Startseite
Icon Pfeil nach unten
Nördlingen
Icon Pfeil nach unten

Rieser im Dritten Reich (2): Das Leben einer jüdischen Familie aus Nördlingen in der NS-Zeit

Rieser im Dritten Reich (2)

Das Leben einer jüdischen Familie aus Nördlingen in der NS-Zeit

    • |
    Das Leben einer jüdischen Familie aus Nördlingen in der NS-Zeit
    Das Leben einer jüdischen Familie aus Nördlingen in der NS-Zeit

    Der Ausweis zeigt ein Bild eines jungen Burschen, Fingerabdrücke und mehrere Eintragungen. Auf den ersten Blick scheint er nichts Besonders zu sein. Bei näherem Betrachten fällt jedoch auf, dass dort ein rot aufgedruckte Buchstabe „J“ zu sehen ist, der davon zeugt, dass es sich bei der dargestellten Person um einen Juden im dritten Reich handeln muss. Zusätzlich wurde jedem jüdischen Mann in Deutschland der Beiname „Israel“ zur Kennzeichnung beigefügt. Die Ausstellung „13 Jahre – 13 Dinge“ von Andrea Kugler im Stadtmuseum Nördlingen zeigt 13 Jahre Nationalsozialismus mit Biografien aus dem Ries auf. Wie berichtet, begleiten wir diese Ausstellung mit der Artikel-Serie „Rieser Biografien aus dem Dritten Reich“. Diesmal geht es um die Familie Eisenmann.

    Bei dem dargestellten Ausweis aus dem Stadtarchiv Nördlingen handelt es sich um eine sogenannte „Kennkarte“, die 1938 als Inlandsausweis eingeführt wurde, erklärt Andrea Kugler. Eine Kennkartenpflicht galt für Männer im Wehrpflichtalter und für alle jüdischen Einwohner. Somit wurde auch dem zwölfjährigen jüdischen Jungen Günter David Eisenmann am 23. Februar 1939 von der Stadt Nördlingen diese Kennkarte ausgestellt. Er erhielt den Beinamen „Israel“ und das rote „J“, die ihn als Jude identifizieren, schreibt Kugler, die sich dabei an die Informationen von Dr. Hermann Keßler, Rolf Hofmann und an das Buch „Ich bin ein Nördlinger Jude“ von Ernst Eisenmann hält.

    Auswandernde Nördlinger mit Haushaltswaren versorgt

    Der Schüler Günter Eisenmann war das jüngere Kind der Eheleute Heinrich und Helene Eisenmann, schildert Kugler. Sein Vater führte zusammen mit dessen Cousin Otto die Metallwarenhandlung „Gebrüder Eisenmann“ in der Berger Straße 2 in Nördlingen.

    Günters Vater Heinrich war Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg, geriet dort in Kriegsgefangenschaft und trug das „Eiserne Kreuz 1. Klasse“, weil er an der Front französische Kriegsgefangene gemacht haben soll, schreibt Kugler. Er habe geglaubt, dass seine Mitgliedschaft im „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ ihn und seine Familie schützen würde. Doch dies sollte nicht geschehen. Im Herbst 1939 wies man ihn für einige Monate den „Globus-Kreidewerken“ in Neuburg an der Donau zur Zwangsarbeit zu.

    undefined

    Heinrich Eisenmann habe auswandernde Nördlinger mit Haushaltswaren versorgt, so Kugler. Auf die Frage, wann er ihnen denn selbst folgen würde, soll er lächelnd geantwortet haben: „Ich werde den letzten Zug nehmen.“

    Erst isoliert, dann auseinander gerissen

    Die Familie Eisenmann wurde zunächst in einem Haus Am Grünen Meer 1, zusammen mit der 56-jährigen Schwägerin Ida Eisenmann, der 53-jährigen Antoniette Gradmann sowie der 38-jährigen Helen Mahler und deren fünfjährigen Sohn Michael isoliert. Das Gebäude gehörte davor den jüdischen Brüdern Neumann, die dort eine Häute- und Fellhandlung betrieben haben, schreibt Kugler.

    Der 2. April 1942 sollte die Familie endgültig auseinanderreißen. Ein Polizeikommando deportierte rund 25, der noch in Nördlingen verbliebenen jüdischen Einwohner – darunter der 15-jährige Günter mit seinen Eltern sowie allen anderen Hausbewohnern. Sie mussten durch Nördlingen laufen und sich am Bahnhof eine Zugfahrkarte nach München kaufen. Von dort aus brachte man sie nach Polen. Während die Eltern und die Tante im Ghetto Piaski starben, wurde Günter im September 1942 als Häftling Nr. 6657 im Konzentrationslager Majdanek ermordet.

    Einzig Günters ältere Schwester Anneliese Eisenmann entkam dem Holocaust. Die damals 18-Jährige verließ Deutschland bereits 1939 und emigrierte zusammen mit ihrem 19-jährigen Cousin Albrecht Eisenmann, der zuvor wegen eines Göring-Witzes für zwei Monate inhaftiert worden war, in die USA. Museumsleiterin Andrea Kugler berichtet, dass Anneliese Eisenmann den aus Mannheim stammenden Martin Kramer in Chicago heiratete und dort vier Töchter zur Welt gebracht hat . Anneliese Eisenmann starb als „Ann Lee“ am 11. September 1995 in ihrer neuen, sicheren Heimat Chicago.

    Die aktuelle Ausstellung „13 Jahre – 13 Dinge“ ist im Nördlinger Stadtmuseum dienstags bis sonntags von 13.30 bis 16.30 Uhr zu sehen.

    Lesen Sie auch:

    Biografien junger Rieser erinnern an die dunklen Jahre im Zweiten Weltkrieg

    Gefundene Weltkriegsmine in der Wörnitz bei Alerheim: "Großes Glück gehabt"

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden