Zum 21. Abend der 23. Rieser Kulturtage konnte der stellvertretende Vorsitzende Wilhelm Imrich, wie schon bei den vorangegangenen Vorträgen, eine beachtliche Zahl von Online-Besuchern begrüßen. Der Referent, Dr. Oliver Sachs, Diplom-Geologe und Vorsitzender des Vereins „Freunde des RiesKraterMuseums“, nannte als Motivation für den Vortrag „Die vergessenen Karten des Nördlinger Rieses“ den Wunsch, „über einen Zeitabschnitt der Riesforschung zu berichten, der bisher wissenschaftshistorisch noch nie bearbeitet wurde, obwohl es zur Riesgeologie über 2000 Originalpublikationen gibt“.
Erste landschaftliche Darstellung des Nördlinger Ries waren ungenau
Das Ries als landschaftliche Einheit wurde von den Kartografen lange nicht erkannt. Eine erste, im buchstäblichen Sinn „holzschnittartige“ Darstellung (oder besser Erwähnung) des Rieses in einer Landkarte lieferte Sebastian Münster 1588 im Rahmen seiner „Cosmographia“. Handkolorierte Blätter waren längere Zeit die Norm, charakterisiert durch mangelnde Ortskenntnis, ungenaue Vorstellungen von Distanzen, vollkommenes Fehlen von Angaben zur Topografie (außer den Wasserläufen) und zu den Verkehrswegen sowie durch die Uneinheitlichkeit der Darstellung.
Noch die „Generalkarte“ von Christian Keferstein (1821) zeigt den Jura als einheitlichen Höhenzug von der Schweiz über Schwaben bis ins Fränkische. Erst 1822 wurde das Ries in der „Geognostischen Karte von Deutschland und den umliegenden Ländern“ des bedeutenden Geologen Leopold v. Buch (1774 bis 1853) als unförmige, eher dreieckige Einbuchtung in dieser Struktur sichtbar. 1833 wird den Kartografen endlich die annähernd kreisförmige Struktur als solche bewusst, und auch die geologischen Besonderheiten, die heute zwanglos aus dem Meteoriteneinschlag erklärt werden, finden wenigstens, u. a. als „Vulkangestein“, Beachtung.
Entstehung des Ries als "exotisch" eingestuft
Die Forscher Adalbert Carl Friedrich Hellwig Conrad Schnizlein und Albert Frickhinger, beide mit engem Bezug zu Nördlingen, die ursprünglich als Botaniker bzw. Apotheker vor allem an Heilpflanzen und ihren Wachstumsbedingungen interessiert waren, brachten 1848 als erste eine zutreffende Darstellung der Geländeformen und der geologischen Befunde heraus, und zwar – wen wunderts – bei C.H. Beck, Nördlingen. Die Angaben in ihrer „geognostisch-topographischen“ Karte wurden bereitwillig von anderen Kartografen übernommen, u. a. auch von Karl Philipp Heinrich Bach, einem bedeutenden württembergischen Kartografen, dem Neffen Napoleons und natürlichem Sohn des Königs Jérôme Bonaparte.
Die allgemeine Verbreitung wurde durch das inzwischen entwickelte Druckverfahren der Farblithografie wesentlich vereinfacht, und in der Folgezeit kam auch die systematische Landeskartierung in den Königreichen Bayern und Württemberg in Schwung. Dabei kam es durch den ersten deutschen Geologieprofessor, Carl Emil von Schafhäutl, München, zur Ausbildung einer ersten Theorie zur Entstehung des Rieses, die allerdings als „exotisch“ eingestuft wurde.
Geologische Beschaffenheit des Ries wird mit Impaktthese belegt
Dem technischen Fortschritt entsprechend spielte das wirtschaftliche Interesse an Bodenschätzen und am Ausbau der Verkehrswege eine Hauptrolle. Ein Schlüsselereignis in der Riesgeologie, ja eine regelrechte Gelehrtenkontroverse, hängt mit dem Bau der Remstaleisenbahn von Stuttgart-Bad Cannstatt nach Nördlingen und hier speziell mit dem Lauchheimer Tunnel (der heute als Bildwasentunnel bekannt ist) zusammen. Es war eine sogenannte „inverse Schichtlagerung“ festgestellt worden, das heißt, dass aus zunächst unbekannten Gründen ältere Gesteinsarten über jüngeren zu liegen gekommen waren.
Rätselhaft waren außerdem Schliffflächen zwischen Weißem und Braunem Jura sowie zugeschüttete alte Flusstäler auf der Schwäbischen Alb und Riesfossilien, z. B. Belemniten. Hier kam es dann zur frühesten kleinräumigen Spezialkartierung. Die „Württembergische Commission der geologischen Detailaufnahme“ wurde zur Lösung geologischer Rätsel einberufen. Vergleichende Bodenuntersuchungen am Beiberg bei Bopfingen legten eine „Ries-Gletscher-Theorie“ (Carl Ludwig Deffner) nahe, während Carl Wilhelm Gümbel die Theorie vom Riesvulkan formulierte, die nach rund einem Jahrhundert von der heute geltenden und laut Expertenmeinung gut belegten Impaktthese abgelöst wurde.
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