Messerscharfe Klingen aus Feuerstein, mit denen man um circa 5500 vor Christus Fleisch schnitt oder Häute bearbeitete? Ein Archäologen-Team hat bei Grabungen in Utzwingen im Baugebiet Hofäcker III Funde gemacht, die von den ersten Bauern im Ries stammen und in die Jungsteinzeit datieren, als die Jäger- und Sammlerkulturen sesshaft wurden.
„Die Grabungen bei Utzwingen sind ein wichtiger Baustein zum Verständnis dieses menschheitsgeschichtlichen Wendepunktes“, teilt das Landesamt für Denkmalpflege zur Bedeutung der Funde mit. Neben den Feuersteinwerkzeugen sind es vor allem Pfahlspuren einer früheren Siedlung, die aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends vor Christus stammen. Die Siedlungsfundstelle in Utzwingen sei seit Langem bekannt und Grabungen fänden im Zuge der voranschreitenden Erschließung durch die Gemeinde seit 1999 in unregelmäßigen Abständen statt, schreibt das Landesamt.
Anke Wunderlich, die Grabungsleiterin in Utzwingen, erklärt die drei Wochen dauernde Arbeit des fünfköpfigen Ausgräber-Teams vor Ort. Nachdem die oberste Erdschicht an der Stelle weggeschoben worden sei, wo später die Erschließungsstraße entstehen soll, habe man eine 80 Meter lange und zwölf Meter breite Grabungsfläche erhalten. Auf dem hellbraunen Erdboden fallen deutlich dunklere Bodenstellen auf. Das seien frühere Siedlungsgruben für Abfälle gewesen, sagt Anke Wunderlich. Die Abfälle hätten sich zu Humus umgewandelt. Das sei der Grund für die dunkelbraune Erdfarbe. „Wir graben sozusagen im Abfall“, sagt die Archäologin. In diesen „Abfallgruben“ könnte man neben Feuersteingeräten auch Keramikscherben von vermutlich damals schon zu Bruch gegangenen Vorratsgefäßen finden, die dort entsorgt worden seien. Von den Keramikgefäßen, oder genauer: von deren Verzierung mit Linien, habe die Kultur, der auch die Siedler in Utzwingen angehörten, ihren Namen: die Linienbandkeramik.
Häuser waren in Utzwingen vor rund 7500 Jahren zwölf Meter lang
Typisch für diese Zeit seien auch Spuren von Pfosten, aus denen die großen Langhäuser gebaut waren. Mindestens ein solches Langhaus sei für Utzwingen nachgewiesen, sagt Anke Wunderlich, und das sei etwa zwölf Meter lang gewesen. Die Breite sei unklar. Die Wände der Häuser hätten aus einem Flechtwerk bestanden, das mit Lehm verkleidet gewesen sei. Lehmbrocken als Wandreste zählten entsprechend auch zu den Grabungsfunden. Die Gesamtzahl der archäologischen Befunde, das heißt der archäologisch relevanten Erdverfärbungen, belaufe sich in dem Baugebiet auf rund 100, sagt die Archäologin.
Der Prozess der Sesshaftwerdung habe sich über mehrere Jahrtausende erstreckt, ging räumlich von Anatolien aus und setzte sich über den Balkan bis nach Mitteleuropa fort, wo diese Entwicklung Mitte des 6. Jahrtausends vor Christus durch die sogenannte Linienbandkeramik vollzogen wurde, schreibt das Landesamt. Nach Gordon Childe spreche man auch von der „neolithischen Revolution“.
Die Antwort auf die Frage, warum in einem Raum, der über Jahrtausende sehr erfolgreich von Jägern und Sammlern genutzt worden sei, Ackerbau und Viehzucht Einzug gehalten haben, sei unklar.
Markant sei dabei die weite und schnelle Verbreitung eines sehr ähnlichen Keramikstils, der Linienbandkeramik, und vergleichbarer Wirtschafts- und Lebensweisen von Ungarn bis nach Frankreich. Mögliche Auslöser der Besiedlung könnten interne Faktoren wie ein gemeinsames Glaubens- und Gesellschaftssystem der Bandkeramiker oder externe Impulse wie etwa Klimaveränderungen gewesen sein, schreibt das Landesamt.
Die Behörde rechnet mit weiteren Funden in Utzwingen, da das Siedlungsende noch nicht erreicht sei. Die Hinterlassenschaften der nicht sesshaften Jäger- und Sammlerkulturen bei den Ofnet-Höhlen reichten in der Menschheitsgeschichte noch weiter zurück. Trotz der Ausgrabungen dürfte sich die Erschließung des heutigen Baugebiets nicht wesentlich verzögern.
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