Was der Angeklagte zu erwarten hat, ist vielen im Gerichtssaal sicher schon nach wenigen Minuten klar. Ja, er hatte im Januar 2020 Streit mit einem anderen Mann aus Oettingen, sagt der 40-Jährige. Sie kamen aus einer Kneipe, waren betrunken, er habe sich gewehrt und seinen Kontrahenten niedergestreckt. Als dieser am Boden lag, hat er ihm nochmals mehrfach ins Gesicht geschlagen. Nach Notwehr klingt diese Beschreibung nicht mehr, eher nach Rache, das lässt Richter Nicolas Pfeil früh im Verfahren am Nördlinger Amtsgericht durchscheinen. Doch bis es zum Urteil kommt, warten noch mehrere Aussagen voller Lücken und Widersprüche.
Dass der Angeklagte zu bestrafen sei, davon war auch die Staatsanwaltschaft ausgegangen. Sie hatte gegen den Mann einen Strafbefehl über 120 Tagessätze ausgestellt, den dieser und Anwalt Michael Jaumann jedoch nicht akzeptierten. Sie legten Einspruch ein. Nur: „Was wollen Sie mit Ihrem Einspruch erreichen?“, fragt Pfeil nach der Aussage des 40-Jährigen. Zu klar scheint der Vorwurf Körperverletzung. Doch der Mann befindet, sein Verhalten sei in Ordnung gewesen, lediglich ein, zwei Schläge womöglich zu viel. Der Geschädigte habe ihn vorher angegriffen, ebenfalls zu Boden gebracht und verletzt.
Die Bilanz: Platzwunden und Prellungen
Bestätigen kann diese Version im Gerichtssaal niemand. Sicher ist jedoch: Der Angeklagte hat seinen Widersacher im Gesicht heftig verletzt, ihm Platzwunden und Prellungen zugefügt, als dieser bereits regungslos am Boden lag. Das sagen der Geschädigte und zwei Zeugen, die zufällig am Ort waren. Unklar bleibt, wie es zum Streit kam. Geld sei der Auslöser gewesen, sagt der Geschädigte. Der Angeklagte behauptet, sein Gegenüber habe ihn grundlos angegriffen.
Stützen will die Behauptung ein Freund des 40-Jährigen, der an jenem Abend seine Begleitung war und nun als Zeuge vor Gericht aussagt. Er sei kurz spazieren gewesen, zurück zur Kneipe gekommen, habe gesehen, wie jemand seinem Freund die Mütze ins Gesicht gezogen habe, daraufhin habe er den beiden etwas zugerufen – und sei dann gegangen. Von den dann folgenden Schlägen will er nichts gesehen haben, sagt der Mann. „Es bringt nichts, wenn Sie hier jemanden schützen wollen“, kommentiert Pfeil die Aussage. Weil die Zweifel an der Aussage des Freundes unübersehbar sind, stützt Pfeil sich in seiner Urteilsbegründung auf die beiden unabhängigen Zeugen und verurteilt den Angeklagten zu einer Geldstrafe, die jedoch schmaler ausfällt, als im Strafbefehl vorgesehen: 90 Tagessätze à 30 Euro.
Damit bleibt er unter der Grenze für einen Eintrag ins Vorstrafenregister, das Urteil ist bereits rechtskräftig. Die Tat sei eine Ausnahme gewesen, begründet Pfeil, davon abgesehen solle der Mann so weitermachen wie bisher: Als sorgender Familienvater, fleißiger Arbeiter mit sozialem Engagement. Ein „Bilderbuchleben“, wie Pfeil es nennt. Bis auf die Schläge im Oettinger Nachtleben.
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