Von beinahe jedem Ort im Ries kann man heute die Großwindanlagen, die die Windkraft nutzen, auf dem Kraterrand erkennen. Den genialen Gedanken, aus Schiffssegeln Windräder zu schaffen, um damit Zahnräder und Mahlgänge anzutreiben, hatte man in Europa erst im 12. Jahrhundert. Man verwendete die Windmühlen für die Entwässerung tiefliegender Gelände und besonders für Getreidemühlen. Während sich jedoch das fließende Wasser gut regulieren lässt, bläst der Wind unterschiedlich stark und stellt daher hohe Anforderungen an die Technik.
So ist es nicht verwunderlich, dass hierzulande erst das innovative 18. Jahrhundert den Versuch mit solchen Werken machte, und zwar in wasserarmen Gegenden wie im nordwestlichen Ries. Die Wege zur Eger aber und besonders zur noch entfernteren Wörnitz, die meist genügend Wasser führten, waren zeitraubend und strapazierten Zugtiere und Fahrzeuge. Es waren nicht die Gemeinden, die sich um solche Mühlen bemühten, sondern zwei einzelne Unternehmer in Marktoffingen und in Ehringen.
Auf dem Bergrücken bei Marktoffingen stand einmal eine WIndmühle
Über diese Windmühlen gibt es – soweit zu sehen – keine Erinnerungen in den Dörfern oder in der Literatur und der Verfasser stieß nur per Zufall im Harburger Archiv auf diese bisher unbeachteten Akten. Sie berichten vom Bader Johann Jacob Keßler in Ehringen ab 1783 und schon vier Jahrzehnte früher vom Marktoffinger Bildhauer und Kunstschreiner Johann Melchior Hochstein, der 1732 als Bürgermeister bezeichnet wird, der zugleich auch noch Wirt und damit ein nicht unvermögender Mann war. Sein Unternehmen soll zuerst vorgestellt werden.
Hochstein hatte in seinen Lehrjahren sicher mit allen Formen von Holzbauten zu tun, sodass er auch die komplizierte Bauweise einer Windmühle verstehen und nachbauen konnte. Wegen der ungünstigen Lage seines Dorfes – auch die nächstgelegenen vier Mühlen an der Mauch litten häufig unter Wassermangel – versprach sich der unternehmungslustige Pionier einen guten Gewinn von seiner aufwendigen Investition.
Westlich von Marktoffingen erstreckt sich ein Bergrücken parallel zur heutigen B25. Dort oben sollte die Mühle den erforderlichen Wind, besonders als Aufwind aus dem sogenannten Vor-Ries, bekommen. Neben der Mühle wünschte Hochstein gleichzeitig ein Wirtshaus, einerseits als Müllerwohnung, andererseits als eine Art Ausflugslokal, von dem man einen einmaligen Blick übers Ries genießen konnte. Der Standort von Mühle und Gaststätte ist nicht mehr bekannt; er lag aber wohl – wegen der nötigen Zufahrt von der alten Römerstraße her – etwas nördlich davon in Richtung Ramsteiner Hof.
Deutsche Bockwindmühle wurde 1738 in Marktoffingen errichtet
Mit Erlaubnis der Wallersteiner Regierung errichtete der Kunstschreiner Hochstein, der als solcher auch schon in der Maihinger Klosterkirche gearbeitet hatte (Kirchenführer, S. 20), im Jahre 1738 seine Windmühle, bei der es sich um eine „deutsche Bockwindmühle“, die besonders im nördlichen Europa verbreitet war, handeln dürfte. Auf einer stabilen Unterlage ruht der zentrale Hausbaum und der stützende Bock. Die mächtigen Flügel drehen die Welle mit dem Zahnrad, das seinerseits das Mühleisen des Mahlgangs mit dem Läuferstein bewegt.
Hochstein gab sich nicht mit einem einzigen Mahlgang zufrieden, ersichtlich daraus, dass man am Ende sechs Mühlsteine verkaufen konnte, die eindeutig auf drei Gänge, also einschließlich eines Gerbgangs, hinweisen. Damit war sein Werk sicherlich um ein Stockwerk höher als das gezeigte Modell. Wir dürfen auch annehmen, dass das ganze Mühlenhaus mithilfe des Steert oder Sterz, des Balken also, der links aus dem Gehäuse ragt, auf einem unteren Kranz zu bewegen war. So konnte man die Flügel in den jeweils günstigen Wind drehen – anders als bei den Holländermühlen, wo nur das Dachgeschoß gedreht wird.
Mit der Windmühle in Marktoffingen tauchten auch Schwierigkeiten auf
Damit hatte sich nun der Kunstschreiner einen langgehegten Traum erfüllt und viele Leute mögen anfangs voll Neugier das Hexenwerk der drehenden Flügel und das Klappern der Mahlgänge bestaunt und den Meister bewundert haben. Hoch am Riesrand drehten sich erstmals in der Geschichte die Flügel einer Windmühle. Wir wüssten nun gern, ob sich genügend Bauern mit ihrem Getreide auf den Weg zu der hochgelegenen Mühle machten und ob die erwünschten Winde die nötige Kraft lieferten.
Denn schnell wurden auch Schwierigkeiten sichtbar. Der Hochstein hatte für Mühle und Wirtshaus eine Schuldenlast von 1539 Gulden (fl) angehäuft: Allein fürs Bier waren 403 fl nach Wallerstein zu berappen, fürs Eisen zahlte er 60 fl nach Rothenburg. Neben seinen eigenen Mitteln hatte er Kredite aufgenommen, und zwar bei der Frühmeßstiftung in Marktoffingen 150 fl, bei St. Gallus in Wallerstein 300 fl, bei der Finanzkammer in Wallerstein für Bauholz 346 fl und bei der Brauereiverwaltung 385 fl. Nur wenn der Mahlbetrieb uneingeschränkt laufen würde, könnte sich diese Schuldenlast in absehbarer Zeit amortisieren lassen.
Für die Windmühle in Marktoffingen fand sich kein Müller
Da kam es nun besonders auf die Pächter an. Anno 1740 wollte Caspar Brenner, der Windmüller zu Schillingsfürst, die Mühle für zwei Jahre pachten. Die Auflagen aber waren letztlich zu hoch: Er hätte eine Kaution von 100 fl für den Fall „des Verderbs und Ruinirens“ vorstrecken und für eventuelle Reparaturen aufkommen müssen. Wenn vorherige Pächter auch schon so hoch belastet waren, lässt sich die im März 1743 geäußerte Skepsis Georg Bäbels von der Wallersteiner Rentkammer verstehen, nämlich dass es für die Windmühle keine Zukunft geben könne; denn es finde sich trotz mehrmaliger Ausschreibung niemand, der die Windmühle kaufen möchte, noch auch ein Müller, der sie betreiben wollte. Das Mahlwerk nämlich sei schlecht und müsse mit 75 bis 100 fl instandgesetzt werden. Nicht einmal Simon, der Sohn Melchiors und ebenfalls Bildhauer, wollte sie erwerben oder pachten.
Außerdem war die Mühle in ihrer ungeschützten Lage bereits zweimal zum Ziel von Räubern geworden. Sie stahlen Eisenteile und wichtige Nägel und Schrauben und hoben den Wellbaum aus. Man fragt sich, ob hier nur Kriminelle am Werk waren oder doch eine Konkurrenz von Müllern sichtbar wird. Auch deswegen riet Bäbel zu einem Abbruch der „inpracticablen“ Mühle. Alle Einzelteile wie Kästen, Kammräder, Maßgefäße, Eisen- und Holzwerk und sogar die Steine sollten versteigert werden, die Einnahmen aber an die Rentkammer fließen, damit so der aufgelaufene Schaden reduziert würde. Die sechs Mühlsteine gingen an den Dischinger Müller Hanns Michael Schäffner. Andere Interessenten wie der Maihinger Klostermüller Hans Georg Ziegelmeyr erwarben die vielen Einzelteile. Insgesamt kamen aber lediglich 153 Gulden und 13 Kreuzer zusammen. Und so blieb von dem stolzen Unternehmen schließlich nichts zurück. Die hochfliegenden Pläne des Melchior Hochstein hatten sich zerschlagen.
Der Verantwortliche für die Mühle machte sich klammheimlich aus dem Staub
Zwischenzeitlich aber hatte der Sohn „mit dem schönen Heiratsgut seines Weibes“ das Wirtshaus zwar wieder hergestellt, aber zugleich „sein Vermögen sehr geschmälert“. Nun bat er bei der Herrschaft darum, dieses Haus wieder abbrechen und die Materialien verkaufen zu dürfen; er wolle ein anderes Haus im Dorf oder in Wallerstein „kaufen oder herstellen“. Davon erzählt ein letzter Kommissionsbericht vom 7. Januar 1751. Man entsprach dem Wunsch großzügig, schon im Hinblick darauf, dass bisherige Pächter dort „verdorben“ sind und deshalb „der Herrschaft mehr Schaden als Nutzen zugefügt“ wurde und letztlich, weil das abgelegene Wirtshaus als „Schlupfwinkel für herumvagirendes böses Gesindel“ diente.
Und was unternahm der fortschrittliche Melchior Hochstein angesichts seines gewaltigen Schuldenbergs? Die Kommissare stellen lakonisch fest, dass er „heimlich hinweg nach Lauchheim gezogen“ ist, wo er im Territorium des Deutschen Ordens in Sicherheit lebte. Dass für die Schulden nicht sein Sohn herangezogen wurde, darf als eine besondere Geste des Hauses Wallerstein gelten. Gleichzeitig argumentierte die Kommission, man könne dem Sohn nicht zumuten, das „oben auf dem Berg den Unwettern ausgelieferte“ Gasthaus zu erhalten. Man möge also „gnädigst“ seinen Wünschen entsprechen. So wurde also auch dieses Haus abgebrochen und seine und der Mühle Spuren gerieten gänzlich in Vergessenheit.
Erst 1783 unternahm der Bader und Chirurg Johann Jacob Keßler aus Ehringen einen neuen Versuch, sie im Ries heimisch zu machen. Über deren Geschick berichten wir demnächst in einem weiteren Beitrag.
Unser Autor hält am Samstagabend um 19 Uhr im Rahmen der Rieser Kulturtage einen Online-Vortrag zum Thema: „Auf den Spuren der Rieser Mühlenlandschaft“. – Zugangslink:
https://rieserkulturtage.my.webex.com/join/rkt2021
Alle Beiträge zu den Vorträgen der Rieser Kulturtage finden Sie hier:
Lesen und lernen Sie mehr über die Vorträge der Rieser Kulturtage