passieren konnte. Man muss auch sehen: Die Kinder wurden zwar von ihren Eltern getrennt, aber ihre Eltern hatten auch nicht die Rolle, die man von ihnen erwartet.

    Sie haben Ihr Material Jugendamt und Familiengericht zur Verfügung gestellt. Sind Sie zufrieden damit, wie schnell dort gehandelt wurde?

    Kuhnigk: Es ging nicht so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte. Und ohne die Videobeweise, davon bin ich überzeugt, hätten die Behörden auch nicht wirklich gehandelt. Ich finde es unverständlich, dass sie über so lange Zeit nichts auf die Reihe gekriegt haben.

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